Ein kleines karpatisches Dorf beschlie\u00dft, kurzerhand die Sch\u00f6pfungsgeschichte r\u00fcckg\u00e4ngig zu machen und einen neuen Beginn der Welt auszurufen. Einer Welt, in der niemand um sein Leben f\u00fcrchten muss, einer Welt,die abgetrennt von allem anderen existiert. Einer Welt, in der die Menschen letztlich auch nicht anders sind als anderswo. Ein sprachgewaltiges M\u00e4rchen in Zeiten des Krieges.<\/strong><\/p>\n Angefangen hat es 1939 am n\u00f6rdlichen Rand Rum\u00e4niens, auf einer kleinen Halbinsel in der Schleife eines lehmigen Flusses.<\/p>\n<\/blockquote>\n Die Bewohner von Zalischik f\u00fchren, trotz der weltpolitischen Gegebenheiten, in ihrer Abgeschiedenheit ein weitgehend ruhiges Leben. Es ist urspr\u00fcnglich und einfach – bis zu dem Augenblick, als sie aus ihrem Fluss eine fremde Frau retten, die, nur mit ein paar Lumpen bekleidet, den Krieg durch Erz\u00e4hlungen in die H\u00e4user Zalischiks bringt. Die Fremde hat ihren Mann und ihre Kinder verloren, ab jetzt, sagt sie, m\u00fcssten sich alle vor diesem Krieg und seinen Handlangern verstecken; allen voran die, die j\u00fcdischen Glaubens sind, wie die kleine karpatische Gemeinde. Die Fremde wird f\u00fcr die Bewohner eine Art Heilige, der Stein des Ansto\u00dfes, als sie beschlie\u00dfen, die Welt neu beginnen zu lassen.<\/p>\n In dieser Nacht war der Mond eine Schnittwunde im Himmel und spiegelte sich in unseren Augen. Konnten wir wirklich die H\u00e4nde ausstrecken und die davoneilende Zeit stoppen? Alles,was wir erfunden hatten – das Rad, den Hebel, den Flaschenzug – war auf einmal bedeutungslos?<\/p>\n<\/blockquote>\n Der neue Tag war der erste der neuen, der unbefleckten Welt. \u00dcberbleibsel der alten Welt, ein Klavier und ein Radio sowie andere Kleinigkeiten, werden entweder dem Fluss \u00fcberantwortet oder vergraben als h\u00e4tte es sie nie gegeben. Auch die Au\u00dfenwelt h\u00f6rt auf zu existieren, Zalischik schafft sich ein kleines Paradies inmitten einer brennenden Welt. Die Fremde das Zentralgestirn, um das sich regelm\u00e4\u00dfig alle versammeln, um ihre Gebete abzusetzen. Ehen werden geschlossen und gel\u00f6st, schmerzhafte Wirklichkeiten vergessen. So hatten Hersch und seine Frau Kayla, Onkel und Tante der Erz\u00e4hlerin, schon in der alten Welt verzweifelt versucht, ein Kind zu bekommen. In der neuen Welt versuchen sie es wieder und entscheiden schlie\u00dflich: Sie m\u00fcssen sich im Haushalt eines anderen bedienen. Mit dieser Entscheidung beginnt Lenas Leidensgeschichte.<\/p>\n Ich stellte mir vor, wie ich nicht nur aus dem Schuppen tr\u00e4te, sondern aus meiner Haut, wie ich eine Schicht nach der anderen ablegte und \u00fcberall leere H\u00fcllen zur\u00fccklie\u00df,spr\u00f6de und durchscheinend, bis ich nur noch eine winzige rosige Schlange von einem M\u00e4dchen w\u00e4re und mich im Schatten eines Kieselsteins verstecken k\u00f6nnte.<\/p>\n<\/blockquote>\n Lena wird von ihren Eltern Perl und Vlad an ihren Onkel und ihre Tante gegeben, die fortan den Platz ihrer Familie einnehmen sollen. Kayla, von ihrer Kinderlosigkeit bereits bis zum Wahnsinn geplagt, \u00fcbernimmt das Leben ihrer neuen “Tochter” wie das Steuer eines Bootes und beherrscht es. Lena soll, trotzdem sie bereits elf Jahre alt ist, ihr Baby sein, sich in ihren Armen wiegen lassen und sabbern, sie soll schneller altern als andere, um ihr tats\u00e4chliches Alter schneller zu erreichen – und dar\u00fcber hinaus, um bald zu heiraten. Den Bankierssohn Igor, der, mit f\u00fcnfzehn Jahren, von der Ehe und einer rasch darauffolgenden Vaterschaft so ersch\u00f6pft ist, dass er nur schl\u00e4ft und schl\u00e4ft. Bis zu dem Tage, an dem die Wirklichkeit in Zalischik Einzug h\u00e4lt und die zarte Membran, die das rum\u00e4nische Dorf vom Grauen des Krieges getrennt hat, j\u00e4h zerplatzt.<\/p>\n Ramona Ausubel hat mit ,Der Anfang der Welt<\/em>‘ einen Roman geschrieben, der sich nicht nur biblischer Versatzst\u00fccke und j\u00fcdischer Geschichte bedient, sondern dar\u00fcber hinaus von einer herrlich bildhaften Sprache getragen wird. Mal verspielt und mal brachial findet sie f\u00fcr das nahezu Unaussprechliche Worte, macht sie das Unbegreifliche begreiflich. Was zun\u00e4chst wie eine eher versponnene Geschichte anmutet, entpuppt sich im Laufe der Erz\u00e4hlung als ein verzweifeltes Ringen ums \u00dcberleben, um Menschlichkeit. Doch ganz gleich, wie fest man die Augen vor einer drohenden Katastrophe verschlie\u00dft, wie fest man an etwas anderes zu glauben versucht – Leid und Missgunst gibt es in allen Welten, von wenigen gemacht oder von vielen. Wir k\u00f6nnen nicht neu beginnen, auch wenn die Last der Vergangenheit uns zu erdr\u00fccken scheint. Das wird, neben vielem anderen, in Ausubels Roman mehr als deutlich. ,Der Anfang der Welt’ ist eine unkonventionelle Geschichte, wenig hat sie gemein mit den typischen Erz\u00e4hlungen von Krieg und Vertreibung. Und ganz besonders in dieser ungew\u00f6hnlichen Herangehensweise, in dieser gewaltigen und wundervoll plastischen Sprache, liegen die Qualit\u00e4ten dieses Romans. Unbestritten ein Highlight – eines allerdings, das man verdauen muss.<\/p>\n Wir waren durchn\u00e4sst, durchweicht, triefend von schmutzigem Wasser. Als h\u00e4tte das Radio ein Loch ins Dach der Welt geschlagen, sodass alles, was wir eine Weile hatten abwehren k\u00f6nnen, jetzt zur\u00fcckstr\u00f6mte und sich als Sturzbach \u00fcber uns ergoss.<\/p>\n<\/blockquote>\n\n
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