{"id":474,"date":"2011-07-15T15:53:40","date_gmt":"2011-07-15T15:53:40","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=474"},"modified":"2015-02-21T21:34:05","modified_gmt":"2015-02-21T19:34:05","slug":"franz-kafka-brief-an-den-vater","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2011\/07\/franz-kafka-brief-an-den-vater\/","title":{"rendered":"Franz Kafka – Brief an den Vater"},"content":{"rendered":"

Franz Kafka<\/a> (1883-1924) war ein deutschsprachiger Schriftsteller, der vor allem durch seine stimmungsvollen Kurzgeschichten und die Romanfragmente, Der Prozess, Das Schloss und Der Verschollene, bekannt geworden ist. Die meisten Werke Kafkas wurden posthum von seinem Freund Max Brod ver\u00f6ffentlicht, da Kafka sie stets f\u00fcr zu schlecht und unbedeutend hielt. Wir k\u00f6nnen uns heute dar\u00fcber streiten, ob die Entscheidung Brods, gegen Kafkas Willen zu handeln, eine gute oder schlechte war. Hier m\u00f6chte ich mich aber erstmal einem St\u00fcck seiner Hintergrundgeschichte widmen, das gerade zur Interpretation Kafkas ungemein hilfreich ist. Die Beziehung zu seinem Vater.<\/p>\n

Dieser hier niedergeschriebene Brief erreichte Kafkas Vater nie und so konnte h\u00f6chstwahrscheinlich niemals etwas wie eine Auss\u00f6hnung und Aufarbeitung dieser Beziehung stattfinden. Auch wenn es sich hierbei nicht um Literatur im herk\u00f6mmlichen Sinne handelt, k\u00f6nnte man es als sekund\u00e4r f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis Kafkas begreifen, dessen Texte sich eher auf einer emotionalen, denn sachlichen oder analytischen Ebene erschlie\u00dfen lassen. Kafka streift hier also mehrere Konfliktfelder und schnell wird etwas Elementares klar – das Gef\u00fchl der Selbstunsicherheit und des nicht Gen\u00fcgens stehen im Vordergrund.<\/p>\n

Kafka versucht dem Vater Situationen n\u00e4herzubringen, ohne ihn zu verurteilen und verwischt damit meines Erachtens die Grenzen zwischen seiner Verantwortlichkeit und der des Vaters. Herman Kafka sprach stets von seinem harten Leben, er forderte Dankbarkeit von seinen Kindern und mischte sich in Heiratspl\u00e4ne seines Sohnes ein. Eigentlich nichts, was andere V\u00e4ter zu fr\u00fcheren Zeiten nicht auch getan haben. Doch Kafkas Vater muss, wenigstens f\u00fcr ihn, etwas derart \u00dcberm\u00e4chtiges an sich gehabt haben, dass es ihm schwerfiel, ihn als Mensch zu betrachten und auch so auf ihn zuzugehen. Auch in seinen Geschichten und Romanfragmenten spielt stets das \u00dcberm\u00e4chtige und nicht greifbare eine zentrale Rolle.<\/p>\n

Beispielhaft und ma\u00dfgeblich schildert Kafka eine Szene zwischen sich und seinem Vater. Es war nachts und der junge Kafka habe wohl fortw\u00e4hrend um etwas zu trinken gebettelt, ohne, wie er im Nachhinein sagt, wirklich Durst zu haben. Der Vater verwehrte ihm das und als er doch so sehr jammerte und quengelte, stellte ihn der Vater auf die Pawlatsche. (wienerischer Ausdruck f\u00fcr eine offenen Hauseingang oder Hinterhof) Dort fror der junge Kafka einige Stunden und schrieb: Noch nach Jahren litt ich unter der qu\u00e4lenden Vorstellung, dass der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und dass ich also ein solches Nichts f\u00fcr ihn war.<\/em><\/p>\n

In dieser Angst finden sich auch Parallelen zu Kafkas Romanen, in denen die Protagonisten scheinbar ohne Grund verhaftet, abgeholt oder Befragungen ausgesetzt werden, w\u00e4hrend die Instanz, die dies anordnet, selten mehr als schemenhaft in Erscheinung tritt. Interessanterweise scheinen Kafkas Betrachtungen und die Realit\u00e4t an einigen Stellen eklatant auseinanderzudriften. W\u00e4hrend er sich in seinem Brief dem Vater gegen\u00fcber als von Versagens\u00e4ngsten geplagten und eher faulen Sch\u00fcler darstellt, wurde er von seinem schulischen Umfeld \u00a0als klug und verst\u00e4ndig wahrgenommen, seine Versetzung war niemals gef\u00e4hrdet. Seine Arbeit in der Arbeiter-Versicherungsanstalt schien ihm die einzig passende, weil sie wenig Eigeninitiative von ihm verlangte, Kollegen lobten ihn aber als flei\u00dfigen Mitarbeiter, der regelm\u00e4\u00dfig bef\u00f6rdert wurde. Hier scheint es also einen gro\u00dfen Unterschied zwsichen Kafkas Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung anderer zu geben.<\/p>\n

Kafkas Brief an den Vater bietet viele M\u00f6glichkeiten der Selbstreflektion (In was f\u00fcr einem Umfeld bin ich eigentlich aufgewachsen und wie hat es mich beeinflusst ?), es er\u00f6ffnet andere Blickwinkel auf Kafkas Schaffen und ist auch sonst f\u00fcr Psychologie – und Literaturinteressierte zu empfehlen. Die oben bebilderte Fischer-Ausgabe ist auch mit reichlich biographischen Anmerkungen versehen, sodass man das ein oder andere nochmal nachlesen oder vertiefen kann. Zu den Prosa Werken Kafkas werde ich sicher auch noch was zum Besten geben, f\u00fcr den Vater-Sohn-Konflikt soll es das aber an dieser Stelle gewesen sein.<\/p>\n

\"\"Franz Kafka: Brief an den Vater, Fischer Verlag<\/a>, 96 Seiten, 9783596146741, 5,95 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Franz Kafka (1883-1924) war ein deutschsprachiger Schriftsteller, der vor allem durch seine stimmungsvollen Kurzgeschichten und die Romanfragmente, Der Prozess, Das Schloss und Der Verschollene, bekannt geworden ist. Die meisten Werke Kafkas wurden posthum von seinem Freund Max Brod ver\u00f6ffentlicht, da Kafka sie stets f\u00fcr zu schlecht und unbedeutend hielt. Wir k\u00f6nnen uns heute dar\u00fcber streiten, ob die Entscheidung Brods, gegen Kafkas Willen zu handeln, eine gute oder schlechte war. Hier m\u00f6chte ich mich aber erstmal einem St\u00fcck seiner Hintergrundgeschichte widmen, das gerade zur Interpretation Kafkas ungemein hilfreich ist. Die Beziehung zu seinem Vater. Dieser hier niedergeschriebene Brief erreichte Kafkas Vater nie und so konnte h\u00f6chstwahrscheinlich niemals etwas wie eine Auss\u00f6hnung und Aufarbeitung dieser Beziehung stattfinden. Auch wenn es sich hierbei nicht um Literatur im herk\u00f6mmlichen Sinne handelt, k\u00f6nnte man es als sekund\u00e4r f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis Kafkas begreifen, dessen Texte sich eher auf einer emotionalen, denn sachlichen oder analytischen Ebene erschlie\u00dfen lassen. Kafka streift hier also mehrere Konfliktfelder und schnell wird etwas Elementares klar – das Gef\u00fchl der Selbstunsicherheit und des nicht Gen\u00fcgens stehen im Vordergrund. …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":7745,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16],"tags":[1882,1021,1090,1102,834],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2011\/07\/3-596-14674-7-e1424547211308.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/474"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=474"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/474\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7746,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/474\/revisions\/7746"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/7745"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=474"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=474"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=474"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}