{"id":4224,"date":"2014-02-17T21:05:23","date_gmt":"2014-02-17T20:05:23","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=4224"},"modified":"2015-02-26T22:59:51","modified_gmt":"2015-02-26T20:59:51","slug":"david-wonschewski-geliebter-schmerz","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2014\/02\/david-wonschewski-geliebter-schmerz\/","title":{"rendered":"David Wonschewski – Geliebter Schmerz"},"content":{"rendered":"

David Wonschewski<\/a> ist ein deutscher Autor und Journalist. \u00dcber zehn Jahre lang war er als leitender Musikredakteur f\u00fcr einige der gr\u00f6\u00dften Sender Deutschlands t\u00e4tig. Mit seinem ersten Roman ,Schwarzer Frost<\/a>‘ sezierte er vor dem Hintergrund der Medienbranche unsere zutiefst nihilistische und desillusionierte Gesellschaft. Sein neuer Erz\u00e4hlband ,Geliebter Schmerz<\/em><\/strong>‘ ist, genau wie sein Vorg\u00e4nger, im Periplaneta Verlag<\/a> erschienen und vereint neunzehn kurze bis mittellange Geschichten rund um Schmerz, Elend und das Gl\u00fcck darin. Wonschewski betreibt das Kleinkunst – und Liedermachermagazin Ein Achtel Lorbeerblatt<\/a>. Er lebt und arbeitet in Berlin.<\/p>\n

,Geliebter Schmerz<\/em>‘ scheint auf den ersten Blick ein unaufl\u00f6sliches Paradoxon zu sein. Wer liebt schon den Schmerz, abgesehen von am Leben scheiternden, ja zerschellenden K\u00fcnstlern, Literaten und Musikern, denen er Katalysator f\u00fcr ihre k\u00fcnstlerische T\u00e4tigkeit ist? Die meisten von uns versuchen doch t\u00e4glich, diesem omin\u00f6sen Schmerz aus dem Wege zu gehen. Dem, der auf der Hand liegt, aber erst recht dem, der tiefer in uns sitzt. Damit ist jetzt Schluss. Das muss ein Ende haben.<\/p>\n

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Und ich frage euch: Was hat euch eigentlich so kaputtgemacht, dass die ganze Welt dauernd erfahren soll, wie gl\u00fccklich ihr seid, aber niemand wie traurig? Warum k\u00f6nnt ihr \u00f6ffentlich euer Lachen zeigen, niemals aber euren Kummer? Wenn ihr euch selbst so liebt und so furchtbar gut klarkommt mit eurer Menschlichkeit – warum versteckt ihr eure Tr\u00e4nen dann hinter Gardinen und eure \u00c4ngste hinter Fassaden? Warum tauscht ihr eure sexuellen Intimit\u00e4ten in aller \u00d6ffentlichkeit aus, aber schlie\u00dft euch zum Onanieren noch immer versch\u00e4mt im Bad ein?<\/p>\n<\/blockquote>\n

Wonschewskis Erz\u00e4hlungen schwanken zwischen B\u00f6sartigkeit und tief empfundenen Mitgef\u00fchl, zwischen Tragik und Komik. So kann man sich einerseits hervorragend \u00fcber den lebensechten Zynismus am\u00fcsieren, der mal zwischen den Zeilen und mal \u00e4u\u00dferst offen zutage tritt, aber auch ehrlich ersch\u00fcttert \u00fcber einem Absatz br\u00fcten, der so treffsicher menschliche Gef\u00fchle und Abgr\u00fcnde auslotet, dass es einem die Sprache verschl\u00e4gt. Gl\u00fccklicherweise verf\u00fcgt David Wonschewski \u00fcber Sprachgewalt f\u00fcr zwei, wenn er von dem Mann erz\u00e4hlt, der in seinem kleinen Kiosk langsam der Welt entgleitet – oder sie ihm.<\/p>\n

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F\u00fchrt ein unauff\u00e4lliger Mann mittleren Alters, also ein Mann wie ich, einen Kiosk, so l\u00e4uft er best\u00e4ndig Gefahr, unsichtbar zu werden. Denn ein jeder Moment seines Lebens wird von der gar nicht so abstrusen M\u00f6glichkeit getragen, bis zur Unkenntlichkeit zu zerbr\u00f6seln zwischen all den Zeitschriften und den Tabakdosen, den Kaugummis und den Schokoladentafeln, in deren Mitte er sich tagein, tagaus befindet.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Wonschewski schreibt von Menschen, die an eine Grenze des Lebens gelangt sind, an der es keine eindeutigen Kategorien mehr gibt. Kein Gut und B\u00f6se, kein Recht und Unrecht, Situationen, in denen bew\u00e4hrte Beurteilungsmuster den Dienst versagen. Da ist Alison, die junge und toughe Galeristin, die ihre Einsamkeit, ihre innere Heimatlosigkeit mit dutzenden M\u00e4nnern zu kaschieren versucht. Da ist der Startenor Don Josef Kr\u00e4mer, der seinem Agenten erschrocken und au\u00dfer sich mitteilt, einen Mord begangen zu haben, – wenn er auch nicht genau wei\u00df, an wem und wann. Wir erblicken den jungen Mann, der sich in der Schlaflosigkeit der Nacht vorstellt, lebendig begraben zu sein und begegnen einem Erz\u00e4hler, der es aufrichtig bedauert, den Tod seines Nachbarn f\u00fcnf Wochen lang nicht bemerkt zu haben. Nicht vorrangig wegen des Nachbarn – es ist die verpasste Chance, die ihn qu\u00e4lt.<\/p>\n

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Wir packen uns in Watte und schmieren und Augen, Ohren und M\u00fcnder zu, damit wir nur noch quietschbunte Wohlf\u00fchlmasse fressen m\u00fcssen. Nur der Tod l\u00e4sst sich nicht in dieses butterweiche Idiotenschema pressen, der Tod macht mit uns, was er will und wann er es will. Da k\u00f6nnen wir wegsehen, so oft wir wollen, aus dem Weg gehen werden wir ihm nie k\u00f6nnen. Wo wir ihm begegnen, sollten wir also innehalten, stehenbleiben und ihm genau zuschauen bei seinem morbiden Werk, denn bist du einmal dem Tode eines anderen begegnet, so \u00e4ndert sich dein Leben. Zum Besseren. Immer nur zum Besseren.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Man kann das morbide finden, misanthropisch, zerst\u00f6rerisch. Andererseits aber auch tr\u00f6stlich, menschlich und heilsam auf eine Art wie es nur das Abgr\u00fcndige sein kann. An seinem Schmerz und dem Kampf mit seinen eigenen D\u00e4monen kann man wachsen, das Leben erst in vollem Umfang sch\u00e4tzen, wenn man einmal seiner Zerbrechlichkeit begegnet und seiner Endlichkeit ins Auge gesehen hat. David Wonschewskis Erz\u00e4hlungen sind vielseitig, mal raue und derbe Beschreibungen von Zerrissenheit und Grenzerfahrungen am ,Point Of No Return<\/em>‘. Aber auch zarte und poetische Wunderwerke, in die man sich h\u00fcllen, in denen man versinken m\u00f6chte. Mit diesen Geschichten und diesen Menschen geht man freiwillig unter – um gest\u00e4rkt daraus hervorzugehen.<\/p>\n

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Du warst der, der gegangen ist, Manuel. Doch als du gingst, hast du mich nicht einfach verlassen. Du gingst und nahmst unsere Sommer mit dir. Und mit diesen Sommern die Ausgelassenheit und das Lachen jener Tage. Unserer Tage. Mir, der ich immer hiergeblieben bin, hast du lediglich die Winter gelassen.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Hier entlang<\/a> zu einem hochinteressanten Interview mit David Wonschewski.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

David Wonschewski ist ein deutscher Autor und Journalist. \u00dcber zehn Jahre lang war er als leitender Musikredakteur f\u00fcr einige der gr\u00f6\u00dften Sender Deutschlands t\u00e4tig. Mit seinem ersten Roman ,Schwarzer Frost‘ sezierte er vor dem Hintergrund der Medienbranche unsere zutiefst nihilistische und desillusionierte Gesellschaft. Sein neuer Erz\u00e4hlband ,Geliebter Schmerz‘ ist, genau wie sein Vorg\u00e4nger, im Periplaneta Verlag erschienen und vereint neunzehn kurze bis mittellange Geschichten rund um Schmerz, Elend und das Gl\u00fcck darin. Wonschewski betreibt das Kleinkunst – und Liedermachermagazin Ein Achtel Lorbeerblatt. Er lebt und arbeitet in Berlin. ,Geliebter Schmerz‘ scheint auf den ersten Blick ein unaufl\u00f6sliches Paradoxon zu sein. Wer liebt schon den Schmerz, abgesehen von am Leben scheiternden, ja zerschellenden K\u00fcnstlern, Literaten und Musikern, denen er Katalysator f\u00fcr ihre k\u00fcnstlerische T\u00e4tigkeit ist? Die meisten von uns versuchen doch t\u00e4glich, diesem omin\u00f6sen Schmerz aus dem Wege zu gehen. Dem, der auf der Hand liegt, aber erst recht dem, der tiefer in uns sitzt. Damit ist jetzt Schluss. Das muss ein Ende haben. Und ich frage euch: Was hat euch eigentlich so kaputtgemacht, dass die …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":4225,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[1007,1013,1120,1407],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2014\/02\/davidwonschewski.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4224"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=4224"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4224\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":7908,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4224\/revisions\/7908"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/4225"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=4224"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=4224"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=4224"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}