{"id":3734,"date":"2013-12-07T22:02:39","date_gmt":"2013-12-07T21:02:39","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=3734"},"modified":"2015-02-26T23:11:05","modified_gmt":"2015-02-26T21:11:05","slug":"john-cheever-ach-dieses-paradies","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2013\/12\/john-cheever-ach-dieses-paradies\/","title":{"rendered":"John Cheever – Ach, dieses Paradies"},"content":{"rendered":"

John Cheever<\/a> (1912-1982) war ein amerikanischer Autor. Bekannt wurde er zun\u00e4chst mit seinen Kurzgeschichten, die im New Yorker ver\u00f6ffentlicht wurden und ihm 1979 den Pulitzerpreis eintrugen. Seine Geschichten spielten h\u00e4ufig in amerikanischen Vororten und behandelten das Leben ihrer Bewohner auf hintersinnige und subtil ironische Weise. Nicht alles ist, wie es scheint, hinter den Spitzenvorh\u00e4ngen der Fr\u00f6mmigkeit spielten sich nicht selten ganz andere Szenarien ab als die glatte Oberfl\u00e4che vermuten lie\u00df. Ach, dieses Paradies (‘Oh what a paradise it seems’<\/em>) ist Cheevers letzter Roman, erschienen im DuMont Verlag<\/a> und \u00fcbersetzt von Thomas Gunkel.<\/p>\n

Manch ein Autor beherrscht die Kunst der Auslassung, des pointierten Skizzierens, das aus scheinbar lose und hastig zu Papier gebrachten Linien ein eindrucksvolles Bild entstehen l\u00e4sst. John Cheever ist so ein Autor. Ist sein letzter Roman mit knapp 120 Seiten doch wahrlich nicht ausufernd, birgt er doch so einige beachtenswerte Momente und Gedanken. Lemuel Sears ist ein alter Mann. Alleinstehend und mit seiner Tochter auf der Basis einer gewissen beiderseitigen Skepsis verbunden, liebt er es, gelegentlich zum Schlittschuhfahren zum Beasley’s Pond zu fahren. Mit der Natur im Einklang, urspr\u00fcnglich und ganz bei sich selbst in einem Ort ohne Fast Food Kette.<\/p>\n

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Eine der gr\u00f6\u00dften Eigent\u00fcmlichkeiten des Ortes und seiner geschichtlichen Rolle war, dass es dort keinerlei Fast-Food-Ketten gab. Das war damals sehr ungew\u00f6hnlich und k\u00f6nnte einen zu der Vorstellung verleiten, das St\u00e4dtchen sei von einem Makel wie gro\u00dfer Armut oder mangelndem Unternehmungsgeist der Einwohnerschaft befallen; doch es handelte sich blo\u00df um einen Fehler jener Computer, die f\u00fcr die Standortauswahl von Fast-Food-Restaurants verantwortlich sind.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Jedes Wochenende f\u00e4hrt Sears, wenn er denn kann und die entsprechende Jahreszeit vorherrscht, zum See, um dort mit anderen Menschen in graziler Schnelligkeit die Eisfl\u00e4che zu erobern. Und als er an einem Sonntag dort ankommt und feststellt, dass man seinen geliebten Teich zur M\u00fclldeponie erkl\u00e4rt hat, l\u00e4uft er zu H\u00f6chstformen auf. Er schreibt nicht nur einen Leserbrief, sondern beauftragt auch einen Anwalt f\u00fcr Umweltfragen, der der Sache (und dem Beasley’s Pond als solchem) auf den Grund gehen soll. W\u00e4hrend diese Nachforschungen noch laufen, lernt der alternde Sears Ren\u00e9e kennen, – eine junge Frau, die, trotzdem sie Charme und Sch\u00f6nheit f\u00fcr drei verspr\u00fcht, regelm\u00e4\u00dfig an sprichw\u00f6rtlichen runden Tischen ihre schlechten Gewohnheiten zu kurieren versucht. Das Rauchen, das Trinken, das Essen. Trotzdem sie Jahrzehnte trennen, beginnen sie eine Aff\u00e4re.<\/p>\n

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An diesem Abend regnete es. Es s\u00e4he Sears gar nicht \u00e4hnlich, das Prasseln des Regens mit der Liebe in Verbindung zu bringen, doch da bestand tats\u00e4chlich ein Zusammenhang. Obwohl es ihm nicht bewusst war, hatte er die meisten Offenbarungen \u00fcber die Liebe empfangen, w\u00e4hrend er die Musik des Regens vernahm.<\/p>\n<\/blockquote>\n

\u00dcber kurz oder lang l\u00e4sst Ren\u00e9e ihn sitzen, wir schwenken um zu Henry und Betsy sowie deren Nachbarn, den Salazzos, die sich nicht nur an der M\u00fclldeponie auf sch\u00e4ndliche Weise bereichern, sondern auch einige innerfamili\u00e4re Konflitke erdulden m\u00fcssen. Nicht zuletzt, weil Vater Sammy den Familienhund Buster erschie\u00dft. Aus \u00f6konomischen Gr\u00fcnden. Kein Geld, um den Hund durchzuf\u00fcttern, wenn die Familie schon nicht genug zu essen hat. Der Anwalt Horace Chisholm wird nach der gescheiterten Gerichtsverhandlung betreffs des verunreinigten Beasley’s Pond kaltbl\u00fctig \u00fcberfahren, Betsy beschlie\u00dft ihrerseits die Gemeinde mit vergifteter Teriyaki-Sauce aus ihrer Lethargie zu r\u00fctteln. Und ihr gelingt mit einer gewissen Gewalt, was dem friedfertigen und vereinsamten Horace nicht verg\u00f6nnt war.<\/p>\n

John Cheever schreibt eine sparsame Geschichte. Eigentlich eine Geschichte um ein Umweltvergehen, das in sich aber auch die “Verunreinigung” der Menschen in Janice, der n\u00e4mlichen Kleinstadt, widerspiegelt. Sei es nun Lemuel Sears selbst, der vermutlich das ist, was man einen alten Sonderling nennen k\u00f6nnte, der an sich pl\u00f6tzlich homosexuelle Neigungen entdeckt, die ihn derart verst\u00f6ren, dass er ohne gro\u00dfe Umschweife einen Psychiater aufsucht. Sei es Sammy Salazzo, der blind vor Wut und Ohnmacht den Familienhund erschie\u00dft oder auch Henry und Betsy, die beim Fahrerwechsel nach einem ausgiebig genossenen Tag am Strand ihr Baby an der Stra\u00dfe vergessen. Irgendwas stimmt nicht, irgendwas ist schief, wenig paradiesisch. John Cheever kontrastiert das mit einem beil\u00e4ufigen und ironischen Tonfall als n\u00e4hme er weder sich noch die Narreteien seiner Protagonisten besonders ernst.<\/p>\n

Ihm ist die Erschaffung eines kleinen Kosmos gegl\u00fcckt, der fast an den Grund eines Sees erinnert. Ein bisschen d\u00fcster und schlammig, in manch einer Auspr\u00e4gung aber beeindruckend sch\u00f6n und menschlich. Die idyllischsten Beschreibungen stehen dem Schlittschuhlaufen selbst und der Natur zu, die menschliche Natur muss im direkten Vergleich verlieren. Ein Buch, das sich zwar fl\u00fcssig liest, aber der Nachlese bedarf, um nicht Gefahr zu laufen, es zu untersch\u00e4tzen. Manch eine poetische Stelle wird\u00a0 durchbrochen von derber Sprache, aus vielen S\u00e4tzen spricht Ironie, leiser Spott vielleicht. Auch im Paradies schlummert so manche L\u00fcge und so vieles Elend, wenn man es zu ergr\u00fcnden <\/em>bereit ist.<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

John Cheever (1912-1982) war ein amerikanischer Autor. Bekannt wurde er zun\u00e4chst mit seinen Kurzgeschichten, die im New Yorker ver\u00f6ffentlicht wurden und ihm 1979 den Pulitzerpreis eintrugen. Seine Geschichten spielten h\u00e4ufig in amerikanischen Vororten und behandelten das Leben ihrer Bewohner auf hintersinnige und subtil ironische Weise. Nicht alles ist, wie es scheint, hinter den Spitzenvorh\u00e4ngen der Fr\u00f6mmigkeit spielten sich nicht selten ganz andere Szenarien ab als die glatte Oberfl\u00e4che vermuten lie\u00df. Ach, dieses Paradies (‘Oh what a paradise it seems’) ist Cheevers letzter Roman, erschienen im DuMont Verlag und \u00fcbersetzt von Thomas Gunkel. Manch ein Autor beherrscht die Kunst der Auslassung, des pointierten Skizzierens, das aus scheinbar lose und hastig zu Papier gebrachten Linien ein eindrucksvolles Bild entstehen l\u00e4sst. John Cheever ist so ein Autor. Ist sein letzter Roman mit knapp 120 Seiten doch wahrlich nicht ausufernd, birgt er doch so einige beachtenswerte Momente und Gedanken. Lemuel Sears ist ein alter Mann. Alleinstehend und mit seiner Tochter auf der Basis einer gewissen beiderseitigen Skepsis verbunden, liebt er es, gelegentlich zum Schlittschuhfahren zum Beasley’s Pond zu fahren. …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":3735,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[1046,1079,1208,1567,1597],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2013\/12\/cheever.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3734"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3734"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3734\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":6040,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3734\/revisions\/6040"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/3735"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3734"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3734"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3734"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}