{"id":3346,"date":"2013-08-20T10:01:38","date_gmt":"2013-08-20T08:01:38","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=3346"},"modified":"2013-08-20T10:01:38","modified_gmt":"2013-08-20T08:01:38","slug":"sarah-stricker-funf-kopeken","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2013\/08\/sarah-stricker-funf-kopeken\/","title":{"rendered":"Sarah Stricker – F\u00fcnf Kopeken"},"content":{"rendered":"

\"Sarah-Stricker-Fuenf-Kopeken\"<\/a>Sarah Stricker<\/a> ist deine deutsche Autorin und Journalistin. Sie schrieb f\u00fcr viele Zeitungen und Magazine, darunter die taz, die S\u00fcddeutsche, Frankfurter Allgemeine und NEON. 2009 ging sie nach Tel Aviv und berichtet seitdem von dort f\u00fcr deutsche Medien \u00fcber Israel und f\u00fcr isrealische \u00fcber Deutschland. F\u00fcnf Kopeken ist ihr Deb\u00fctroman, und erschien im Eichborn Verlag<\/a>.<\/p>\n

Seine Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Sie kommt gewisserma\u00dfen \u00fcber einen wie eine Naturkatastrophe oder eine l\u00e4stige Krankheit. Man kann nur lernen, sie zu nehmen, wie sie ist und versuchen, zu verstehen. Sie aussitzen allenthalben. F\u00fcnf Kopeken <\/em>erz\u00e4hlt die Geschichte einer deutschen Familie, die sich nach dem Krieg mit einer Modekette zu einem betr\u00e4chtlichen Auskommen gearbeitet hat und dabei, wie wohl die meisten Familien dieser Zeit, das Ziel verfolgt, die Kinder m\u00f6gen es einmal besser haben als man selbst. Familie Schneider legt gro\u00dfe Ma\u00dfst\u00e4be an ihre Tochter, die Mutter der Erz\u00e4hlerin, an. H\u00e4sslich, wie sie war, sollte sie wenigstens etwas im Kopf haben.<\/p>\n

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Meine Mutter war zu h\u00e4sslich, um der Sch\u00f6nheit lange nachzutrauern. Nur h\u00fcbsche M\u00e4dchen verbringen Stunden vorm Spiegel, um ihre Makel auswendig zu lernen wie Vokabeln, die sie auf ein Kompliment hin runterrattern.Sie hingegen war nicht bereit, mit ihrem Aussehen zu hadern. Damit h\u00e4tte sie ihm nur noch mehr Aufmerksamkeit gegeben. Und das hatte “die alte Fratze” ja nun wirklich nicht verdient.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Um sie zu f\u00f6rdern und zu fordern, in manchen Familien unterscheidet sich das eine ja nicht wesentlich vom anderen, karrt ihr Vater Wagenladungen B\u00fccher nach Hause, bereits mit drei oder vier kann sie lesen, \u00fcberspringt eine Klasse, spielt mehrere Instrumente, singt und zeichnet. Sie war ein Naturtalent wider Willen und in ihr verdichten sich alle Anspr\u00fcche des Nachkriegswirtschaftswunderlandes.<\/p>\n

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Von Anfang an behandelte er meine Mutter wie eine Erwachsene in zu kurz geratenem K\u00f6rper und jeder, der es nicht tat, musste sich so lange vorhalten lassen, ihre Entwicklung zu gef\u00e4hrden, bis er sich sich zusammen mit dem “Wauwau? Ich geb dir Wauwau” kleinlaut trollte. In seinem Haus wurde nicht “Dada” gegangen oder “Kaka” gemacht, es gab kein Kinderprogramm, keine Kinderb\u00fccher, kein “daf\u00fcr bist du noch zu klein”. Die Unschuld und Sorglosigkeit, von denen andere im Alter schw\u00e4rmen, blieb meiner Mutter dank der unersch\u00fctterlichen Abwehr meines Gro\u00dfvaters fremd.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Anna, die erz\u00e4hlende Tochter, sitzt am Sterbebett ihrer Mutter und l\u00e4sst sich ihr Leben erz\u00e4hlen, haarklein, vom Beginn in der pf\u00e4lzischen Provinz bis nach Berlin, in dem Annas Gro\u00dfvater f\u00fcr die Ossis, die sich jetzt endlich anst\u00e4ndig anziehen konnten, nachdem die Mauer gefallen war, einen Anreiz in Form einer weiteren Mode-Schneider-Filiale bieten will. Annas Mutter ist eine Au\u00dfenseiterin, wie sie im Buche steht, Bildung und dieser Hauch von Altklugheit kommen auch in der pf\u00e4lzischen Provinz nicht gut an. Im Hause Schneider gibt es keinen M\u00fc\u00dfiggang, es gibt nur der eigenen H\u00e4nde Arbeit und die Ersch\u00f6pfung, mit der man daraufhin hausieren gehen konnte. Annas Gro\u00dfvater ist \u00fcberspannt, ihre Gro\u00dfmutter \u00fcber\u00e4ngstlich, seit sie im Krieg vor lauter Angst aus einem Haus lief, auf das nur Sekunden sp\u00e4ter eine Bombe fiel.<\/p>\n

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Sie wusste, dass sie ihr Leben nur der Angst verdankte. Das verga\u00df sie ihr nie.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Annas Mutter unternimmt zaghafte Versuche in Richtung Partnerschaft, mit Uwe, der sich pl\u00f6tzlich viel mehr f\u00fcr ihre Freundin Babsi zu interessieren scheint, mit Rudi, Heiner oder wie er auch hie\u00df und mit Arno, der schlie\u00dflich Vater der Erz\u00e4hlerin wird. Ein halbseidener und fast schon wehleidiger Charakter, der die toughe Schneider-Tochter, die es gewohnt ist, stets von den Kriegsgeschichten ihres Vaters auf den Boden der Tatsachen zur\u00fcckgeholt zu werden, immer \u00f6fter mit seinem honigs\u00fc\u00dfen Liebreiz in den Wahnsinn treibt. Die Hochzeit ist schon in Planung, als Annas Mutter sich ernstlich verliebt. In einen anderen. \u00dcberrascht, dass sie zu Gef\u00fchlen dieser Art \u00fcberhaupt in der Lage ist.<\/p>\n

Sarah Strickers charmanter und unverwechselbarer Tonfall l\u00e4sst diese Familiengeschichte immer wieder zwischen Tragik und Kom\u00f6die hin und her pendeln. Etwas \u00fcberzeichnet l\u00e4sst sie eine Familie auferstehen, wie es vermutlich nach dem Krieg viele gegeben hat, mitgerissen vom Aufschwung, zerrissen vom Krieg, verbissen werkelnd an Erfolg und Wohlstand. Sarah Stricker arbeitet diese Stimmung auf so kaltschn\u00e4uzige und humorvolle Weise heraus, dass man manchmal ganz vergisst, was sie f\u00fcr die Kinder bedeutete, auf deren R\u00fccken sie ausgetragen wurde. Aus der Familiengeschichte wird nach und nach eine Liebesgeschichte, eine, wie sie eine Tochter ihrer Mutter niemals zutraut. Aber Annas Mutter liegt im Sterben und so l\u00e4sst sie alle biographischen H\u00fcllen fallen.<\/p>\n

F\u00fcnf Kopeken<\/em> ist ein herrlich vielschichtiger Roman, der seine Figuren trotz ihrer gelegentlichen \u00dcberzeichnung ernst genug nimmt, um sie authentisch wirken zu lassen. Hier und da gibt es L\u00e4ngen, die aber durch den erfrischenden Stil der Autorin leicht \u00fcberwindbar sind. Wie viel wissen wir eigentlich von unseren Eltern? Und was hat das mit uns zu tun<\/em>?, sind Fragen, die bei der Lekt\u00fcre immer wieder aufkommen. Von mir eine absolute Leseempfehlung f\u00fcr diesen Deb\u00fctroman, der mit einer bewegenden Geschichte und einer au\u00dfergew\u00f6hnlichen Sprache zu begeistern wei\u00df.<\/p>\n

Eine weitere sch\u00f6ne Rezension findet sich auch bei Karthauses B\u00fccherwelt<\/a>.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Sarah Stricker ist deine deutsche Autorin und Journalistin. Sie schrieb f\u00fcr viele Zeitungen und Magazine, darunter die taz, die S\u00fcddeutsche, Frankfurter Allgemeine und NEON. 2009 ging sie nach Tel Aviv und berichtet seitdem von dort f\u00fcr deutsche Medien \u00fcber Israel und f\u00fcr isrealische \u00fcber Deutschland. F\u00fcnf Kopeken ist ihr Deb\u00fctroman, und erschien im Eichborn Verlag. Seine Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Sie kommt gewisserma\u00dfen \u00fcber einen wie eine Naturkatastrophe oder eine l\u00e4stige Krankheit. Man kann nur lernen, sie zu nehmen, wie sie ist und versuchen, zu verstehen. Sie aussitzen allenthalben. F\u00fcnf Kopeken erz\u00e4hlt die Geschichte einer deutschen Familie, die sich nach dem Krieg mit einer Modekette zu einem betr\u00e4chtlichen Auskommen gearbeitet hat und dabei, wie wohl die meisten Familien dieser Zeit, das Ziel verfolgt, die Kinder m\u00f6gen es einmal besser haben als man selbst. Familie Schneider legt gro\u00dfe Ma\u00dfst\u00e4be an ihre Tochter, die Mutter der Erz\u00e4hlerin, an. H\u00e4sslich, wie sie war, sollte sie wenigstens etwas im Kopf haben. Meine Mutter war zu h\u00e4sslich, um der Sch\u00f6nheit lange nachzutrauern. Nur h\u00fcbsche M\u00e4dchen verbringen Stunden vorm …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":3347,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[839],"tags":[1021,1056,1079,1283,1467,1471],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2013\/08\/sarah-stricker-fuenf-kopeken.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3346"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3346"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3346\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/3347"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3346"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3346"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3346"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}