{"id":3184,"date":"2013-07-13T13:09:49","date_gmt":"2013-07-13T11:09:49","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=3184"},"modified":"2013-07-13T13:09:49","modified_gmt":"2013-07-13T11:09:49","slug":"peter-stamm-seerucken","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2013\/07\/peter-stamm-seerucken\/","title":{"rendered":"Peter Stamm – Seer\u00fccken"},"content":{"rendered":"

\"peterstamm\"<\/a>Peter Stamm<\/a> ist ein Schweizer Schriftsteller. Seine ersten literarischen Gehversuche waren m\u00fchsam und von vielen Absagen gepr\u00e4gt, Sein Roman Agnes <\/em>wurde erst sechs Jahre nach Beendigung ver\u00f6ffentlicht. Er begann, Anglistik zu studieren, wechselte dann ins Studienfach Psychologie und war Praktikant in verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Ab 1990 war Stamm auch als Journalist f\u00fcr die NZZ, den Tages-Anzeiger und die Weltwoche t\u00e4tig. 2013 stand er auf der Shortlist des Man Booker Prizes.<\/p>\n

Wer Peter Stamm zum ersten Mal liest, dem wird sofort der eher n\u00fcchterne und distanzierte Stil ins Auge fallen, der wird bemerken, dass Stamm sich tats\u00e4chlich viel mehr in der Rolle des Beobachters, statt in der des ausschm\u00fcckenden Erz\u00e4hlers begreift. In “Seer\u00fccken” versammeln sich zehn Erz\u00e4hlungen, die alle, in unterschiedlicher Weise, menschliche Schicksale beleuchten, lakonisch und beil\u00e4ufig fast der Auspr\u00e4gung allt\u00e4glichen Leids nachsp\u00fcren. Was man sp\u00fcrt, in jeder einzelnen Geschichte und besonders in den mithin vielf\u00e4ltig interpretierbaren Enden ist ein gewisser Fatalismus, eine trockene Hoffnungslosigkeit. So ist das Leben eben.<\/p>\n

Da ist das Paar, das gemeinsam in den Urlaub f\u00e4hrt, zwischen sich eine Menge Distanz und Ungesagtes und von ihrem Apartment aus t\u00e4glich eine gl\u00fcckliche und gesch\u00e4ftige Familie beobachtet. Bis der Vater eines Tages beim Zur\u00fccksetzen des Wagens seinen eigenen Sohn \u00fcberf\u00e4hrt. Der Vorfall wird nicht n\u00e4her beschrieben und trotzdem ist die Fassungslosigkeit mit H\u00e4nden zu greifen. In der Beobachterperspektive des Paares werden wir Zeuge eines furchtbaren Ungl\u00fccks, an dem niemand die Schuld tr\u00e4gt. Da ist der Pfarrer, der in einer leeren Kirche predigt, weil die Gemeinde ihn nicht anerkennt.<\/p>\n

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Als er die Orgel h\u00f6rte, r\u00e4usperte er sich, zupfte an seinem Talar und trat aus der Sakristei. Mit gesenktem Blick und schnellen Schritten ging er zu seinem Stuhl unter der Kanzel und setzte sich so, dass die Gemeinde ihn im Profil sehen konnte. Als die Orgel verstummte, wartete er einen Moment, bis das letzte Echo erstorben war, dann stand er auf und trat hinter den Opfertisch, auf dem zwischen zwei brennenden Kerzen Brot und Traubensaft bereitstanden. Die Kirche war leer.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Da ist das M\u00e4dchen, das ihr Lager im Wald aufschl\u00e4gt, weil es sich mit der Natur mehr in Einklang f\u00fchlt, als sie es im heimischen Chaos k\u00f6nnte. Aufwachsend zwischen betrunkenen Eltern und zertr\u00fcmmertem Mobiliar, setzt sie sich irgendwann bei einem Schulausflug ab und beteuert, sie laufe nicht vor etwas davon, sie laufe auf etwas zu –<\/p>\n

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Am schlimmsten waren nicht die Schl\u00e4ge oder die Schreie. Am schlimmsten war es, nach Hause zu kommen, und niemand war da. Die Erwartung, das Wissen, sie w\u00fcrden irgendwann kommen in der Nacht.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Einsamkeit, Verlust, ein schmaler Grad zwischen Realit\u00e4t und Wahnsinn, sind wiederkehrende Themen in Peter Stamms Erz\u00e4hlungen. Sie sind schmucklos, wie karge Landschaften. Sie geben wenig Hoffnung, vermitteln nicht etwa Zuversicht, sondern bilden die Sandk\u00f6rner im Getriebe allt\u00e4glicher Beziehungen ab wie sie sind. Das geh\u00f6rt vermutlich zu Peter Stamms unbestreitbaren Qualit\u00e4ten. Trotz ihrer N\u00fcchternheit gelingt es den Geschichten Stamms jedoch auch, Mitgef\u00fchl mit den Protagonisten zu wecken, sich in ihnen wiederzuentdecken, von Zeit zu Zeit.<\/p>\n

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Die formlose Pflanze mit ihren Luftwurzeln, die sinnlos ins Leere hingen, kam Sara vor wie ein Sinnbild ihres Lebens, langsam wuchernd bildete sie ein Blatt nach dem anderen, ohne die Aussicht, diesem Raum jemals zu entkommen.<\/p>\n<\/blockquote>\n

Peter Stamm zu lesen, bedeutet, sich einzulassen auf diese Stimmung, auf diese fragilen Augenblicke, in denen Gl\u00fcck und Ungl\u00fccklich so nahe beieinanderliegen, dass sie bisweilen nicht mehr voneinander zu trennen sind. Man schl\u00e4gt das Buch zu, stellt es ins Regal und h\u00e4ngt mit seinen Gedanken noch einige Zeit diesen fiktiven Menschen nach – diesen Menschen, die wir alle sind oder sein k\u00f6nnten.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Peter Stamm ist ein Schweizer Schriftsteller. Seine ersten literarischen Gehversuche waren m\u00fchsam und von vielen Absagen gepr\u00e4gt, Sein Roman Agnes wurde erst sechs Jahre nach Beendigung ver\u00f6ffentlicht. Er begann, Anglistik zu studieren, wechselte dann ins Studienfach Psychologie und war Praktikant in verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Ab 1990 war Stamm auch als Journalist f\u00fcr die NZZ, den Tages-Anzeiger und die Weltwoche t\u00e4tig. 2013 stand er auf der Shortlist des Man Booker Prizes. Wer Peter Stamm zum ersten Mal liest, dem wird sofort der eher n\u00fcchterne und distanzierte Stil ins Auge fallen, der wird bemerken, dass Stamm sich tats\u00e4chlich viel mehr in der Rolle des Beobachters, statt in der des ausschm\u00fcckenden Erz\u00e4hlers begreift. In “Seer\u00fccken” versammeln sich zehn Erz\u00e4hlungen, die alle, in unterschiedlicher Weise, menschliche Schicksale beleuchten, lakonisch und beil\u00e4ufig fast der Auspr\u00e4gung allt\u00e4glichen Leids nachsp\u00fcren. Was man sp\u00fcrt, in jeder einzelnen Geschichte und besonders in den mithin vielf\u00e4ltig interpretierbaren Enden ist ein gewisser Fatalismus, eine trockene Hoffnungslosigkeit. So ist das Leben eben. Da ist das Paar, das gemeinsam in den Urlaub f\u00e4hrt, zwischen sich eine Menge Distanz …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":3185,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1],"tags":[1073,1090,1352,1412,1480,1490],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2013\/07\/peterstamm.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3184"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=3184"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/3184\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/3185"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=3184"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=3184"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=3184"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}