{"id":1382,"date":"2012-10-26T11:23:37","date_gmt":"2012-10-26T11:23:37","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=1382"},"modified":"2012-10-26T11:23:37","modified_gmt":"2012-10-26T11:23:37","slug":"timur-vermes-er-ist-wieder-da","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2012\/10\/timur-vermes-er-ist-wieder-da\/","title":{"rendered":"Timur Vermes – Er ist wieder da"},"content":{"rendered":"

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Timur Vermes<\/a> ist ein deutscher Autor und Journalist. Er studierte Geschichte und Politik und schrieb f\u00fcr die “Abendzeitung” und den “K\u00f6lner Express” sowie einige andere Magazine. Seit 2007 ver\u00f6ffentlichte er als Ghostwriter vier B\u00fccher.<\/p>\n

Es ist wahrlich keine neue Idee, die Herr Vermes mit diesem Buch vorlegt. Witze \u00fcber Hitler und den Nationalsozialismus erfreuen sich nicht erst seit Chaplins “Der gro\u00dfe Diktator<\/em>” gro\u00dfer Beliebtheit. Auch Walter Moers muss in diesem Zusammenhang genannt werden, der mit seinen Adolf Comics den meisten vermutlich noch im Ged\u00e4chtnis ist. Nicht wenige Filme verulken den F\u00fchrer, zuletzt denke ich da an Helge Schneider. Es nimmt dem Unbegreiflichen, aber dennoch Omnipr\u00e4senten in unserer Gesellschaft den Schrecken und die Ernsthaftigkeit. Freilich kann man sich dar\u00fcber streiten, ob man dar\u00fcber Witze machen sollte – gemeinhin gilt ja bekanntlich seit Tucholsky: Satire darf alles<\/em>.<\/p>\n

Und so darf auch Timur Vermes Adolf Hitler im Sommer 2011 mitten in Berlin erwachen lassen. Warum und wie es eigentlich dazu kam, bleibt bis zum Schluss unegkl\u00e4rt und ist vielleicht f\u00fcr das Lesevergn\u00fcgen auch eher zweitrangig. Selbstverst\u00e4ndlich wei\u00df der Herr Hitler weder, in was f\u00fcr einer Zeit er sich befindet noch ist ihm bewusst, dass der Krieg l\u00e4ngst vorbei und er selbst nur noch Gegenstand sich st\u00e4ndig wiederholender Geschichtsdokumentationen ist. Er landet in einem Zeitungskiosk, wo er zun\u00e4chst angesichts des Datums in Ohnmacht f\u00e4llt, dann aber vom v\u00f6llig erstaunten Kioskbesitzer mit einem Glas Wasser und einem M\u00fcsliriegel wieder aufgepeppelt wird.<\/p>\n

“Nein, wirklich”, meinte er, “ich habe den Untergang gesehen. Zweimal. Bruno Ganz, der Mann war exzellent, aber an Sie kommt er nicht ran. Die ganze Haltung … man k\u00f6nnte meinen, Sie w\u00e4ren es.” Ich blickte auf. “Ich w\u00e4re was?” “Na, als w\u00e4ren Sie der F\u00fchrer!” Dabei hob er beide H\u00e4nde, legte Mittel – und Zeigefinger jeweils zusammen, kr\u00fcmmte sie vorn\u00fcber und zuckte mit ihnen zweimal auf und ab. Ich mochte es kaum glauben, aber es schien so, dass dies nach sechsundsechzig Jahren alles war, was vom einstmals strammen Deutschen Gru\u00df noch existierte. Es war ersch\u00fctternd, aber immerhin ein Zeichen, dass mein politisches Wirken zwischenzeitlich nicht vollkommen folgenlos geblieben war. Ich klappte den Arm zur\u00fcck, den Gru\u00df erwidernd: “Ich bin<\/strong> der F\u00fchrer.” Er lachte wieder: “Wahnsinn, das wirkt so nat\u00fcrlich!”\u00a0<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Es kommt, wie es kommen muss. Selbstverst\u00e4ndlich glaubt dem Herrn Hitler niemand, dass es sich bei ihm tats\u00e4chlich um den F\u00fchrer handelt und doch ist jeder beeindruckt ob seines originalgetreuen Habitus. Der Kioskbesitzer pflegt den einen oder anderen Kontakt zum Fernsehen und so geschieht es nahezu selbstverst\u00e4ndlich, dass Hitler zun\u00e4chst Teil einer Fernsehshow wird und dann eine ganz eigene erh\u00e4lt. Die Resonanz ist \u00fcberw\u00e4ltigend. St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck lernt Hitler die gesellschaftlichen Gepflogenheiten und technischen Errungenschaften unserer Zeit kennen, den Fernseher, den Computer, das Oktoberfest und auch die kl\u00e4glichen \u00dcberreste fanatischen Deutschtums – die NPD. Er bekommt auch eine Sekret\u00e4rin an die Seite gestellt, die, in dem Glauben, dass es sich bei seinen “Programmen” um Satire wider des Vergessens handelt, eifrig am Aufbau der neuen Bewegung mitarbeitet.<\/p>\n

Dann wandte sie sich wieder mir zu. “Wat hamse sich denn so vorjestellt, Meesta?” Ich seufzte. Sie also auch. Ich musste wohl ganz von vorn anfangen. “Zun\u00e4chst”, sagte ich, “hei\u00dft das nicht Meister, sondern F\u00fchrer. Also ‘Mein F\u00fchrer’, wenn Sie m\u00f6chten. Und ich m\u00f6chte, dass Sie anst\u00e4ndig gr\u00fc\u00dfen, wenn sie hier hereinkommen.” “Jr\u00fc\u00dfen?” “Mit dem Deutschen Gru\u00df nat\u00fcrlich! Mit dem erhobenen rechten Arm.” Begreifend leuchtete ihr Gesicht auf, dann war sie mit einem Satz auf den Beinen: “Ick hab det ja jewusst! Jenau det isset doch! Messed Ekting! Soll ick et jleich ma’ machen?”<\/em><\/p>\n

Ich nickte zustimmend. Sie eilte aus der T\u00fcr, schloss sie, klopfte an und als ich ‘Herein’ sagte, trat sie ein, riss ihren Arm senkrecht in die H\u00f6he und schrie: “JUTEN MORJEN, MEEN F\u00dcHRA!” Und dann f\u00fcgte sie hinzu: “Det jeh\u00f6rt so jeschrien, wa? Ick hab det ma’ innem Film jesehen.” Dann hielt sie erschrocken inne und br\u00fcllte: “ODA JEH\u00d6RT DET ALLET JESCHRIEN? HAM DIE BEI DEM HITLA IMMA ALLE DAUERND JESCHRIEN?” Sie musterte mein Gesicht und sagte wieder in einer besorgten, aber normalen Stimmlage: “Det war jetz ooch wieder falsch, oda? Det tut ma leid! Nehmn Sie jetze wen anderet?”<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Viel der Komik entsteht aus konsequenten Missverst\u00e4ndnissen zwischen Hitler und seiner Umgebung. W\u00e4hrend man ihn f\u00fcr ein ziemlich konsequentes Double und einen herausragenden Gesellschaftskritiker h\u00e4lt, plant Hitler bereits mit allen ihm zur Verf\u00fcgung stehenden M\u00f6glichkeiten die \u00dcbernahme der politischen Geschicke. Und trotzdem es hier einige L\u00e4ngen und Plattit\u00fcden gibt, die nicht h\u00e4tten sein m\u00fcssen, habe ich mehrfach schallend gelacht. Vermes schafft es nicht nur, Hitler hier als \u00fcberzeugenden Kritiker der Gesellschaft darzustellen, sondern durch die breite Anerkennung seiner Person auch noch auf einer ganz anderen Ebene Kritik zu \u00fcben. Zwar regen sich hier und da kritische Stimmen \u00fcber den Mann, der in seiner Show so deutlich nationalistisch und antisemitisch gef\u00e4rbte Aussagen ins Publikum schleudert, doch meint die gesamte Presselandschaft darin sehr schnell eine Genialit\u00e4t zu erkennen, die ihresgleichen sucht! Von nirgendwo erf\u00e4hrt Hitler die n\u00f6tige Gegenwehr. Einzig die Bildzeitung – schon das ist ironisch genug – beklagt sich zun\u00e4chst noch \u00fcber diese Geschmacklosigkeit, bis es zum gesellschaftlichen Konsens geh\u00f6rt, dass dieser Mann, der sich Adolf Hitler nennt, ein k\u00fcnstlerisches Genie ist.<\/p>\n

Insgesamt ein sehr unterhaltsames und auch sprachlich \u00fcberraschend hochwertiges Buch! Aus der Sicht Hitlers geschrieben finden sich nat\u00fcrlich auch einige S\u00e4tze darin, \u00fcber die man zun\u00e4chst stolpern muss, aber wer aus der Wahrnehmung eines Antisemiten heraus unsere Gesellschaft beschreibt, kann nur auf diese Weise authentisch gezeichnet werden. Und nicht zuletzt muss auch der Verlag lobend erw\u00e4hnt werden, der mit der Gestaltung des Buches eindeutig f\u00fcr einen Lacher sorgt, bevor man es \u00fcberhaupt aufgeschlagen hat. Es kostet n\u00e4mlich 19, 33 Euro<\/em>.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Timur Vermes ist ein deutscher Autor und Journalist. Er studierte Geschichte und Politik und schrieb f\u00fcr die “Abendzeitung” und den “K\u00f6lner Express” sowie einige andere Magazine. Seit 2007 ver\u00f6ffentlichte er als Ghostwriter vier B\u00fccher. Es ist wahrlich keine neue Idee, die Herr Vermes mit diesem Buch vorlegt. Witze \u00fcber Hitler und den Nationalsozialismus erfreuen sich nicht erst seit Chaplins “Der gro\u00dfe Diktator” gro\u00dfer Beliebtheit. Auch Walter Moers muss in diesem Zusammenhang genannt werden, der mit seinen Adolf Comics den meisten vermutlich noch im Ged\u00e4chtnis ist. Nicht wenige Filme verulken den F\u00fchrer, zuletzt denke ich da an Helge Schneider. Es nimmt dem Unbegreiflichen, aber dennoch Omnipr\u00e4senten in unserer Gesellschaft den Schrecken und die Ernsthaftigkeit. Freilich kann man sich dar\u00fcber streiten, ob man dar\u00fcber Witze machen sollte – gemeinhin gilt ja bekanntlich seit Tucholsky: Satire darf alles. Und so darf auch Timur Vermes Adolf Hitler im Sommer 2011 mitten in Berlin erwachen lassen. Warum und wie es eigentlich dazu kam, bleibt bis zum Schluss unegkl\u00e4rt und ist vielleicht f\u00fcr das Lesevergn\u00fcgen auch eher zweitrangig. Selbstverst\u00e4ndlich wei\u00df der …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":1383,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[839],"tags":[1055,1473,1551],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2012\/10\/048280468-er-ist-wieder-da.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1382"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=1382"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1382\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/1383"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=1382"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=1382"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=1382"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}