{"id":12832,"date":"2020-02-28T09:00:00","date_gmt":"2020-02-28T07:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/literatourismus.net\/?p=12832"},"modified":"2020-01-16T15:44:51","modified_gmt":"2020-01-16T13:44:51","slug":"jasmin-schreiber-marianengraben","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2020\/02\/jasmin-schreiber-marianengraben\/","title":{"rendered":"Jasmin Schreiber – Marianengraben"},"content":{"rendered":"

Paulas kleiner Bruder Tim ist gestorben. Bei einem Urlaub mit den Eltern ist er, der \u201eMeeresforscher\u201c, im Meer ertrunken. Und nichts ist mehr wie es war. Jasmin Schreiber erz\u00e4hlt in Marianengraben zwar von Tod und Abschiednehmen, gleichzeitig aber genauso sehr vom Leben \u2013 das eine l\u00e4sst sich nicht vom anderen trennen.<\/strong><\/p>\n

11000 Meter ist der Marianengraben tief. Darin nicht nur die tiefste Stelle des Weltmeeres, sondern zahllose unentdeckte Tierarten zweifelhafter Sch\u00f6nheit. Dort, wo das Sonnenlicht niemals ankommt, leuchten und blinken biolumineszente Lebewesen in der Dunkelheit. F\u00fcr Paula ist der Marianengraben ein Sinnbild ihrer Trauer: tief, d\u00fcster, allumfassend. Sie f\u00fchlt sich wie ein Fallen an in 11000 Meter Tiefsee. Nur folgerichtig, dass die Kapitel in Marianengraben Kilometerzahlen sind. St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck steigt Paula wieder an die Oberfl\u00e4che. Zun\u00e4chst aber sitzt sie beim Therapeuten und spricht mit ihm \u00fcber Nudeln, weil sie alles andere nicht in Worte fassen kann. Der Therapeut r\u00e4t ihr, den Friedhof aufzusuchen, wenn kein anderer dort ist und obwohl Paula das absurd erscheint, beherzigt sie den Ratschlag. Mit einer Trittleiter im Schlepptau bricht sie auf den Friedhof ein und setzt sich an das Grab ihres Bruders.<\/p>\n

Auf dem Friedhof trifft sie schlie\u00dflich Helmut, einen \u00e4lteren Herrn in seinen Achtzigern, der mit einem Spaten versucht, Helga auszugraben. Nicht, weil er ein konventioneller Grabr\u00e4uber w\u00e4re, sondern weil er ein Versprechen erf\u00fcllen will, dass er Helga zu Lebzeiten gegeben hat. Und dann ging alles ganz schnell \u2013 Helga war weg und Helmut noch da. Paula und Helmut bilden in der Folge eine skurrile kleine Reisegruppe; getrennt durch zahlreiche Jahrzehnte Leben, vereint durch die gemeinsame Erfahrung des Verlusts. Es geht im Wohnmobil in die Berge.<\/p>\n

Die ersten Stunden sa\u00df ich meinem Therapeuten gegen\u00fcber, der mich fragte, wie es mit den Medikamenten so liefe, und mich anschlie\u00dfend f\u00fcnfzig Minuten anschwieg, w\u00e4hrend ich irgendwas aus mir selbst sch\u00f6pfen sollte. Doch in mir gab es nichts zu sch\u00f6pfen, ich sa\u00df im Marianengraben mit einer kleinen Suppenkelle und sollte damit all das Wasser und den Schmerz aus mir herausholen (…)<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Jasmin Schreiber erz\u00e4hlt einf\u00fchlsam und nahbar, aber auch humorvoll von diesen Erfahrungen. Sie wei\u00df, wovon sie schreibt. Seit 2018 betreibt sie den Blog Sterben \u00fcben<\/i><\/a>, in dem sie sich mit Tod, Trauer und Krankheit auseinandersetzt. Sie begleitet ehrenamtlich Menschen, die sterben oder trauern und fotografiert professionell sogenannte \u201eSternenkinder\u201c – Kinder, die bereits tot auf die Welt kommen oder kurz nach der Geburt versterben. Die Bilder sollen den Eltern und Angeh\u00f6rigen Erinnerung sein und das Abschiednehmen erm\u00f6glichen. Jasmin Schreiber besch\u00e4ftigt sich daher fast folgerichtig in ihrem Deb\u00fctroman mit diesem Thema, \u00fcber das ungern gesprochen wird. Wer es sich leisten kann, nicht dar\u00fcber nachzudenken, der l\u00e4sst es besser bleiben. Dabei k\u00f6nnte die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit (und freilich auch der nahestehender Menschen) etwas Gutes sein. Schlie\u00dflich ist der Tod keine Ausnahme und keine singul\u00e4re Erfahrung.<\/p>\n

Marianengraben<\/em> gelingt es, \u00fcber das Sterben zu erz\u00e4hlen, ohne d\u00fcster zu sein. Es erz\u00e4hlt vom Trauern und wie es gelingen kann, aus der marianengrabenhaften Tiefe der Trauer aufzusteigen, um weiterzuleben. Denn auch das steckt im Text: viele lebenswerte Momente der Freude, der Mitmenschlichkeit, des Miteinanders. Der Roman verbindet Leben und Sterben, weil eines untrennbar zum anderen geh\u00f6rt. Und er macht deutlich: Trauern und sterben sind so individuell wie die Menschen selbst.<\/p>\n

Jasmin Schreiber: Marianengraben. eichborn Verlag. 256 Seiten. 22,00 \u20ac.<\/span><\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Paulas kleiner Bruder Tim ist gestorben. Bei einem Urlaub mit den Eltern ist er, der \u201eMeeresforscher\u201c, im Meer ertrunken. Und nichts ist mehr wie es war. Jasmin Schreiber erz\u00e4hlt in Marianengraben zwar von Tod und Abschiednehmen, gleichzeitig aber genauso sehr vom Leben \u2013 das eine l\u00e4sst sich nicht vom anderen trennen. 11000 Meter ist der Marianengraben tief. Darin nicht nur die tiefste Stelle des Weltmeeres, sondern zahllose unentdeckte Tierarten zweifelhafter Sch\u00f6nheit. Dort, wo das Sonnenlicht niemals ankommt, leuchten und blinken biolumineszente Lebewesen in der Dunkelheit. F\u00fcr Paula ist der Marianengraben ein Sinnbild ihrer Trauer: tief, d\u00fcster, allumfassend. Sie f\u00fchlt sich wie ein Fallen an in 11000 Meter Tiefsee. Nur folgerichtig, dass die Kapitel in Marianengraben Kilometerzahlen sind. St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck steigt Paula wieder an die Oberfl\u00e4che. Zun\u00e4chst aber sitzt sie beim Therapeuten und spricht mit ihm \u00fcber Nudeln, weil sie alles andere nicht in Worte fassen kann. Der Therapeut r\u00e4t ihr, den Friedhof aufzusuchen, wenn kein anderer dort ist und obwohl Paula das absurd erscheint, beherzigt sie den Ratschlag. Mit einer Trittleiter im Schlepptau bricht …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":12833,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[2585,2584,1553,2574],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2020\/01\/marianengraben.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12832"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=12832"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12832\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":12835,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12832\/revisions\/12835"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/12833"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=12832"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=12832"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=12832"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}