{"id":12814,"date":"2020-01-16T12:58:19","date_gmt":"2020-01-16T10:58:19","guid":{"rendered":"https:\/\/literatourismus.net\/?p=12814"},"modified":"2020-01-16T13:50:04","modified_gmt":"2020-01-16T11:50:04","slug":"bodo-wartke-feat-sophokles-antigone","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2020\/01\/bodo-wartke-feat-sophokles-antigone\/","title":{"rendered":"Bodo Wartke feat. Sophokles: Antigone"},"content":{"rendered":"\n
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Wer Klassiker liest oder im schulischen Kontext lesen muss, hat nicht selten Ber\u00fchrungs\u00e4ngste. Je \u00e4lter der Text, desto schwieriger der Zugang. Wer kein ge\u00fcbte*r Leser*in ist, hadert bisweilen auch mit einer Sprache, die weit entfernt ist vom eigenen Alltagsgebrauch; ganz abgesehen von kulturellen oder religi\u00f6sen Referenzen, die damals verst\u00e4ndlich waren und heute Fu\u00dfnoten brauchen. Klavierkabarettist Bodo Wartke dachte sich \u00c4hnliches, als in der Oberstufe K\u00f6nig \u00d6dipus<\/i> auf dem Lehrplan stand \u2013 und schrieb Sophokles\u2018 Trag\u00f6die sp\u00e4ter einfach neu, mit gro\u00dfem Erfolg. Es wurde ein 1-Personen-Theaterst\u00fcck mit zeitgen\u00f6ssischen Anspielungen, vielen Reimen und einem erleichterten Zugang f\u00fcr alle, die sich zuvor die Z\u00e4hne am Text ausgebissen haben.<\/p>\n

Mit Antigone<\/i> gibt es jetzt gewisserma\u00dfen das Sequel<\/i>. Wie schon 2013 mit K\u00f6nig \u00d6dipus<\/i><\/a> habe ich mich hingesetzt und sowohl Sophokles\u2018 wie auch Wartkes Antigone<\/i> gelesen. Die Geschichte ist schnell umrissen: Die Br\u00fcder Eteokles und Polyneikes (S\u00f6hne des \u00d6dipus, Br\u00fcder von Antigone und Ismene) geraten \u00fcber die Thronfolge Thebens in Streit. \u00d6dipus hatte verf\u00fcgt, dass zuerst der eine und nach einem Jahr der Regentschaft schlie\u00dflich der andere \u00fcber die Stadt regieren soll. Als Eteokles seinen Platz nicht r\u00e4umen will, zieht Polyneikes mit dem Heer der Sieben gegen die Stadt und seinen Bruder in die Schlacht. Die Br\u00fcder t\u00f6ten sich im Gefecht und w\u00e4hrend Eteokles ein angemessenes Begr\u00e4bnis erh\u00e4lt, verf\u00fcgt Kreon, der nun die Herrschaft \u00fcbernommen hat, Polyneikes d\u00fcrfe als Verr\u00e4ter nicht bestattet werden.<\/p>\n

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Nun ist es ein g\u00f6ttliches Gesetz, dass die Toten bestattet geh\u00f6ren, ganz gleich, was sie im Leben taten \u2013 also setzt sich Antigone \u00fcber Kreons Verf\u00fcgung hinweg und bestattet ihren Bruder. Kreon ist erbost und will an Antigone ein Exempel statuieren: Wenn er als K\u00f6nig seine Anordnungen nicht einmal im n\u00e4chsten Kreis durchsetzt, droht das Chaos. Und in Theben hat es in der Vergangenheit schlie\u00dflich Chaos (Pest, Sphinx usw.) genug gegeben (ha, ein Reim!). Kreon verurteilt Antigone, die ihre Tat zu keinem Zeitpunkt leugnet und von deren Richtigkeit \u00fcberzeugt ist, zum Tod. Sie soll vor der Stadt in ein Felsengrab eingemauert werden. Versuche ihn umzustimmen scheitern zun\u00e4chst: weder sein Sohn Haimon (Verlobter von Antigone) noch der Chor sto\u00dfen zu Kreon vor (Reim II), erst der Seher Teiresias hat schlie\u00dflich Erfolg. Wie es sich f\u00fcr antike Trag\u00f6dien geh\u00f6rt nat\u00fcrlich viel zu sp\u00e4t.

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Wartkes Bearbeitung setzt nun an vielen Stellen an, um das St\u00fcck zu beleben. Wie es ihm eigen ist, wird hemmungslos gereimt, aber nicht nur das: Er integriert zwei Sprecher ins St\u00fcck (verk\u00f6rpert von Wartke und seiner famosen B\u00fchnenpartnerin Melanie Haupt), die am Rande der Handlung stehen und eine Beobachterposition einnehmen. Sie kommentieren immer wieder das Geschehen, ordnen es in einen gr\u00f6\u00dferen erz\u00e4hlerischen Kontext oder sind selbst erschrocken und \u00fcberrascht angesichts der Geschehnisse – sie bilden gleichsam die Verk\u00f6rperungen der Leser- und Zuh\u00f6rerschaft. Obwohl Wartkes St\u00fcck nur Antigone<\/i> hei\u00dft, besteht es auf der Handlungsebene aus zwei St\u00fccken. Die Bearbeitung umfasst auch Sophokles\u2018 \u00d6dipus auf Kolonos, <\/i>das gewisserma\u00dfen die Vorgeschichte zu dem enth\u00e4lt, was in Antigone<\/i> relevant wird. Das St\u00fcck einfach einzuarbeiten und damit einen gr\u00f6\u00dferen Handlungsbogen zu spannen, ist ein cleverer Schachzug. Selbst ein kurzer Rekurs auf K\u00f6nig \u00d6dipus<\/i> ist in Form eines Lieds enthalten. Am Ende ist also die ganze Geschichte f\u00fcr jeden nachvollziehbar und verst\u00e4ndlich, selbst wenn er oder sie von den Vorgeschichten und vergangenen Verstrickungen nichts wei\u00df.<\/p>\n