{"id":12792,"date":"2019-10-24T18:36:22","date_gmt":"2019-10-24T16:36:22","guid":{"rendered":"https:\/\/literatourismus.net\/?p=12792"},"modified":"2019-10-24T18:37:39","modified_gmt":"2019-10-24T16:37:39","slug":"kurz-knapp-teil-319","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2019\/10\/kurz-knapp-teil-319\/","title":{"rendered":"Kurz & knapp, Teil 3\/19."},"content":{"rendered":"\n
<\/a>Es ist ein Irrglaube, dass soziale Medien und neue Technologien den Extremismus erst hervorbr\u00e4chten, der allenthalben auf ihnen zu sehen ist. Nichtsdestotrotz fungieren sie als Katalysatoren f\u00fcr Fundamentalisten, beschleunigen Radikalisierungsprozesse, geben Instrumentarium an die Hand, das es noch vor zwanzig Jahren in dieser Form nicht gab. Obwohl Fundamentalisten, ob am rechten Rand oder im islamistischen Milieu, eine r\u00fcckw\u00e4rtsgewandte Ideologie vertreten, machen sie sich modernste Techniken zunutze, um sie zu verbreiten. Julia Ebner (die bereits mit Wut<\/a> ein Buch \u00fcber die Funktionsmechanismen extremistischer Propaganda geschrieben hat) liefert in Radikalisierungsmaschinen<\/em> einen Einblick in verschiedene Gruppierungen: Identit\u00e4re und die Neue Rechte, Antifeministinnen, Dschihadisten, militante M\u00e4nnerrechtler, ein Datingportal ausschlie\u00dflich f\u00fcr Wei\u00dfe. Sie untersucht, wie deren Medien- und Mobilisierungsstrategien funktionieren und demaskiert damit nicht nur innere Widerspr\u00fcche, sondern auch interne Strategien. So gibt die Alt-Right rund um die Demonstrationen in Charlottesville die Anweisung heraus, Anh\u00e4nger geringerer Attraktivit\u00e4t sollten lieber zuhause bleiben. Nazis sind heute adrett und gutaussehend. Wer das nicht ausstrahlt, gef\u00e4hrdet den Erfolg der Gruppe. Ebner macht deutlich, dass extremistische Gruppen mittels modernster Technologien den Diskurs bestimmen, obwohl sie gesamtgesellschaftlich betrachtet deutlich in der Minderheit sind. Sie verzerren ihre Diskursmacht, um am Ende genau die tats\u00e4chlich an sich zu rei\u00dfen. Und das Buch stellt klar: Es gibt nicht nur die gro\u00dfen Plattformen<\/span> des Silicon Valley. Strafrechtlich Relevantes wird l\u00e4ngst auf anonyme Plattformen, Imageboards und Server outgesourced oder findet in Gruppen mit strikter Zugangsbeschr\u00e4nkung statt. Ein wichtiges, aber auch erschreckendes Buch, das man unbedingt lesen sollte!<\/p>\n Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen. Suhrkamp. 334 Seiten. 18,00 \u20ac<\/em>.<\/span><\/p>\n <\/a>Levi ist elf und unfreiwilliger Zeuge, als seine Mutter get\u00f6tet wird. Verst\u00f6rt und verwirrt von den Ereignissen entwendet er auf ihrer Beerdigung die Urne und zieht sich auf das Dach seines Wohnhauses in ein Zelt zur\u00fcck. Er muss nachdenken, sich und die Welt neu ordnen, nachdem der Tod in sie hereingebrochen ist. Hilfe erh\u00e4lt er dabei von Kioskbesitzer Kolja, einem ehemaligen Kriegsfotografen und Vincent, einem etwas mysteri\u00f6sen Nachbarn, der hin und wieder in schr\u00e4ge Gesch\u00e4fte verwickelt ist. Sie alle eint die Begegnung mit dem Tod ihnen nahestehender Menschen, sie alle versuchen sich einen Reim darauf zu machen, was das bedeutet. Carmen Buttjers Roman kommt von Beginn an schr\u00e4g (oder, wie der Klappentext es nennt, “eigenwillig”) daher, etwas m\u00e4rchenhaft gar, was nicht unwesentlich an Levis Perspektive liegt und die grausamen Ereignisse erz\u00e4hlerisch etwas abfedert. Der Junge ist au\u00dferordentlich klug und fantasiebegabt, immer wieder kreuzen sich vermeintliche Wirklichkeit und Levis Interpretation. Die Gro\u00dfstadt ist mehr Dschungel als Stadt und \u00fcber allem liegt eine Bedrohung, die den Text vereinzelt Richtung Kriminalroman kippen l\u00e4sst: Wer hat Levis Mutter – eine Pathologin – get\u00f6tet? Und warum l\u00fcgt sein Vater, als die Polizei ihn fragt, wo er am Tatabend gewesen ist? Levi<\/em> steckt, trotz aller Ernsthaftigkeit, voller wunderbarer Passagen, Dialoge und Bilder, die Ann\u00e4herung sind an das Unbegreifliche. Ein gelungener Roman mit einem ganz eigenen Sound.<\/p>\n Carmen Buttjer: Levi. Galiani. 272 Seiten. 20,00 \u20ac.<\/em><\/span><\/p>\n <\/a>Als der Spiegel im Dezember 2018 bekanntgibt, dass einer seiner Reporter Texte in gro\u00dfem Stil gef\u00e4lscht hat, ersch\u00fcttert das eine ganze Branche bis ins Mark. Journalismus lebt nicht nur von guter und sauberer Recherche, er ist auch auf das Vertrauen von Leser*innen angewiesen, die in der Regel nicht alle Behauptungen haarklein nachrecherchieren k\u00f6nnen. In einer Zeit, in der gesellschaftliche Institutionen und ihre Glaubw\u00fcrdigkeit permanent seitens extremistischer Kr\u00e4fte unter Beschuss stehen, ist ein Fall wie der von Claas Relotius verheerend. Juan Moreno, selbst Reporter beim Spiegel und der Mann, der das “System Relotius”, wie er es nennt, gegen gro\u00dfe interne Widerst\u00e4nde schlie\u00dflich aufgedeckt hat, hat nun ein Buch \u00fcber den Fall geschrieben. Tausend Zeilen L\u00fcge<\/em> rekonstruiert minuti\u00f6s den Ablauf und seine Bem\u00fchungen, Relotious – der zu diesem Zeitpunkt bereits als Leiter f\u00fcr das Gesellschaftsressort in Position gestanden hatte – die F\u00e4lschungen nachzuweisen. Offensichtlich musste das Buch schnell geschrieben werden: nicht nur finden sich zahlreiche Schreibfehler und manche Redundanz, sondern angeblich auch Ungenauigkeiten im Text, die Relotius nun dazu gebracht haben, juristisch gegen Morenos Buch vorzugehen<\/a>. Wie erfolgreich oder berechtigt das ist, vermag ich nicht zu beurteilen – dass Moreno nicht mit Personen gesprochen habe, die Relotius kannten, stellt das Buch anders dar; an Relotius F\u00e4lschungen \u00e4ndert das wenig. Dessen ungeachtet muss ein Buch, das journalistische Erfindungen zu recht anprangert, sich gefallen lassen, dass an seine Darstellungen ein hoher Ma\u00dfstab angelegt wird. Wohin dieser Einspruch Relotius’ nun f\u00fchrt, wird sich zeigen: Alles in allem liefert Moreno eine fl\u00fcssig und schl\u00fcssig geschriebene Rekapitalution der Ereignisse und m\u00f6gliche Erk\u00e4rungsans\u00e4tze f\u00fcr Relotius’ grandiosen Erfolg. Viele Fragen wurden dazu aufgeworfen, u.a. zum Stil der Reportage generell oder zum Zustand eines Metiers, das in Relotius ein langersehntes Mittel gegen schwindende Auflagen zu erkennen meinte. Meines Erachtens ist Moreno vor allem dort stark, wo er offen und selbstkritisch \u00fcber diese Fragen nachdenkt.<\/p>\n