{"id":12417,"date":"2018-10-12T13:58:36","date_gmt":"2018-10-12T11:58:36","guid":{"rendered":"https:\/\/literatourismus.net\/?p=12417"},"modified":"2018-10-12T14:02:25","modified_gmt":"2018-10-12T12:02:25","slug":"kurz-und-knapp-rezensiert-im-oktober","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2018\/10\/kurz-und-knapp-rezensiert-im-oktober\/","title":{"rendered":"Kurz und knapp rezensiert im Oktober!"},"content":{"rendered":"

Der Oktober bringt zwei Graphic Novels mit starken weiblichen Protagonistinnen, ein d\u00fcsteres M\u00e4rchen vom Ende der Welt und einen Blick in das Innenleben einer Trollfabrik.<\/strong><\/p>\n

\"\"<\/a>Es geh\u00f6rt zu den erfreulichen Begleiterscheinungen der Debatten \u00fcber die Marginalisierung weiblicher, queerer Perspektiven oder beschr\u00e4nkender Geschlechterstereotype, dass immer mehr Erz\u00e4hlungen aus solchen Blickwinkeln sichtbar werden. Bei Reprodukt sind in diesem Herbst gleich zwei Titel erschienen, die starke weibliche Hauptfiguren haben. Pirouetten<\/em> von Tillie Walden dreht sich vor allem autobiographisch um das Suchen und Finden der eigenen Identit\u00e4t vor dem Hintergrund einer Sportart, die nach sehr starren, stereotypen Regeln funktioniert. Aufgewachsen in einer Familie, in der die Mutter keinen verl\u00e4sslichen Ankerpunkt f\u00fcr Tillie bietet, beginnt sie fr\u00fch mit dem Eiskunstlauf. Insbesondere wegen ihrer ersten Trainerin, deren F\u00fcrsorge f\u00fcr sie ein Ersatz ist f\u00fcr die desinteressierte Mutter, bleibt sie dabei. Je \u00e4lter sie wird, desto mehr beginnt Tillie zu hinterfragen, was der Eiskunstlauf ihr wirklich bedeutet. Sie erz\u00e4hlt vom Erwachsenwerden, einem traumatischen \u00dcbergriff, von ihrem Coming-Out und den Schwierigkeiten, die ein Sport bedeutet, der, was Auftreten und Aussehen betrifft, f\u00fcr Frauen sehr klare Normen definiert. Pirouetten<\/em> ist sehr einf\u00fchlsam und geduldig erz\u00e4hlt, intim und ber\u00fchrend.<\/p>\n

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Katja Klengel schl\u00e4gt in ihrem essayistischen Comic Girlsplaining<\/em> eine \u00e4hnliche Richtung ein wie schon Liv Str\u00f6mquists Der Ursprung der Welt<\/em><\/a>. Klengel schickt ihr launiges Alter-Ego in einzelnen Kapiteln auf die Suche nach zu oft beschwiegenen, feministischen Themen des Alltags: Das Entdecken der eigenen Sexualit\u00e4t und des eigenen K\u00f6rpers, Sch\u00f6nheitsideale, Rollenerwartungen und die Folgen, wenn man sich ihnen widersetzt. \"\"<\/a>Wir halten uns gemeinhin f\u00fcr aufgekl\u00e4rt und liberal, als seien wir l\u00e4ngst am Ende der Reise. Wie sehr uns aber starre Konzepte von Geschlechterrollen und die Art, wie wir \u00fcber K\u00f6rper, insbesondere weibliche, sprechen, noch immer beeinflussen, macht Katja Klengel deutlich. Das tut sie sehr humorvoll, offen und unverkrampft. Nur so werden am Ende auch Tabus aufgebrochen, Gespr\u00e4che er\u00f6ffnet. Katja Klengels Comic hat das Potential jungen Frauen Mut zu machen, von den ausgetretenen Pfaden abzuweichen. Zu sich zu stehen, zu ihren Leidenschaften, ihren Hobbies, ihrem K\u00f6rper. Sich von Erwartungen zu emanzipieren, die, implizit oder explizit, in gesellschaftlichen Kontexten \u00fcberall unentwegt an sie herangetragen werden. So lange es – exemplarisch an dieser Stelle genannt – noch immer heftigen Gegenwind insbesondere m\u00e4nnlicherseits gibt, wenn Frauen \u00f6ffentlich z.B. \u00fcber Menstruation sprechen (“Ih! Eklig! Total pervers, dar\u00fcber zu reden!”), mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass Hygieneartikel f\u00fcr Frauen noch immer dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen, ist es noch ein weiterer Weg. Girlsplaining<\/em> leistet einen lesenswerten Beitrag dazu.<\/p>\n

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Tillie Walden: Pirouetten. Aus dem Englischen von Sven Scheer. Reprodukt Verlag. 400 Seiten. 29,00 \u20ac.
\nKatja Klengel: Girlsplaining. Reprodukt Verlag. 160 Seiten. 18,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n

\"\"<\/a>Ein Dorf irgendwo im Hinterland. Zwei M\u00e4dchen, deren Mutter von einem Tag auf den anderen spurlos verschwindet. In Warten auf Schnee<\/em> erz\u00e4hlt Karoline Menge von einer Dorfgemeinschaft, die aus ungekl\u00e4rten Gr\u00fcnden auseinanderf\u00e4llt. Was zun\u00e4chst klingt wie eine typisch gegenw\u00e4rtige, realistische Geschichte ver\u00f6dender Landstriche in der Peripherie, entwickelt sich zu einem d\u00fcsteren Schauerm\u00e4rchen mit Horrorelementen. Die Bewohner*innen des Dorfes verschwinden, ziehen nicht einfach um, sondern lassen ihre Habseligkeiten zur\u00fcck, niemand sieht sie gehen. Die Grenze des Dorfes scheint die Grenze der Welt zu sein, niemand wei\u00df genau, was hinter den H\u00fcgeln und dem Wasserturm liegt. Pauli und Karine, am Ende die einzigen Kinder und beinahe die letzten Menschen im Dorf, versuchen zu erkunden, was geschehen ist. Sie steigen in verlassene H\u00e4user ein, finden dabei allerlei Erschreckendes und Gruseliges. Karoline Menge baut in diese Geschichte der schleichenden Aufl\u00f6sung immer wieder \u00fcbersinnliche Elemente ein: Insekten, die niemand sehen kann, aber die sich der Dorfbev\u00f6lkerung vor ihrem Verschwinden bem\u00e4chtigen als sei sie bereits verschieden. Eine Horde Spinnen, die den Familienhund anfallen und wesensver\u00e4ndert zur\u00fccklassen. Bewusstseinszust\u00e4nde zwischen Traum und Realit\u00e4t. Eine zweifelhafte Geistesverfassung der verschwundenen Mutter. Das alles ist atmosph\u00e4risch, bedr\u00fcckend, fast ein bisschen klaustrophobisch, aber auch sehr vage. Denkbar, dass ich Wesentliches nicht verstanden habe. Am Ende aber klappe ich den Roman zu und frage mich: Was ist eigentlich passiert? Und warum? Meine Fragen bleiben unbeantwortet.<\/p>\n

Karoline Menge: Warten auf Schnee. Frankfurter Verlagsanstalt. 200 Seiten. 20,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n

\"\"<\/a>Das Wort “hochaktuell” wird gerade in Rezensionen gern \u00fcberstrapaziert. Hier aber will ich es, in vollster \u00dcberzeugung seiner Angemessenheit, einfach dennoch verwenden. In Troll erz\u00e4hlt Michal Hvorecky von einer nahen Zukunft in Osteuropa. Die Menschen leben in einem totalit\u00e4ren System, dessen Informationspolitik l\u00e4ngst nicht mehr auf Fakten beruht, sondern den Wert einer Meldung an der Aufmerksamkeit bemisst, die sie reagiert. Der Protagonist, ein \u00fcbergewichtiger Sonderling, der schon fr\u00fch mit gesundheitlichen Problemen k\u00e4mpft, weil seine Eltern ihn nie haben impfen lassen, trifft im Krankenhaus auf eine junge, drogenabh\u00e4ngige Frau. Die beiden freunden sich an und beschlie\u00dfen, eine Trollfabrik<\/a> von innen heraus zu zersetzen. Beide schleusen sich in eine der bekanntesten Fabriken ein und erschaffen von da an Falschmeldungen am Flie\u00dfband. Sie mnaipulieren, erfinden, diffamieren, beleidigen und sind atemberaubend erfolgreich damit. Aus dem Auge des Sturms, den sie entfesseln, beobachten sie die Erosion der Gesellschaft in rivalisierende, aufgehetzte Kleinstgruppen. Es gelingt ihnen sogar, ihre Falschmeldungen bei ehemals seri\u00f6sen Nachrichtensendern zu platzieren. Niemanden k\u00fcmmert mehr, was wahr ist, wenn es sich wahr anf\u00fchlt. Je tiefer sie Abtauchen in die Welt der Trolle, desto zweifelhafter wird, ob sie den Absprung schaffen. Michal Hvoreckys Roman ist ein beklemmendes Szenario, das vor allem deshalb Angst ausl\u00f6st, weil es so plausibel ist. Troll<\/em> entwirft das Bild einer Gesellschaft, in der grundlegende Werte und Bezugsgr\u00f6\u00dfen nicht mehr gelten, in denen es weder ein funktionierendes Informationswesen gibt noch ein ad\u00e4quates Gesundheitssystem oder einen funktionierenden Polizeiapparat. Gezeigt wird eine Gesellschaft, die angetrieben wird vom Hass, den einzelne – aus Abenteuerlust, aus Geldgier, aus dem Gef\u00fchl einer Notwendigkeit heraus – s\u00e4en und verbreiten. Hvorecky hat den Roman geschrieben zum “postfaktischen” Zeitalter. Rasant, pointiert und ja, ganz ehrlich, ziemlich be\u00e4ngstigend.<\/p>\n

Michal Hvorecky: Troll. Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch. Tropen Verlag. 215 Seiten. 18,00 \u20ac<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Der Oktober bringt zwei Graphic Novels mit starken weiblichen Protagonistinnen, ein d\u00fcsteres M\u00e4rchen vom Ende der Welt und einen Blick in das Innenleben einer Trollfabrik. Es geh\u00f6rt zu den erfreulichen Begleiterscheinungen der Debatten \u00fcber die Marginalisierung weiblicher, queerer Perspektiven oder beschr\u00e4nkender Geschlechterstereotype, dass immer mehr Erz\u00e4hlungen aus solchen Blickwinkeln sichtbar werden. Bei Reprodukt sind in diesem Herbst gleich zwei Titel erschienen, die starke weibliche Hauptfiguren haben. Pirouetten von Tillie Walden dreht sich vor allem autobiographisch um das Suchen und Finden der eigenen Identit\u00e4t vor dem Hintergrund einer Sportart, die nach sehr starren, stereotypen Regeln funktioniert. Aufgewachsen in einer Familie, in der die Mutter keinen verl\u00e4sslichen Ankerpunkt f\u00fcr Tillie bietet, beginnt sie fr\u00fch mit dem Eiskunstlauf. Insbesondere wegen ihrer ersten Trainerin, deren F\u00fcrsorge f\u00fcr sie ein Ersatz ist f\u00fcr die desinteressierte Mutter, bleibt sie dabei. Je \u00e4lter sie wird, desto mehr beginnt Tillie zu hinterfragen, was der Eiskunstlauf ihr wirklich bedeutet. Sie erz\u00e4hlt vom Erwachsenwerden, einem traumatischen \u00dcbergriff, von ihrem Coming-Out und den Schwierigkeiten, die ein Sport bedeutet, der, was Auftreten und Aussehen betrifft, f\u00fcr Frauen …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":12418,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[836,2212,16],"tags":[992,1136,1766,2519,2521,1454,2520,2522],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2018\/10\/DSCN9992.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12417"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=12417"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12417\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":12429,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12417\/revisions\/12429"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/12418"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=12417"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=12417"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=12417"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}