{"id":12280,"date":"2018-06-14T18:05:07","date_gmt":"2018-06-14T16:05:07","guid":{"rendered":"https:\/\/literatourismus.net\/?p=12280"},"modified":"2018-09-09T13:51:36","modified_gmt":"2018-09-09T11:51:36","slug":"kurz-und-knapp-rezensiert-im-juni-3","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2018\/06\/kurz-und-knapp-rezensiert-im-juni-3\/","title":{"rendered":"Kurz und knapp rezensiert im Juni!"},"content":{"rendered":"

Nach einer l\u00e4ngeren Blogpause geht es im Juni um die Toten und ihr Res\u00fcme, pointierte Cartoons zu Kultur- und Literaturbetrieb, Utopien und eine unverzeihliche Grenz\u00fcberschreitung.<\/strong><\/p>\n

\"\"<\/a>Mit Der Trafikant<\/em> (ab Herbst \u00fcbrigens im Kino<\/a>) und Ein ganzes Leben<\/em> hat Robert Seethaler bereits feinsinnige, sprachlich sehr elegante Romane geschrieben; sein neuester Wurf ist ein Chor verschiedener Stimmen “vom Feld”. Auf dem Feld werden die Toten der Kleinstadt begraben und blicken nun nach ihrem Dahinscheiden auf ihre Leben zur\u00fcck. Was ist geblieben, nachdem alles zu Ende war? Gew\u00f6hnlich k\u00f6nnen wir unser Leben nur betrachten, w\u00e4hrend wir noch Teil davon sind. Wir k\u00f6nnen nicht einfach aus uns selbst und dem Alltag heraustreten. Seethalers Erz\u00e4hlmodus erlaubt die Au\u00dfenperspektive – schlie\u00dflich sind alle Berichtenden bereits tot und wissen darum. Zentrum ihrer aller Leben ist “Paulstadt”. Sie sind Gem\u00fcseh\u00e4ndler, ungl\u00fcckliche Ehepaare, Verlassene, korrumpierte Lokalpolitiker, ein wahnhafter Pfarrer, ein Postbote. St\u00fcck f\u00fcr S\u00fcck setzt Seethaler die Kleinstadt mittels ihrer Einwohner zusammen, die mal ern\u00fcchtert und mal befriedet auf ihr Dasein zur\u00fcckblicken. Dabei geraten nicht alle Kapitel gleicherma\u00dfen plastisch, immer aber sind sie empathisch und charakteristisch geschrieben, gelegentlich erg\u00e4nzen sie einander durch komplement\u00e4re Perspektiven zu ein- und derselben Situation. Man beginnt ja schon zu sterben<\/em>, hei\u00dft es in einem Kapitel, sobald man zum ersten Mal an den Tod denkt. <\/em>Was bleibt, wenn der Tod schlussendlich gekommen ist, spielt Das Feld <\/em>in episodischer Form durch. Ber\u00fchrend, vielgestalt, klar, Seethaler.<\/p>\n

Lange Zeit versuchte ich mir zu sagen, man stirbt nicht, man verl\u00e4sst nur diese Welt. Der Tod ist nur ein Wort. Doch das stimmt nicht.<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Robert Seethaler: Das Feld<\/strong><\/a>. Hanser Verlag. 240 Seiten. 22,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n

\"\"<\/a>Tom Gauld ver\u00f6ffentlicht seine pointierten Cartoons regelm\u00e4\u00dfig im Guardian, dem New Yorker oder den New York Times. Kochen mit Kafka<\/em> versammelt viele dieser Arbeiten, die man thematisch vielleicht unter dem Oberbegriff “Kultur- und Literaturbetrieb” zusammenfassen k\u00f6nnte. Mit einem herrlich trockenen Humor seziert Gauld Eitelkeiten und Absurdit\u00e4ten und l\u00e4sst zeittypische Erscheinungen auf eine recht gewinnbringende Art mit Konventionen kollidieren. Er entwirft dystopische Verkehrsschilder, dekliniert T\u00f6tungsarten f\u00fcr moderne Krimischreiber*innen durch (vorn dabei: \u00dcberfahren mit selbstfahrendem Auto oder Erdrosseln mit einem Smartphone-Kabel) oder liefert Ideen f\u00fcr undramatische Geschichten, indem er s\u00e4mtliche klassische Spannungsb\u00f6gen in ihr Gegenteil verkehrt. Gauld ist dabei nie einfach kulturpessimistisch, vielmehr \u00fcberspitzt er gekonnt und kombiniert eigentlich Unkombinierbares. Wie liest sich Krieg und Frieden in Form von Clickbait-Headlines? Kochen mit Kafka <\/em>ist enorm witzig, klug und spielfreudig im Hinblick auf literarische und kulturelle Formalien. Gro\u00dfe Empfehlung!<\/p>\n

Tom Gauld: Kochen mit Kafka<\/strong><\/a>. Aus dem Englischen von Christoph Schuler. Edition Moderne. 160 Seiten. 19,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n

\"\"<\/a>Manuel M\u00f6glich ist vor allem bekannt durch seine Reportagereihe Wild Germany<\/em>. Im Augenblick arbeitet er mit dem Y-Kollektiv<\/a> an Reportagen, die auch in abseitige Gesellschaftsbereiche f\u00fchren – unl\u00e4ngst mit einer Reportage \u00fcber P\u00e4dophilie<\/a>. Auch Alles auf Anfang<\/em> f\u00fchrt, M\u00f6glichs Credo gem\u00e4\u00df, zu Menschen, die ein mindestens ungew\u00f6hnliches Leben f\u00fchren. Ein recht bekannter Politiker konstatierte einst, wer Visionen habe, m\u00f6ge zum Arzt gehen. M\u00f6glichs Reportagen f\u00fchren zu verschiedensten Menschen, die ihr Leben einer Utopie, einer Vision von besserem Leben verschrieben haben und an einem gr\u00f6\u00dferen Ziel ausrichten. Wie diese Ziele und Tr\u00e4ume beschaffen sind, ist dabei ganz unterschiedlich: mal geht es um die Besiedelung des Mars, dann um das Stoppen des nat\u00fcrlichen Alterungsprozesses und damit um das ewige Leben, dann um polygame Beziehungsentw\u00fcrfe oder ein transgenerationelles und multikulturelles Wohnprojekt. Ihnen allen ist gemein, dass sie etwas erproben wollen, das abseits der geltenden Konventionen\u00a0 liegt. Manche Gruppierungen neigen dazu, sich restriktiv nach au\u00dfen abzuschlie\u00dfen, andere bilden offene Bewegungen. Wie immer tritt Manuel M\u00f6glich in seinen Reportagen deutlich hervor, reflektiert, was er sieht und mit wem er spricht, legt offen, wie er sich dabei f\u00fchlt. Alles auf Anfang<\/em> ist ein Querschnitt durch s\u00e4mtliche Utopien und Ideen, wie unsere Welt einmal aussehen k\u00f6nnte. Und am Ende ist klar: Wir brauchen solche Ideen. Sei es, um sie als Ausgangspunkt f\u00fcr weitere \u00dcberlegungen zu nutzen oder sich an ihnen zu reiben; in jedem Fall bedeuten sie Bewegung.<\/p>\n

Manuel M\u00f6glich: Alles auf Anfang<\/strong><\/a>. Rowohlt Verlag. 256 Seiten. 18,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n

\"\"<\/a>Bjarte Breiteigs Roman wurde nach seinem Erscheinen vor allem als “brisant” gelabelt. Er verhandelt ein schwieriges Thema, zu dem es eigentlich keine zwei Meinungen gibt: Kindesmissbrauch. Breiteig ist in seiner Heimat Norwegen besonders bekannt f\u00fcr seine Kurzgeschichten. In Meine f\u00fcnf Jahre als Vater <\/em>erz\u00e4hlt der “T\u00e4ter” selbst, wie es zu dem \u00dcbergriff auf die Tochter einer Freundin kam. Der Ich-Erz\u00e4hler ist selbst Vater, angehender Autor, von Selbstzweifeln geplagt. Eines Tages steht die Polizei vor seiner Haust\u00fcr, um ihn zu befragen. Zun\u00e4chst ist er sich keiner Schuld bewusst, dann beginnt er, Spuren zu verwischen. Die tats\u00e4chliche Missbrauchssituation – und es bleibt \u00fcber den Roman hinweg unklar, inwiefern auch die eigenen Kinder des Ich-Erz\u00e4hlers von \u00dcbergriffen betroffen sind – nimmt sehr wenig Raum ein. Es ist, schmerzhaft genug, eine Marginalie im Leben des Ich-Erz\u00e4hlers, der sich erschreckend wenig Gedanken um die Konsequenzen seines Handelns im Leben seines Opfers macht. Wie kann jemand so etwas tun? Wer so etwas tut, muss ein Monster sein! Breiteigs Roman, der einen unheimlichen Sog gerade um diese unfassbare Marginalie herum entfaltet, dekonstruiert die Geschichte vom Monster. Breiteigs Protagonist ist ein blasser, unauff\u00e4lliger Durchschnittstyp, gro\u00dfteils unverd\u00e4chtig liebevoll seinen S\u00f6hnen gegen\u00fcber, hin- und hergerissen zwischen zwei Frauen. Er erh\u00e4lt die Deutungshoheit \u00fcber das Geschehen, breitet sein Leben aus. Das macht den Roman nicht eben leicht verdaulich. Das Monster, auf das wir warten, kommt nicht. Und auch das Opfer verblasst. Ein Roman, der Diskussionsstoff bietet und der manch einen auch zu verschrobenen Fragen verf\u00fchrt. In der NZZ<\/a> fragte im letzten Jahr zum Beispiel Rezensent Peter Urban-Halle: “Er hat sich an der kleinen Selma nicht vergangen, aber sie, als sie schon halb schlief, unsittlich ber\u00fchrt. Doch wurde die Sache, fragt er sich und uns, durch den Prozess und die forschenden Fragen der Ermittler f\u00fcr Selma nicht wom\u00f6glich noch schlimmer? Wurde der Missgriff erst dadurch zum \u00dcbergriff<\/em>?” Nun:\u00a0 Ob ein offensichtlicher Missbrauch nicht im Nachhinein erst durch entsprechende Nachfragen als solcher konstituiert wird, kann man mit Fug und Recht nicht<\/strong> als mutige Fragestellung bezeichnen.<\/p>\n

Bjarte Breiteig: Meine f\u00fcnf Jahre als Vater<\/strong><\/a>. Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel. luftschacht Verlag. 320 Seiten. 24,90 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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