{"id":12128,"date":"2018-04-02T12:43:07","date_gmt":"2018-04-02T10:43:07","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=12128"},"modified":"2018-04-02T12:46:29","modified_gmt":"2018-04-02T10:46:29","slug":"reso-tscheischwili-die-himmelblauen-berge","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2018\/04\/reso-tscheischwili-die-himmelblauen-berge\/","title":{"rendered":"Reso Tscheischwili – Die Himmelblauen Berge"},"content":{"rendered":"

Ein Autor will in einem Verlagshaus sein Manuskript unterbringen. Was wie ein ganz allt\u00e4glicher Vorgang anmutet, wird bald zu einer absurden Posse \u00fcber B\u00fcrokratie und Unbeweglichkeit. Reso Tscheischwilis Satire Die Himmelblauen Berge<\/em> ist ein georgischer Klassiker, der nun erstmalig auf Deutsch erschienen ist.<\/strong><\/p>\n

Eigentlich will Sosso blo\u00df seinen Roman Die Himmelblauen Berge oder Tian Shan <\/em>ver\u00f6ffentlichen lassen. Er bittet daf\u00fcr um die Begutachtung seines Manuskripts und ger\u00e4t in die gleichg\u00fcltig mahlenden Getriebe eines Ortes, an dem nichts ist wie es scheint. Vor dem “pseudoklassischen Gerb\u00e4ude aus den Drei\u00dfigerjahren” wird Motoball gespielt (auf knatternden Motorr\u00e4dern sitzend spielt man sich den Ball hin und her), “hitzegeplagte” Autofahrer schauen mit “k\u00fchler Gleichg\u00fcltigkeit” zu. Im Inneren des Geb\u00e4udes br\u00f6ckelt der Putz von den W\u00e4nden. Sosso betritt, scheinbar nach l\u00e4ngerer Abwesenheit, das Verlagshaus – in dem wenig von verlegerischem oder intellektuellem Esprit zu sp\u00fcren ist – und bringt sein Manuskript unter die Leute. Mit Fortschreiten des Buches wird es g\u00e4nzlich in seine Einzelteile zerlegt werden, einer liest den Anfang, der n\u00e4chste zwei Drittel vom Schluss, ein anderer die Mitte, von der er ohne den Rahmen nichts versteht. Ein Urteil \u00fcber den Text kann sich niemand erlauben, was jedoch mitnichten ein Hinderungsgrund f\u00fcr gro\u00dfe Reden ist.<\/p>\n

Wie man in mich hineinruft, so schallt es heraus. Nicht, weil ich alles glaube, oder weil ich keine eigene Meinung habe, sondern weil es das Leben so mit sich gebracht hat. Wenn man mir sagt, es ist so, dann ist es so, wenn man mir sagt, es ist anders, dann ist es anders, so ist es nun mal, Onkel Wasso…<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Reso Tscheischwili ist ein Meister des (w)irren, absurden Dialogs, der das Konzept von gelungener Kommunikation mit feiner Feder zu entlarven versteht. In Die Himmelblauen Berge <\/em>finden selten zwei Menschen im Gespr\u00e4ch zusammen, es regiert der Unsinn, das Vorbeireden aneinander, das unebwegliche Verharren in den eigenen Rollen und Gewohnheiten. W\u00e4hrend Sosso den Marsch durch die Abteilungen antritt, im Kampf f\u00fcr sein Manuskript, hat sich auch ein “schm\u00e4chtiger B\u00fcrger” im Geb\u00e4ude eingefunden, von dem niemand genau wei\u00df, wer er ist und was er will. Er bittet um ein Gespr\u00e4ch mit dem Direktor, der sich konsequent verleugnen l\u00e4sst. Als sich herausstellt, dass der schm\u00e4chtige Mann mit Aktenkoffer Vulkanologe ist, wird er umstandslos als Fachfremder in den Betrieb eingemeindet, auch wenn er daf\u00fcr nicht qualifiziert ist. Ob qualifiziert oder nicht, spielt f\u00fcr alle Beteiligten ohnehin eine geringe Rolle. Der ganze Roman strotzt nur so vor Unt\u00e4tigkeit, halbseidenen Absichtserkl\u00e4rungen, sich wiederholenden Fragen nach Pr\u00e4mien und einem Kollegen, der eigentlich schon seit Wochen im Urlaub ist oder auch nicht, jedenfalls hat er das vor. Niemand tut irgendetwas, aber das ziellose Unbesch\u00e4ftigtsein verleiht dem Chaos Struktur. Wenigstens sieht es so als als t\u00e4te sich etwas. Und sei es nur, dass die verstreuten Fragmente des Manuskripts wieder zusammengef\u00fchrt werden m\u00fcssen.<\/p>\n

“Ich bin faktisch im Urlaub!”, verzieht Irodion das Gesicht.<\/em>
\n“Das macht nichts, so geht es uns allen…”, antwortet Otar achtlos.<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Die Himmelblauen Berge<\/em> kann man lesen, man kann dabei lachen und gleichzeitig verzweifeln. Ein Dialog erstreckt sich \u00fcber eine Seite, auf der ein Handwerker gebeten wird, das Bild einer gr\u00f6nl\u00e4ndischen Schneelandschaft zu entfernen. Immer wieder sagt er, es sei egal, er w\u00fcrde es entfernen, wann immer Wasso Tschorgolaschwili es w\u00fcnsche. Nur um bei jeder Antwort des Angestellten zu erwidern, dass er zum vorgeschlagenen Termin leider nicht da sein k\u00f6nne. “Wann Sie wollen.” Wasso Tschorgolaschwili prahlt damit, “bis zum Krieg” Panzerfahrer gewesen zu sein. Man stellt au\u00dferdem einen “R\u00fcckstand im Defizit” der Firma fest, ein Fahrstuhl bleibt stecken, es dr\u00f6hnt und bebt im Untergrund, sodass sich ein Riss immer weiter \u00fcber die Wand des bauf\u00e4lligen Gem\u00e4uers ausbreitet. Niemand tut etwas dagegen. \u00dcberlastung attestiert man sich trotzdem. Man hat Tscheischwilis Satire nat\u00fcrlich immer wieder als Satire auf das unbewegliche System des Kommunismus sowjetischer Provenienz gelesen. Im Original 1980 erschienen, zeigten sich bereits zum damaligen Zeitpunkt deutlich die Risse im Mauerwerk der sozialistischen Utopie. 1984 verfilmte man Tscheischwilis Roman. Zwei Jahre sp\u00e4ter lief er auch unter dem Titel Das Blaue vom Himmel<\/em> in Kinos der DDR. Die Himmelblauen Berge<\/em> ist eine lesens- und lohnenswerte Entdeckung, f\u00fcr alle, aber besonders f\u00fcr die mit einer Vorliebe f\u00fcrs Absurd-Komische und Widersinnige.<\/p>\n

Reso Tscheischwili: Die Himmelblauen Berge. Aus dem Georgischen von Julia Dengg und Ekaterine Teti. Edition Monhardt<\/a>. 160 Seiten. 22 \u20ac.<\/span><\/p>\n

Eine weitere Rezension gibt es im Blog schiefgelesen.net<\/a>.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Ein Autor will in einem Verlagshaus sein Manuskript unterbringen. Was wie ein ganz allt\u00e4glicher Vorgang anmutet, wird bald zu einer absurden Posse \u00fcber B\u00fcrokratie und Unbeweglichkeit. Reso Tscheischwilis Satire Die Himmelblauen Berge ist ein georgischer Klassiker, der nun erstmalig auf Deutsch erschienen ist. Eigentlich will Sosso blo\u00df seinen Roman Die Himmelblauen Berge oder Tian Shan ver\u00f6ffentlichen lassen. Er bittet daf\u00fcr um die Begutachtung seines Manuskripts und ger\u00e4t in die gleichg\u00fcltig mahlenden Getriebe eines Ortes, an dem nichts ist wie es scheint. Vor dem “pseudoklassischen Gerb\u00e4ude aus den Drei\u00dfigerjahren” wird Motoball gespielt (auf knatternden Motorr\u00e4dern sitzend spielt man sich den Ball hin und her), “hitzegeplagte” Autofahrer schauen mit “k\u00fchler Gleichg\u00fcltigkeit” zu. Im Inneren des Geb\u00e4udes br\u00f6ckelt der Putz von den W\u00e4nden. Sosso betritt, scheinbar nach l\u00e4ngerer Abwesenheit, das Verlagshaus – in dem wenig von verlegerischem oder intellektuellem Esprit zu sp\u00fcren ist – und bringt sein Manuskript unter die Leute. Mit Fortschreiten des Buches wird es g\u00e4nzlich in seine Einzelteile zerlegt werden, einer liest den Anfang, der n\u00e4chste zwei Drittel vom Schluss, ein anderer die Mitte, von …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":12139,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[2482,2481,2480],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2018\/03\/tscheischwili.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12128"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=12128"}],"version-history":[{"count":5,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12128\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":12164,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12128\/revisions\/12164"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/12139"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=12128"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=12128"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=12128"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}