{"id":12126,"date":"2018-03-19T18:04:37","date_gmt":"2018-03-19T16:04:37","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=12126"},"modified":"2018-03-19T18:04:37","modified_gmt":"2018-03-19T16:04:37","slug":"mareike-nieberding-ach-papa","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2018\/03\/mareike-nieberding-ach-papa\/","title":{"rendered":"Mareike Nieberding – Ach, Papa"},"content":{"rendered":"

Mit dem Erwachsenwerden ver\u00e4ndert sich in der Regel auch die Beziehung zu den eigenen Eltern. Sie sind nicht mehr Felsen in der Brandung, nicht mehr die leuchtenden Vorbilder, die sie einst waren. Viel eher transformiert der eigene Abnabelungsprozess die Eltern zu ganz normalen Menschen mit einer eigenen Geschichte. Sie haben pl\u00f6tzlich St\u00e4rken und Schw\u00e4chen, sie werden fehlbar, manchmal auch zu einer Negativfolie, an der man sich abarbeitet. Mareike Nieberding war immer ein Papa-Kind, aber nach ihrem Auszug rei\u00dft die Kommunikation insbesondere zu ihrem Vater ab. Ein gemeinsamer Ausflug soll ausloten, ob und wie beide wieder zueinander finden k\u00f6nnen.<\/strong><\/p>\n

Meine eigene Geschichte ist eine vaterlose. Wo bei Mareike Nieberding ein kr\u00e4ftiger Kerl f\u00fcr sie in die Bresche springt, den Mitsch\u00fclerInnen schon seiner k\u00f6rperlichen Pr\u00e4senz wegen f\u00fcr respekteinfl\u00f6\u00dfend halten, ist bei mir eine Leerstelle, die nie gef\u00fcllt wurde. Schon vor diesem Hintergrund interessierte mich, wie andere Vater-Tochter-Beziehungen gelebt und gerettet werden, wenn sie zu zerbrechen drohen. Wahrscheinlich geh\u00f6rt es zu den g\u00e4ngigen Erfahrungen, von den Eltern wenig zu wissen. Obwohl man einen Haufen Zeit miteinander verbringt, wei\u00df man oft wenig, was f\u00fcr Menschen sie sind, wenn sie ihre Elternrolle ablegen. Was f\u00fcr Menschen sie waren, bevor sie Eltern wurden und ihnen diese Rolle zugeteilt wurde. F\u00fcr Mareike Nieberding beginnt die Erkenntnis der ausged\u00fcnnten Vater-Tochter-Beziehung vor allem mit dem Empfinden, wenig voneinander zu wissen und sich auch bei obligatorischen Familientreffen nichts mehr zu erz\u00e4hlen. Alles bleibt an der Oberfl\u00e4che, jeder verbleibt in der ihm eigenen Komfortzone. Um das aufzubrechen, l\u00e4dt sie ihren Vater zu einem gemeinsamen Trip in seine Vergangenheit ein.<\/p>\n

Misst man die Zeit, die mein Vater und ich wirklich alleine verbringen, sind es wahrscheinlich nur wenige Stunden pro Jahr. Was uns verbindet, sind Erinnerungen.<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Es geht Mareike Nieberding vor der Familie ihrer eigenen Geschichte nicht nur um Vater-Tochter-Beziehungen, sondern um Dynamiken innerhalb von Familien. Wie funktioniert das Wechselspiel von Identifikation und Abgrenzung? Sich abzunabeln und von der eigenen Herkunft zu distanzieren, kann ein wichtiger Schritt sein. Nieberding zieht von der Provinz in die Gro\u00dfstadt und verachtet zun\u00e4chst alles Provinzielle. Zur\u00fcckzukehren und Verst\u00e4ndnis zu entwickeln, ist eine Aufgabe f\u00fcr das Danach. F\u00fcr die Zeit, in der man sicher dort steht, wo man stehen will. Was hilft dabei, innerhalb der Familie nicht zu verstummen? (Spoiler: reden, sich verletzbar machen, Gef\u00fchle kommunizieren, m\u00f6glichst nicht nur Rollenmuster reproduzieren). Wie werden wir, was wir sind und was tragen unsere Eltern dazu bei?<\/p>\n

Dabei kann man auch bemerken, dass die eigene Geschichte nicht erst mit der unvermeidlichen Geburt beginnt, sondern bereits mit den Geschichten der Eltern und ihren sich kreuzenden Wegen. Mareike Nieberding und ihr Vater gehen mit der Reise ein Risiko ein. Das Risiko, sich am Ende nichts zu sagen zu haben. Nachhaltig verlernt zu haben, offen zueinander zu sein und nachsichtig miteinander. Das Buch changiert zwischen Reisebericht, Lebenserinnerungen – eigene und die der Eltern – sowie eingeschobenen Interviewsequenzen mit dem Vater. Mareike Nieberding stellt ihrem Vater Fragen zu den Themen Liebe, Familie, Elternschaft, Leben und Tod. Als LeserIn kann man sich dabei immer wieder fragen: Wie empfindet man das selbst? Wei\u00df man, wie die eigenen Eltern dazu empfinden? W\u00fcrde man sich trauen, sie zu fragen? Ach, Papa<\/em> gelingt es, diese bedeutsamen Fragen in einem gewinnenden Tonfall aufzuwerfen. Jeder kann selbst entscheiden, wo er sich mit diesen Fragen innerhalb der eigenen Familie verortet. Aber am Ende steht die Erkenntnis, dass es nicht nur Erinnerungen sein k\u00f6nnen, die Familienmitglieder zusammenhalten. Es sind auch neue Erfahrungen und Gespr\u00e4che, die Grundsteine sein k\u00f6nnen f\u00fcr eine ver\u00e4nderte Beziehung. Das hei\u00dft nicht, dass man seinen Eltern alles erz\u00e4hlen muss. Aber es kann hei\u00dfen, sie in anderem Licht zu sehen.<\/p>\n

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Wir m\u00fcssen nur darauf achten, dass keiner von uns den Faden wieder fallen l\u00e4sst. Dass wir uns der Verantwortung f\u00fcreinander bewusst sind. Dass wir lernen unsere Erwartungen aneinander offen zu besprechen. Zu sagen, wenn uns etwas nicht passt. Nachzufragen, wenn wir merken, dass es dem anderen nicht gut geht. Zu erz\u00e4hlen, ohne, dass einer von uns zuvor die Frage stellen musste: Wie geht es dir?<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Mareike Nieberding: Ach, Papa. Suhrkamp Verlag<\/a>. 187 Seiten. 14,95 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Mit dem Erwachsenwerden ver\u00e4ndert sich in der Regel auch die Beziehung zu den eigenen Eltern. Sie sind nicht mehr Felsen in der Brandung, nicht mehr die leuchtenden Vorbilder, die sie einst waren. Viel eher transformiert der eigene Abnabelungsprozess die Eltern zu ganz normalen Menschen mit einer eigenen Geschichte. Sie haben pl\u00f6tzlich St\u00e4rken und Schw\u00e4chen, sie werden fehlbar, manchmal auch zu einer Negativfolie, an der man sich abarbeitet. Mareike Nieberding war immer ein Papa-Kind, aber nach ihrem Auszug rei\u00dft die Kommunikation insbesondere zu ihrem Vater ab. Ein gemeinsamer Ausflug soll ausloten, ob und wie beide wieder zueinander finden k\u00f6nnen. Meine eigene Geschichte ist eine vaterlose. Wo bei Mareike Nieberding ein kr\u00e4ftiger Kerl f\u00fcr sie in die Bresche springt, den Mitsch\u00fclerInnen schon seiner k\u00f6rperlichen Pr\u00e4senz wegen f\u00fcr respekteinfl\u00f6\u00dfend halten, ist bei mir eine Leerstelle, die nie gef\u00fcllt wurde. Schon vor diesem Hintergrund interessierte mich, wie andere Vater-Tochter-Beziehungen gelebt und gerettet werden, wenn sie zu zerbrechen drohen. Wahrscheinlich geh\u00f6rt es zu den g\u00e4ngigen Erfahrungen, von den Eltern wenig zu wissen. Obwohl man einen Haufen Zeit miteinander verbringt, wei\u00df …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":12137,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,840],"tags":[2143,1079,2474,2473,1769],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2018\/03\/nieberding.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12126"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=12126"}],"version-history":[{"count":4,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12126\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":12142,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/12126\/revisions\/12142"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/12137"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=12126"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=12126"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=12126"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}