{"id":11874,"date":"2017-09-14T08:00:51","date_gmt":"2017-09-14T06:00:51","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=11874"},"modified":"2017-09-08T14:53:42","modified_gmt":"2017-09-08T12:53:42","slug":"anselm-neft-vom-licht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2017\/09\/anselm-neft-vom-licht\/","title":{"rendered":"Anselm Neft – Vom Licht"},"content":{"rendered":"

Adam und Manda wachsen mit ihren Zieheltern Valentin und Norea auf einem Selbstversorgerhof in der \u00f6sterreichischen Provinz auf. Sie besuchen keine \u00f6ffentliche Schule, sondern werden von den Eltern zuhause unterrichtet. Ihre religi\u00f6se \u00dcberzeugung, dass alle Materie b\u00f6se und falsch ist, die Welt ein schlechter Ort und nur die Heimkehr in ein entmaterialisiertes Lichtreich das Ziel ihrer Existenz sein kann, geben sie an ihre Kinder weiter. Kann man sich in einer Welt zurechtfinden, die einem systematisch vorenthalten wird? Und was ist \u00fcberhaupt diese \u00bbWelt\u00ab? Anselm Nefts Roman ist radikal, verkopft und ersch\u00fctternd.<\/strong><\/p>\n

Wer Vom Licht am Ende zuklappt, wird sich vielleicht denken: Was habe ich da eigentlich gerade gelesen<\/em>? Einen \u00bbAussteigerroman\u00ab, wie es auf dem Buchr\u00fccken hei\u00dft? Eine Abhandlung \u00fcber religi\u00f6sen Fanatismus, \u00fcber Dogmatismus, \u00fcber Herrschsucht und Weltflucht? Einen Versuch, die Entstehung der Welt – gespalten in Geist und Materie – mittels religi\u00f6ser Lehren und wissenschaftlicher Forschung fast in sokratischem Dialog zu reflektieren? Einen entwaffnenden Bericht \u00fcber Ohnmacht und Macht? Vielleicht von allem etwas. Adam und Manda jedenfalls wachsen in dem Glauben auf, dass die Welt ein von Jaldabaoth<\/a> geschaffenes Gef\u00e4ngnis sei und die materielle Existenz allenfalls ein \u00dcbergangsstadium auf dem Weg zu Erkenntnis und Erl\u00f6sung. Am Ende ihres Lebens soll einmal die \u00bbHeimkehr\u00ab ins Licht stehen, im dem nichts Weltliches mehr von Belang ist. Folgerichtig werden sie von allem Leben so weit als m\u00f6glich ferngehalten; das Zentrum ihrer Existenz ist der Selbstversorgerhof und die Unterrichtsstunden \u00fcber den Ursprung der Welt, falsche Christen und die Frage nach der Gut- oder B\u00f6sartigkeit eines Sch\u00f6pfergottes. Die Kinder lernen, alles in Frage zu stellen. Sie werden zur Weltfeindlichkeit erzogen, zur Entfremdung von sich selbst. Ihre eigenen W\u00fcnsche und L\u00fcste sind nur Anzeichen f\u00fcr ihren Mangel an Erkenntnis. Sie sind \u00bbFleischmenschen\u00ab wo sie doch zu \u00bbGeistmenschen\u00ab werden sollen.<\/p>\n

Die Menschen, die tats\u00e4chlich durch diesen Eingang zu uns kamen, wurden im Laufe der Jahre stetig weniger, ohne je zahlreich gewesen zu sein. Nur selten halfen Handwerker oder Bauern, wenn Norea und Valentin nicht weiterwussten. Auch tauschten die Menschen der Gegend hin und wieder etwas, das sie angebaut oder gekauft hatten, gegen etwas, das wir angebaut hatten, mussten dazu aber so gut wie nie auf unser Grundst\u00fcck. F\u00fcnfmal z\u00e4hlte ich einen Postboten, der Pakete brachte, die er nicht in den Briefkasten stecken konnte, der bis heute Hunderte von Metern unterhalb unseres Grundst\u00fccks an einem befahrbaren Weg aufgestellt steht.<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Anselm Neft l\u00e4sst Adam seine Kindheit und Jugend auf dem Hof rekapitulieren, jedes Kapitel benannt nach einem zentralen Ort im abgeschlossenen Gef\u00fcge des Hauses. Zwar ist es den Kindern nicht grunds\u00e4tzlich verboten, den Hof zu verlassen, doch ihre mangelnde Routine im Umgang mit fremden Menschen macht ein striktes Verbot \u00fcberfl\u00fcssig. Wer nicht gelernt hat, sich in der Fremde zu bewegen, wird von selbst in die Sicherheit seines K\u00e4figs zur\u00fcckkehren. Vom Licht <\/em>ist, besonders dort, wo die Unterrichtseinheiten geschildert werden, ein Theorieroman, der, ohne die Leserschaft auszuschlie\u00dfen, vor ihren Augen grundlegende, metaphysische Fragen er\u00f6rtert. Der Roman ist selbst ein Geistwesen, in den St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck die Welt eindringt, nicht auf leisen Sohlen, sondern mit einem brutalen Befreiungsschlag. Finsternis, hei\u00dft es, ist immer ein Ausdruck des Mangels, Licht hingegen behebt nicht nur diesen Mangel, es ist vollkommen. Das vermeintliche vollkommene Strahlen des Lichtreichs aber bedeutet f\u00fcr die Kinder Noreas (Norea bedeutet \u00bbdie Feurige\u00ab und ist in einigen religi\u00f6sen Texten die Frau Noahs, die w\u00e4hrend der Sintflut dem h\u00f6chsten Gott dient, statt auf der Arche ihr Leben zu retten) und Valentins vor allem Finsternis und Enge. Die Erkenntnis der Eltern entpuppt sich immer mehr als fatale Folge psychischer Schr\u00e4glagen.<\/p>\n

Als Norea also fragte, ob Gott gut oder b\u00f6se sei, antworteten wir wieder einstimmig. Diesmal \u00bbb\u00f6se\u00ab. F\u00fcr uns stand fest, dass Gott die Menschen entweder an seinem Wissen h\u00e4tte teilhaben lassen m\u00fcssen, ohne sie zu bestrafen, oder dass er sie vor dem Wissen besser h\u00e4tte sch\u00fctzen m\u00fcssen, wenn er doch wusste, welche Folgen es f\u00fcr seine Gesch\u00f6pfe hatte.<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Anselm Nefts Sprache ist so pr\u00e4zise, dass sie kleinste Nuancen in Denken und F\u00fchlen einf\u00e4ngt Sie spiegelt in ihrer dialektischen Herangehensweise die tiefe Verunsicherung der Kinder, f\u00fcr die alles gleichzeitig richtig<\/em> und falsch, <\/em>alles gleich g\u00fcltig und mithin eben auch gleichg\u00fcltig<\/em> ist. Diese Art des Erz\u00e4hlens fordert; hohe Konzentration, den Willen, diesen gedanklichen Weg mitzugehen, eine gewisse Dickfelligkeit. Trotz aller Grausamkeit wird hier an keiner Stelle emotionalisiert oder gar psychologisiert, alles verbleibt in der Schwebe, auf geistiger und analytischer Ebene. Das ist dem Thema zwar immanent und an mancher Stelle auch geeignet, den Schrecken noch zu vergr\u00f6\u00dfern, sorgt insgesamt aber daf\u00fcr, dass der Roman, wie der Selbstversorgerhof, abgeschottetes Gel\u00e4nde bleibt. Man kann nicht mitf\u00fchlen<\/em>. Man kann allenfalls mitdenken<\/em>. Auch zum Geistmenschen werden, der das Joch, \u00fcberhaupt irgendwas zu empfinden, gelassen abstreift. Die Frage ist nur: Will man das? \u00dcber 238 Seiten hinweg? Am Ende bin ich unentschlossen. Gefesselt zwar von der Sch\u00e4rfe dieser Sprache und ihrem Reflektionsgrad und doch emotional verwahrlost.<\/p>\n

Anselm Neft: Vom Licht, Satyr Verlag<\/a>, 256 Seiten. 19,90 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Adam und Manda wachsen mit ihren Zieheltern Valentin und Norea auf einem Selbstversorgerhof in der \u00f6sterreichischen Provinz auf. Sie besuchen keine \u00f6ffentliche Schule, sondern werden von den Eltern zuhause unterrichtet. Ihre religi\u00f6se \u00dcberzeugung, dass alle Materie b\u00f6se und falsch ist, die Welt ein schlechter Ort und nur die Heimkehr in ein entmaterialisiertes Lichtreich das Ziel ihrer Existenz sein kann, geben sie an ihre Kinder weiter. Kann man sich in einer Welt zurechtfinden, die einem systematisch vorenthalten wird? Und was ist \u00fcberhaupt diese \u00bbWelt\u00ab? Anselm Nefts Roman ist radikal, verkopft und ersch\u00fctternd. Wer Vom Licht am Ende zuklappt, wird sich vielleicht denken: Was habe ich da eigentlich gerade gelesen? Einen \u00bbAussteigerroman\u00ab, wie es auf dem Buchr\u00fccken hei\u00dft? Eine Abhandlung \u00fcber religi\u00f6sen Fanatismus, \u00fcber Dogmatismus, \u00fcber Herrschsucht und Weltflucht? Einen Versuch, die Entstehung der Welt – gespalten in Geist und Materie – mittels religi\u00f6ser Lehren und wissenschaftlicher Forschung fast in sokratischem Dialog zu reflektieren? Einen entwaffnenden Bericht \u00fcber Ohnmacht und Macht? Vielleicht von allem etwas. Adam und Manda jedenfalls wachsen in dem Glauben auf, dass die Welt …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":11875,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[2435,2437,2436],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2017\/09\/DSCN9234.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11874"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=11874"}],"version-history":[{"count":4,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11874\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":11886,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11874\/revisions\/11886"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/11875"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=11874"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=11874"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=11874"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}