{"id":11802,"date":"2017-07-21T19:47:25","date_gmt":"2017-07-21T17:47:25","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=11802"},"modified":"2017-07-23T14:33:36","modified_gmt":"2017-07-23T12:33:36","slug":"mariana-leky-was-man-von-hier-aus-sehen-kann","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2017\/07\/mariana-leky-was-man-von-hier-aus-sehen-kann\/","title":{"rendered":"Mariana Leky – Was man von hier aus sehen kann"},"content":{"rendered":"

Der verh\u00e4ngnisvolle Traum von einem Okapi, ein riesenhafter, unsterblicher Hund, knarzende Psychoanalytikerlederjacken, durch’s Unterholz des Westerwaldes brechende buddhistische M\u00f6nche – in Mariana Lekys neuem Roman kollidiert eine ganze Menge auf den ersten Blick Unvereinbares. Aber es gibt Menschen, die k\u00f6nnen noch das Disparateste in einen harmonischen Zusammenhang bringen. Sieben Jahre nach ihrem letzten Roman hat Mariana Leky nun einen Text ver\u00f6ffentlicht, der spr\u00fcht vor Charme und Liebensw\u00fcrdigkeit.<\/strong><\/p>\n

Im Westerwald geht Seltsames vor. Immer, wenn die alte Selma von einem Okapi tr\u00e4umt, folgt in den n\u00e4chsten Stunden ein Todesfall. Dass vermeintlich harmlose Tr\u00e4ume die Lebensdauer von Mitmenschen beeinflussen, hat schon Georg Kreisler in seinem bitterb\u00f6sen \u00bbGeben Sie Acht<\/a>\u00ab besungen. Waren es da noch die Betroffenen selbst, erscheint der Tod, an sich ja schon eine absurde Sache, bei Mariana Leky eben in Form eines absurden Tieres. Auch das Okapi selbst, Mischung aus Zebra und Giraffe, ist ein Beweis f\u00fcr die Vereinbarkeit von scheinbar v\u00f6llig unvereinbaren Elementen. Das okapibedingt herannahende Lebensende unbekannter Art veranlasst viele Bewohner der Kleinstadt, sich einander gut geh\u00fctete Geheimnisse zu offenbaren. Jeden k\u00f6nnte es treffen. Und bevor es soweit ist, geh\u00f6ren ein paar Dinge eben doch noch ausgesprochen. Zum Beispiel, dass der Optiker Selma liebt. Dass V\u00e4ter doch nicht V\u00e4ter sind. Dass man aus Trotz und Unsicherheit ganz und gar widerspr\u00fcchliche Dinge getan hat.<\/p>\n

\n

Selmas Traum aber schuf Tatsachen. War ihr im Traum ein Okapi erschienen, erschien im Leben der Tod; und alle taten, als w\u00fcrde er wirklich erst jetzt erscheinen, als k\u00e4me er \u00fcberraschend angeschlackert, als sei er nicht schon von Anfang an mit von der Partie, immer in der erweiterten N\u00e4he, wie eine Tauftante, die das Leben lang kleine und gro\u00dfe Aufmerksamkeiten vorbeischickt.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Mariana Leky bietet eine F\u00fclle skurriler und liebensw\u00fcrdiger Figuren auf. Neben Selma und dem liebestollen Optiker steht Enkelin Luise als Erz\u00e4hlerin im Vordergrund. Ihr Freund Martin will einmal Gewichtheber werden, Selmas Schw\u00e4gerin Elsbeth hat f\u00fcr oder gegen alles ein Kraut oder mindestens eine dubiose Verhaltensempfehlung. Die traurige Marlies, der j\u00e4hzornige J\u00e4ger Palm, der Buddhist Frederik, der Luise den Kopf verdreht; sie alle haben Profil und Wiedererkennungswert. Vor allem deshalb, weil sie in ihren Rollen verbleiben. Niemand in diesem Roman macht eine grundlegende Verwandlung durch. Was in anderen F\u00e4llen vielleicht Anlass zur Langeweile w\u00e4re, ist hier ein Garant f\u00fcr Verl\u00e4sslichkeit. Der Roman ist ein Ort, an den man immer wieder zur\u00fcckkehren kann, ohne, dass man ihn von der Zeit mutwillig ver\u00e4ndert vorfindet. Man kennt sich untereinander, man wei\u00df, wie die Dinge laufen. Man versucht nicht zu ver\u00e4ndern, sondern zu bewahren. Jahrelang schl\u00fcrft Selma den Lik\u00f6r aus den Mon Ch\u00e9rie Pralinen und gibt die Schokoladenh\u00fclle an Luise. Immer wieder schiebt der Optiker eine Allergie vor, wenn er vor R\u00fchrung weinen muss. Die Landschaft ist \u00bbeine herrliche Symphonie aus Gr\u00fcn, Blau und Gold.\u00ab
\nImmer wieder.<\/p>\n

Wenn man unbedingt jemanden anrufen m\u00f6chte und sich genauso unbedingt davor f\u00fcrchtet, f\u00e4llt einem pl\u00f6tzlich auf, wie viele Telefone es gibt. Es gab das brandneue Tastentelefon in Selmas Wohnzimmer und in der Wohnung dar\u00fcber das elegante, schmale Telefon meiner Mutter. Es gab das Telefon im Hinterzimmer des Optikers, das in j\u00e4gergr\u00fcnen Samt geh\u00fcllte Telefon auf Elsbeths Beistelltischchen. Es gab das Telefon in meiner Wohnung in der Kreisstadt, das neben der Kasse in Herrn R\u00f6dders Buchhandlung. Es gab, auf dem Weg von meiner Wohnung zur Buchhandlung, ein gelbes Telefonh\u00e4uschen. \u00bbWir sind bereit\u00ab, sagten all diese Telefone, \u00bban uns liegt es nicht.\u00ab<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Was Mariana Lekys Roman ausmacht, ist nicht seine rasante Dynamik, nicht seine literarische Komplexit\u00e4t, sondern sein unvergleichlicher Sprachwitz. Sein Blick f\u00fcr die allt\u00e4gliche Komik ganz profaner Dinge, f\u00fcr die Ironie im Leben so ganz allgemein und besonders f\u00fcr die Schrullen anderer Menschen. Getragen von einem witzig-lakonischen Tonfall ist der Roman eine ununterbrochene Melange aus Komik und Tragik, aus Wahrhaftigkeit und Karikatur. Wenn der beflissene Psychoanalytiker von Luises Vater selbst in der Praxis eine knarzende Lederjacke tr\u00e4gt, m\u00f6chte man an Loriot denken und sein \u00bbKrawehl, Krawehl\u00ab. Wenn Selma und der Optiker mit Luise nach dem Tod ihres Freundes \u00fcber die Schwere eines Blauwals diskutieren, ist das r\u00fchrend und tr\u00f6stlich. Leky findet Bilder und Zusammenh\u00e4nge, die erfrischend wenig abgegriffen und doch jedes Mal so treffend sind, dass man sich unweigerlich fragt, weshalb darauf vorher noch niemand gekommen ist. Aber so ist es manchmal. Die Dinge liegen herum und es braucht jemanden, der sie findet, der sie poliert und der sie zum Strahlen bringt. \u00bbWas man von hier aus sehen kann\u00ab ist ein Buch \u00fcber Liebe, Freundschaft, Absurdit\u00e4t und das Ende aller Dinge – klug, leicht und zauberhaft.<\/p>\n

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. DuMont Buchverlag<\/a>. 320 Seiten. 20 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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