{"id":11785,"date":"2017-06-30T19:02:17","date_gmt":"2017-06-30T17:02:17","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=11785"},"modified":"2017-06-30T19:02:17","modified_gmt":"2017-06-30T17:02:17","slug":"uwe-soukup-der-2-juni-1967","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2017\/06\/uwe-soukup-der-2-juni-1967\/","title":{"rendered":"Uwe Soukup – Der 2.Juni 1967"},"content":{"rendered":"

2017 j\u00e4hrt sich nicht nur der Deutsche Herbst, sondern auch das Vorspiel der 68er-Bewegung und die Initialz\u00fcndung f\u00fcr ihre Radikalisierung. Die Entwicklungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Am 2.Juni 1967 wird Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schahbesuch in Berlin von Polizisten zusammengeschlagen und schlie\u00dflich von Karl-Heinz Kurras aus n\u00e4chster N\u00e4he in den Hinterkopf geschossen. Kurras ging bis zuletzt straffrei aus. Sein Schuss politisierte und radikalisierte in der Folge unz\u00e4hlige Studenten.<\/strong><\/p>\n

Wie konnte so etwas wie der 2.Juni 1967 \u00fcberhaupt geschehen? Welche Folgen f\u00fcr hatte der Mordfall Ohnesorg f\u00fcr die Bundesrepublik? Und weshalb hat es eigentlich so lange gedauert, bis man ihn ohne Umschweife und Sch\u00f6nf\u00e4rberei einen Mordfall<\/em> nennen durfte? Lange genug ging die M\u00e4r von der Notwehrhandlung um, von einem Schuss, der sich versehentlich gel\u00f6st habe, von einer un\u00fcbersichtlichen Situation und einer angemessenen H\u00e4rte. Heute wird niemand mehr bezweifeln wollen, dass es sich bei dem Schuss auf Benno Ohnesorg um eine vors\u00e4tzliche Tat gehandelt hat; auch wenn Karl-Heinz Kurras, ein Waffennarr und exzellenter Sch\u00fctze, bis zuletzt weder Reue \u00fcber den Vorfall gezeigt noch sein Verschulden einger\u00e4umt hat. Er wollte mit der Causa Ohnesorg in Frieden gelassen werden. Er war freigesprochen worden. 2009 jedoch wurde seine T\u00e4tigkeit f\u00fcr die Stasi bekannt und der Fall kam wieder an die Oberfl\u00e4che. Man diskutierte ihn pl\u00f6tzlich, einigerma\u00dfen abwegig, vor dem Hintergrund eines Auftragsmords seitens der DDR und entledigte sich damit der Verpflichtung, die bundesrepublikanischen “Bem\u00fchungen” um Aufkl\u00e4rung einer kritischen Pr\u00fcfung zu unterziehen. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass es den Verantwortlichen viel mehr um Vertuschung denn um Aufkl\u00e4rung ging. Bereits bei der Einlieferung Ohnesorgs in ein Krankenhaus ergeben sich Ungereimtheiten, von einem fehlenden St\u00fcck Sch\u00e4del, in dem das Einschussloch erkennbar gewesen w\u00e4re, gar nicht zu reden. Der Fall Ohnesorg war ein Skandal.<\/p>\n

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“Die vor einer Woche am Opernhaus eingesetzte Polizei hat nicht nur im Affekt, sondern ohne gravierende Notwendigkeit, mit Planung einer Brutalit\u00e4t den Lauf gelassen, wie er bisher nur aus Zeitungsberichten \u00fcber faschistische oder halbfaschistische L\u00e4nder bekannt wurde.” Das schrieb nicht das Zentralorgan der SED, Neues Deutschland, sondern die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 12.Juni 1967.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Uwe Soukup, dessen detailgetreue und quellengest\u00fctzte Analyse des 2.Juni bereits 2007 erstmals erschien und nun um weitere Erkenntnisse, auch zu Kurras Stasi-T\u00e4tigkeit erweitert wurde, unterzieht das historische Datum einer intensiven Pr\u00fcfung. Er betrachtet neues, verbessertes Bildmaterial, das eindeutig belegt, dass Polizisten falsche Aussagen gemacht haben. Er sichtet Videoaufzeichnungen, soweit vorhanden. Er untersucht Zeugenaussagen. Er sondiert die politische Lage innerhalb der SPD und die aberwitzigen Bedingungen, unter denen nach dem 2.Juni ein Untersuchungsausschuss gebildet wurde, der die Polizei von allen gr\u00f6\u00dferen Vergehen freisprach. Er betrachtet Zeugenaussagen, die aus kaum nachvollziehbaren Gr\u00fcnden als nicht glaubw\u00fcrdig verworfen wurden. Soukup erm\u00f6glicht so eine nahezu l\u00fcckenlose Nachverfolgung der Ereignisse, von den Demonstrationen des Vormittags und Abends \u00fcber die pr\u00fcgelnden Schah-Anh\u00e4nger bishin zur Eskalation, u.a. ausgel\u00f6st durch die Falschmeldung \u00fcber einen get\u00f6teten Polizisten, die schlie\u00dflich zum Tod Benno Ohnesorgs f\u00fchrte. Ein “Krakeeler” sei Benno Ohnesorg gewesen, sagten manche. Anderen galt er immer als politisch unbeschriebenes Blatt, der eher zuf\u00e4llig in die Demonstration geriet, die ihn schlie\u00dflich das Leben gekostet hat. Zwei Monate zuvor hatte er seine schwangere Freundin geheiratet. Beides trifft, so Soukup, wohl nicht auf Ohnesorg zu. Weder war er ein Krawallmacher noch war er ein Unpolitischer. Viel mehr lag ihm an abgewogenen, differenzierten Urteilen, f\u00fcr die er sich Zeit nahm. Die Demonstration am 02.Juni 1967 war nicht seine erste, zuvor hatte er gar bereits Freunde politisiert und zum Nachdenken \u00fcber politische Belange angeregt. Ruhig, sachlich, besonnen.<\/p>\n

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Geier br\u00fcllte den Sch\u00fctzen an, ob er wahnsinnig sei, hier zu schie\u00dfen. “Die ist mir losgegangen”, stammelte Kurras, der Meistersch\u00fctze der Berliner Polizei.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Der 2.Juni 1967 ist auch seiner historischen Folgen wegen in die Geschichtsb\u00fccher eingegangen. Er radikalisierte zahlreiche Studenten. Ohne den Tod Ohnesorgs ist weder die Bewegung 2.Juni<\/a> noch die RAF erkl\u00e4rlich. Nicht nur, dass ein Student und Demonstrant von einem Staatsdiener in den Hinterkopf geschossen wurde, er wurde vom Staat verl\u00e4sslich protegiert und entschuldet. In Bezug auf den NSU ist immer wieder die Rede vom Verfassungsschutz und seiner Beteiligung an den Verbrechen der Terrorzelle. Auch in Bezug auf die gewaltbereiten Studenten der 60er hat der Verfassungsschutz in Form von dem zu gewisser Prominenz gelangten Peter Urbach unsch\u00e4tzbare Sch\u00fctzenhilfe geleistet. Da wurden Molotowcocktails angereicht und die Eskalation seitens des Staates befeuert; auch diese Verstrickungen sollten bei der Betrachtung des Linksterrorismus offen benannt werden. Uwe Soukup leistet all das mit seinen fast protokollarischen Aufzeichungen zum Geschehen. Unaufgeregt, entlang von Beweisen und belastbaren Fakten. So kann Der 2.Juni 1967 <\/em>zuk\u00fcnftig als verl\u00e4ssliche und valide Analyse der Hintergr\u00fcnde, Abl\u00e4ufe und Folgen gelten. Lukas Ohnesorg indessen, der Sohn Benno Ohnesorgs, fordert eine Entschuldigung, er sieht noch nicht gen\u00fcgend Aufkl\u00e4rungsarbeit geleistet.<\/p>\n

Bis zum 30.August kann man sich in der Polizeihistorischen Sammlung Berlins Foto- und Videomaterial zum Fall Ohnesorg ansehen. Mehr dazu hier<\/a>.<\/p>\n

Uwe Soukup: Der 2.Juni 1967. Transit Verlag<\/a>. 192 Seiten. 20,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

2017 j\u00e4hrt sich nicht nur der Deutsche Herbst, sondern auch das Vorspiel der 68er-Bewegung und die Initialz\u00fcndung f\u00fcr ihre Radikalisierung. Die Entwicklungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Am 2.Juni 1967 wird Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schahbesuch in Berlin von Polizisten zusammengeschlagen und schlie\u00dflich von Karl-Heinz Kurras aus n\u00e4chster N\u00e4he in den Hinterkopf geschossen. Kurras ging bis zuletzt straffrei aus. Sein Schuss politisierte und radikalisierte in der Folge unz\u00e4hlige Studenten. Wie konnte so etwas wie der 2.Juni 1967 \u00fcberhaupt geschehen? Welche Folgen f\u00fcr hatte der Mordfall Ohnesorg f\u00fcr die Bundesrepublik? Und weshalb hat es eigentlich so lange gedauert, bis man ihn ohne Umschweife und Sch\u00f6nf\u00e4rberei einen Mordfall nennen durfte? Lange genug ging die M\u00e4r von der Notwehrhandlung um, von einem Schuss, der sich versehentlich gel\u00f6st habe, von einer un\u00fcbersichtlichen Situation und einer angemessenen H\u00e4rte. Heute wird niemand mehr bezweifeln wollen, dass es sich bei dem Schuss auf Benno Ohnesorg um eine vors\u00e4tzliche Tat gehandelt hat; auch wenn Karl-Heinz Kurras, ein Waffennarr und exzellenter Sch\u00fctze, bis zuletzt weder Reue \u00fcber den Vorfall gezeigt noch sein …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":11787,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,840],"tags":[2414,921,2415,2416],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2017\/06\/DSCN9210.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11785"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=11785"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11785\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":11789,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11785\/revisions\/11789"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/11787"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=11785"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=11785"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=11785"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}