{"id":11615,"date":"2017-05-01T13:09:33","date_gmt":"2017-05-01T11:09:33","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=11615"},"modified":"2017-05-01T13:09:33","modified_gmt":"2017-05-01T11:09:33","slug":"niroz-malek-der-spaziergaenger-von-aleppo","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2017\/05\/niroz-malek-der-spaziergaenger-von-aleppo\/","title":{"rendered":"Niroz Malek – Der Spazierg\u00e4nger von Aleppo"},"content":{"rendered":"

Niroz Malek ist geblieben. Anders als knapp 5 Millionen SyrerInnen hat er sich dazu entschlossen, seine umk\u00e4mpfte Heimatstadt Aleppo nicht zu verlassen. Mittels kleiner Miniaturen gew\u00e4hrt er Einblick in den Alltag des Krieges. Es sind Texte voll Trauer, Verbundenheit und Menschlichkeit.<\/strong><\/p>\n

Gleich zu Beginn macht Niroz Malek deutlich, weshalb er sich gegen die Flucht aus Syrien entscheidet: Was immer auch geschieht, ich werde nicht fortgehen<\/em>, hei\u00dft es gleich im zweiten Absatz. Wie kann ich meine Wohnung verlassen, aus meinem Zimmer fortgehen? […] Warum? Um meinen K\u00f6rper zu retten? Du solltest wissen, da\u00df das, was ich in diesem Raum zur\u00fccklasse, nicht nur B\u00fccher und Antiquit\u00e4ten und Photographien sind. Nein, ich lasse meine Seele zur\u00fcck<\/em>.” Es geht um mehr als die k\u00f6rperliche Unversehrtheit. Viel wichtiger als das blo\u00dfe \u00dcberleben, das durch eine Flucht dieser Tage mitnichten gesichert w\u00e4re, ist die Verbundenheit mit der Heimat als Ort der Pr\u00e4gung, der kulturellen Identifikation, des Wirkens und t\u00e4glichen Lebens. Dass ein erf\u00fclltes Leben mehr bedeutet als die Abwesenheit t\u00f6dlicher Gefahr, darf auch implizit als Appell f\u00fcr jene L\u00e4nder gelten, die den Gefl\u00fcchteten Asyl gew\u00e4hren. Seit 1970 ver\u00f6ffentlichte Niroz Malek acht Erz\u00e4hlb\u00e4nde und sechs Romane. Einige seiner Erz\u00e4hlungen wurden ins Spanische und Englische \u00fcbersetzt. Der Spazierg\u00e4nger von Aleppo<\/em> jedoch erschien zuerst in franz\u00f6sischer Sprache. Es sind Momentaufnahmen der Zerst\u00f6rung und des Verlusts, aber auch der Erinnerung an friedliche, bessere Zeiten und der Hoffnung auf ein Ende des Krieges. Mal sind es Dialoge zwischen Freunden und Bekannten, dann kurze Momentaufnahmen des Schreibens unter unmenschlichen Bedingungen. Das Ger\u00e4usch von Detonationen ist allgegenw\u00e4rtig wie auch die Checkpoints, die in der ganzen Stadt von bewaffneten K\u00e4mpfern besetzt sind. Der Versuch, die Stadt zu durchqueren, ohne auf einen Checkpoint zu treffen, scheitert.<\/p>\n

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Etwas, das auch nur im Krieg geschehen kann, ist, wenn man in der N\u00e4he des zerst\u00f6rten Balkons ein Trauerzelt f\u00fcr einen kaum zehnj\u00e4hrigen Jungen entdeckt. Er war auf dem Nachhauseweg und hatte die Brotration f\u00fcr einen Tag bei sich, als ein Scharfsch\u00fctze ihn aus der Entfernung von einigen Kilometern ohne jeden Grund erscho\u00df, einfach nur, um zu t\u00f6ten.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

In Maleks Miniaturen sind die Toten stets pr\u00e4sent. Nicht nur im Augenblick ihres Sterbens, sondern auch weit dar\u00fcber hinaus tauchen sie in Erz\u00e4hlungen auf, nehmen ihren angestammten Platz ein oder erz\u00e4hlen gar selbst, bis ihnen schlie\u00dflich bewusst wird, dass sie nicht mehr am Leben sind. Sie sind nicht vergessen, der Tod trotz seiner ungebrochenen Gegenwart eine Zumutung. Er kommt oft schnell, unvermittelt, rei\u00dft Wunden, zerst\u00f6rt Hoffnungen. Ein junger Soldat bittet den stadtbekannten Schriftsteller, ihm bei der Abfassung eines Liebesbriefs zu helfen. Der ermuntert ihn, den Brief selbst zu schreiben und verspricht, am Ende einen pr\u00fcfenden Blick darauf zu werfen. Als der Schriftsteller den Brief erh\u00e4lt, ist der Soldat tot und die Hoffnung auf ein friedliches Leben mit seiner Geliebten schlagartig Vergangenheit. Der Spazierg\u00e4nger von Aleppo <\/em>ist weit mehr als nur ein literarisierte Form des Kriegstagebuchs. Malek wechselt die Perspektiven, stellt mal ein schriftstellerndes Ich und mal andere in den Mittelpunkt, spricht die LeserInnen direkt an, schreibt Briefe und Dialoge. Er schafft auf dem Schlachtfeld winzige Oasen der Hoffnung und des Lichts. Ein kurzer Text tr\u00e4gt den Titel Da wird ein Licht aus dieser Dunkelheit dringen; <\/em>dieser Glaube k\u00f6nnte als zur\u00fcckgenommene Basslinie das Thema der Erz\u00e4hlungen pr\u00e4gen. Malek weigert sich nicht nur, Syrien zu verlassen. Er weigert sich auch, die Hoffnung zu verlieren.<\/p>\n

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Liebe Leser: Was drau\u00dfen passiert, durchbohrt das Auge der Nacht, kriecht die Treppe hinauf, als wolle es zu mir.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Maleks Miniaturen sind von einer Kraft und Dringlichkeit, die wohl nur die unmittelbare Zeugenschaft erm\u00f6glicht. F\u00fcr den au\u00dfenstehenden Beobachter sind sie nicht leicht zu ertragen, verspotten sie doch die Selbstverst\u00e4ndlichkeiten, in denen wir unsere Leben eingerichtet haben.\u00a0 Sie erz\u00e4hlen von den Einzelschicksalen, unpr\u00e4tenti\u00f6s, nahbar und einf\u00fchlsam. In einem Krieg, dessen Verlauf auch von ausl\u00e4ndischen Akteuren beeinflusst und von un\u00fcbersichtlich vielen Parteien zulasten der Zivilbev\u00f6lkerung ausgetragen wird, richten Maleks Texte das Vergr\u00f6\u00dferungsglas auf die Menschen und ihr t\u00e4gliches (\u00dcber)Leben, das mehr ist als die Sicherung k\u00f6rperlicher Unversehrtheit. \u00dcber diesen Krieg zu schreiben, sei schmerzhaft, schreibt Malek. Aber den Schmerz als Chronist literarisch umzuwandeln, erm\u00f6glicht Heilung, erm\u00f6glicht Trauer \u00fcber das Verlorene, erm\u00f6glicht leise Hoffnung f\u00fcr das Zuk\u00fcnftige.<\/p>\n

Das E-Book<\/a> ist bei Culturbooks erh\u00e4ltlich.<\/p>\n

Niroz Malek: Der Spazierg\u00e4nger von Aleppo. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Weidle Verlag<\/a>. 144 Seiten. 17 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Niroz Malek ist geblieben. Anders als knapp 5 Millionen SyrerInnen hat er sich dazu entschlossen, seine umk\u00e4mpfte Heimatstadt Aleppo nicht zu verlassen. Mittels kleiner Miniaturen gew\u00e4hrt er Einblick in den Alltag des Krieges. Es sind Texte voll Trauer, Verbundenheit und Menschlichkeit. Gleich zu Beginn macht Niroz Malek deutlich, weshalb er sich gegen die Flucht aus Syrien entscheidet: Was immer auch geschieht, ich werde nicht fortgehen, hei\u00dft es gleich im zweiten Absatz. Wie kann ich meine Wohnung verlassen, aus meinem Zimmer fortgehen? […] Warum? Um meinen K\u00f6rper zu retten? Du solltest wissen, da\u00df das, was ich in diesem Raum zur\u00fccklasse, nicht nur B\u00fccher und Antiquit\u00e4ten und Photographien sind. Nein, ich lasse meine Seele zur\u00fcck.” Es geht um mehr als die k\u00f6rperliche Unversehrtheit. Viel wichtiger als das blo\u00dfe \u00dcberleben, das durch eine Flucht dieser Tage mitnichten gesichert w\u00e4re, ist die Verbundenheit mit der Heimat als Ort der Pr\u00e4gung, der kulturellen Identifikation, des Wirkens und t\u00e4glichen Lebens. Dass ein erf\u00fclltes Leben mehr bedeutet als die Abwesenheit t\u00f6dlicher Gefahr, darf auch implizit als Appell f\u00fcr jene L\u00e4nder gelten, die …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":11616,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1911,16],"tags":[2391,2390,2392,1530,2051],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2017\/04\/DSCN8995.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11615"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=11615"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11615\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":11627,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11615\/revisions\/11627"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/11616"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=11615"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=11615"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=11615"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}