{"id":11360,"date":"2017-02-24T19:10:38","date_gmt":"2017-02-24T17:10:38","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=11360"},"modified":"2017-02-24T19:46:53","modified_gmt":"2017-02-24T17:46:53","slug":"blogbuster-longlist-in-bhutan-steckt-hut","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2017\/02\/blogbuster-longlist-in-bhutan-steckt-hut\/","title":{"rendered":"Blogbuster Longlist: “In Bhutan steckt Hut”"},"content":{"rendered":"

Nach Wochen der Lekt\u00fcre und des Abw\u00e4gens steht meine Favoritin f\u00fcr den Blogbuster 2017<\/a> jetzt abschlie\u00dfend fest. Es war nicht einfach, aber eine besondere Erfahrung und, ganz nebenbei, ein lehrreicher Perspektivwechsel. Ich schicke Doris Brockmanns (@DorisBrockmann) In Bhutan steckt Hut<\/em> ins Rennen, eine m\u00e4rchenhafte kleine Geschichte von Gl\u00fcck, Hingabe und Standhaftigkeit.<\/strong><\/p>\n

Es ist ein bisschen so als sei die Zeit stehengeblieben. Es gibt keine Smartphones, keine Hektik, nur einen kleinen Ort, der sich als eigenst\u00e4ndig begreift, obwohl er l\u00e4ngst einer gr\u00f6\u00dferen Gemeinde angeschlossen worden ist. Und es gibt Rosa, die Putzmacherin.\u00a0 Eine Frau, die H\u00fcte und M\u00fctzen aller Art in hingebungsvoller Handarbeit selbst entwirft und herstellt. Rosa war immer schon ein bisschen besonders, ein bisschen eigen. Sie hat den kleinen Ort nicht Richtung Karriere verlassen, vielmehr hat sie sich einen kleinen Mikrokosmos geschaffen, in dem sie regelm\u00e4\u00dfig modeinteressierte Fashionistas aus dem urbanen Umland begr\u00fc\u00dft, die mit Champagner und Luxuswagen vorfahren. Sie fertigt H\u00fcte nach Ma\u00df aus diversen Materialien und ist, manchem Schicksalsschlag zum Trotz, gl\u00fccklich in einer Welt, die sie nur f\u00fcr ihre Zeit auf der Walz verlassen hat. An der Wand ihres Ladens h\u00e4ngt ein kleines Foto von Coco Chanel; der Inbegriff eines Lebenstraumes. Einmal mit den eigenen Kreationen wahrgenommen werden, einmal eine eigene kleine Kollektion haben, das w\u00e4re was.<\/p>\n

Ihr Freund Konrad, immer ein Naturbursche, robust und umschw\u00e4rmt, hat in seiner Jugend den Zusammensto\u00df mit einem Kastenwagen zwar \u00fcberlebt – derselbe ist er aber nicht mehr. Er ist kindlich geblieben, gutm\u00fctig und vertr\u00e4umt; der Sprung in die Erwachsenenwelt ist ihm nicht gelungen. Trotzdem schafft Brockmann mit ihm eine gute Seele des Ortes, die hervorragend mit der eigensinnigen Rosa harmoniert. Konrad ist ein Wortjongleur, er kann aus einer Buchstabenfolge in Windeseile eine andere machen, aus dem Russisch Brot auf seiner Fensterbank l\u00e4sst er jeden Morgen andere Worte entstehen. Und manchmal verschickt er leere Pakete, um in den Bewohnern des Dorfes die Fantasie anzuregen. Welchen Inhalt h\u00e4tten sie sich wohl innig gew\u00fcnscht? Rosa und Konrad, die einst Liebe und Leid verbunden hat, bilden den Kern der versponnenen Geschichte, beide auf ihre Art besondere Einzelk\u00e4mpfer in einer Welt, in die sie nicht recht zu passen scheinen.<\/p>\n

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Kurz darauf sitzt Konrad in Rosas Bademantel vor dem Ofen und isst ein Spiegelei. Der Grog ist zum Trinken noch zu hei\u00df, zum H\u00e4ndeaufw\u00e4rmen nicht. Wer Gr\u00e4ber gr\u00e4bt und Holz hackt, hat \u00e4hnlich unempfindliche H\u00e4nde wie eine, die siedehei\u00dfe nasse Filzstumpen zu H\u00fcten formt. Da kann ein Glas mit frisch aufgebr\u00fchtem Grog problemlos in den H\u00e4nden gehalten werden, bis er Trinktemperatur erreicht. Solche H\u00e4nde erzeugen beim Streicheln, ein leises Ger\u00e4usch, das auf einer Skala von Knistern aufgeladener Wolle bis zaghaftem Reiben einer Muskatnuss ungef\u00e4hr in der Mitte liegt, vielleicht ein wenig n\u00e4her am Wolleknistern. Es muss schon sehr still sein, um das h\u00f6ren zu k\u00f6nnen.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Doris Brockmann erz\u00e4hlt ihre Geschichte ungemein sinnlich; es wimmelt von D\u00fcften, Landschaften, Ger\u00e4uschen und Materialien, die Hutherstellung ist weit mehr als blo\u00df ein Gewerbe am Rand der Geschichte. Hier wird wirklich mit den H\u00e4nden gearbeitet, werden die Texturen des Materials beschrieben, der Arbeitsablauf, die Kreativit\u00e4t bis hinein in Rosas Schaufenster, das noch eine tragende Rolle spielen wird. Die Erz\u00e4hlstimme ist zwar durchzogen von Rosas Gedanken, bleibt aber unabh\u00e4ngig, unbeteiligt, den LeserInnen zugewandt. Es ist ein feinsinniger Ton, den Brockmann anschl\u00e4gt und es liegt etwas Versponnenes darin, etwas Altmodisches. Wie das Gewerbe eben auch etwas Aussterbendes hat, Inhalt und Form korrelieren hier gut miteinander. Nicht, dass man die Geschichte erst von einer Staubschicht befreien m\u00fcsste, vielmehr hat sie etwas Zeitloses und, mit Blick auf den Modezar Lagerfeld, den es ins \u00d6rtchen verschl\u00e4gt, auch etwas M\u00e4rchenhaftes. Was ist Gl\u00fcck? Steckt Gl\u00fcck auch im Kleinen? Als Rosa, Konrad und die kleine Fee (eigentlich: Felicitas, je \u00e4lter sie wird, je erwachsener sie sich f\u00fchlt, desto mehr Buchstaben gewinnt ihr Name dazu) auf dem Globus das ber\u00fcchtigte Bhutan suchen (das Land mit dem Bruttonationalgl\u00fcck), ruft Konrad pl\u00f6tzlich aus: “In Bhutan steckt Hut!” Im Gro\u00dfen steckt manchmal das kleine Gl\u00fcck, f\u00fcr manchen liegt das Gl\u00fcck in der Ferne, f\u00fcr andere ganz nah, in einer Leidenschaft, die sie verfolgen, in einer T\u00e4tigkeit, in der sie aufgehen. Konrad, Schlafwagenschaffner im Geiste, reist in Gedanken nach Bhutan, das reicht auch. Man muss es nicht \u00fcbertreiben, kann gl\u00fccklich sein mit dem, was man hat. Brockmanns Roman ist bescheiden, zart und unaufdringlich, ein Text der leisen Zwischent\u00f6ne und des subtilen Humors.<\/p>\n

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Keine Bl\u00e4tter mehr an den B\u00e4umen plus sp\u00e4t abends einsetzender Schneefall und der Laubkehrmaschinenfahrer mutiert \u00fcber Nacht zum Schneer\u00e4umfahrzeugf\u00fchrer. Das bietet einige Vorteile: ein sch\u00f6neres und gr\u00f6\u00dferes Fahrzeug, als die plumpe Kehrmaschine, noch dazu in orange, der Lieblingsfarbe des Laubkehrmaschinenfahrers, oben auf dem F\u00fchrerhaus ein rotierendes Blinklicht, als f\u00fchre der Fahrer die Eskorte einer sehr bedeutenden Pers\u00f6nlichkeit an, drau\u00dfen ein leistungsstarker Pflug, so breit wie ein Basketballspieler lang, und drinnen alles sch\u00f6n muggelig warm und mit 1A-Radioempfang.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Ich m\u00f6chte mich an dieser Stelle nochmal bei allen AutorInnen bedanken, die mir das Vertrauen geschenkt und ihr Manuskript eingeschickt haben. Die letzte Entscheidung war denkbar knapp und es waren viele Texte dabei, die einen besonderen Ton hatten oder eine originelle Idee. Vielen Dank daf\u00fcr! Am Ende kann es nur eine oder einer auf die Longlist schaffen, aber ich hoffe, alle anderen schreiben flei\u00dfig weiter und lassen sich nicht unterkriegen.<\/p>\n

Foto: Stocksnap.io<\/a><\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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