{"id":11078,"date":"2016-11-17T21:21:03","date_gmt":"2016-11-17T19:21:03","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=11078"},"modified":"2016-11-17T23:40:49","modified_gmt":"2016-11-17T21:40:49","slug":"blogbuster-und-hundstage","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2016\/11\/blogbuster-und-hundstage\/","title":{"rendered":"Blogbuster und Hundstage"},"content":{"rendered":"

\u00a9 Jake Melara<\/a>. Stocksnap.io.<\/span><\/p>\n

Beinahe vier Wochen sind seit der offiziellen Pressekonferenz<\/a> auf der Frankfurter Buchmesse vergangen. Blogbuster l\u00e4uft, konstant, in etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit. Will sagen: da geht noch was. Mehr zum Beispiel. F\u00fcr alle, die jetzt noch r\u00e4tseln, was denn “Blogbuster” sein soll, dem sei geraten, sich auf der Homepage des Projekts<\/a> umzutun, an dessen Ende hoffentlich eine vielversprechende neue Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur steht. Wie ergeht es mir nun also, als Bloggerjurorin in den ersten vier Wochen? Mich haben bislang neun Manuskripte ganz unterschiedlicher Thematik und Qualit\u00e4t erreicht. Ausuferndes, Post-Postmodernes mit unz\u00e4hligen Versatzst\u00fccken aus Philosophie und Popkultur samt Fu\u00dfnoten, Hyperrealismus, der sich in Beschreibungen jeder noch so kleinen Belanglosigkeit ersch\u00f6pft, Liebesgeschichten von Verflossenen, Verlorenen und Verschm\u00e4hten,\u00a0Digital-Hogwarts 2.0, ein Jugendroman. Es ist eine besondere Erfahrung, pl\u00f6tzlich nicht mehr \u00fcber die Tauglichkeit eines Textes im Endstadium zu entscheiden, sondern sich beim Lesen auch die Frage zu stellen: was k\u00f6nnte daraus noch werden? Braucht es Feinschliff? Ist es originell? Ist es lesbar au\u00dferhalb eines elit\u00e4ren Kreises von Eingeweihten, die die Codes darin entziffern und ironisch zu nehmen wissen? Ich sp\u00fcre beim Lesen eine Verantwortung, der ich gerecht werden will ohne ungerecht zu sein. Bei Gefallen der Leseprobe, so sagen es die Statuten, k\u00f6nnen die BloggerInnen von den AutorInnen das gesamte Manuskript anfordern. Einmal habe ich das bislang getan.<\/p>\n

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Ich war Axel Oswald, neununddrei\u00dfig, Sales Manager und Familienvater, Hausbesitzer und Mitglied im Kindergartenf\u00f6rderverein. Ich repr\u00e4sentierte neunzig Prozent der M\u00e4nner meines Alters in unserem Neubaugebiet.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Ingo Bartsch<\/strong>s Herr der Hunde <\/em>ist absurd und (wahn)witzig. Als ich im Expos\u00e9 las, es ginge um einen einfachen Mann, der durch den Zufall mehr oder weniger dazu getrieben wird, aus kompensatorischen Gr\u00fcnden Hunde zu entf\u00fchren, war ich mitnichten Feuer und Flamme. Im Mittelpunkt: Axel Oswald, Gesch\u00e4ftsmann, Interimskleptomane erst aus Versehen und dann aus Leidenschaft. Mit seinen Hundeentf\u00fchrungen, die blo\u00df beginnen, weil der Nachbarhund sich versehentlich ins Auto schleicht, versetzt er die ganze Bundesrepublik in Atem. In den verr\u00fccktesten Episoden l\u00e4sst Axel zuerst den Nachbarshund in einer geerbten Scheune verschwinden, dann einen im \u00f6ffentlichen Gr\u00fcn entwendeten, den er mittels Blutwurst anlockt, danach den Whippet einer steinreichen Bekannten, deren Bem\u00fchungen, mit ihrem Klappergestell von Hund ausschlie\u00dflich auf Franz\u00f6sisch zu kommunizieren trotz des klangvollen Namens Oranda-Vivienne nicht von Erfolg gekr\u00f6nt sind.<\/p>\n

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Als Oranda-Vivienne die K\u00fcche betrat, musste ich schlucken. Sie hatte gef\u00e4hrlich schlanke Beine, eine nahezu nicht vorhandene H\u00fcftpartie und glattes, gl\u00e4nzendes br\u00fcnettes Haar. Ihre Augen waren tiefbraun und sanft, dabei von einer magischen, unterschwelligen Wildheit. Grazil bewegte sie sich auf uns zu, sie schien beim Gehen den Boden gar nicht zu ber\u00fchren. Als sie am Tisch angelangt war, schlug mir ihre lange, nasse Zunge entgegen wie ein roter Teppich, der zwischen Marmors\u00e4ulen entrollt wird.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Nach einigen Seiten hat der Text mich dann. Wegen seiner Leichtigkeit, seines Humors, seiner pr\u00e4gnanten Bilder und Vergleiche, wegen seines irren Plots, der nicht getragen literarisch daherkommt, nicht mit dieser tiefen Seri\u00f6sit\u00e4t der Welthaltigkeit. Der Text kommt im Jogginganzug mit Hundeapplikation – und das ist gut so! Er bringt mich verl\u00e4sslich zum Schmunzeln, w\u00e4hrend ich zwischen Mitleid und Unverst\u00e4ndnis f\u00fcr einen Mann schwanke, der doch blo\u00df sein bedenklich aus der Nase blutendes Kind ins Krankenhaus fahren wollte und schlie\u00dflich \u00fcber vierzig Hunde entf\u00fchrt. Oswald wird gewitzter, routinierter, er erlebt die unerwartete Macht des kleinen Mannes und die bedingungslose Zuneigung derer, die nicht mit Gewalt ent<\/em>f\u00fchrt, sondern blo\u00df mit einem Salamibr\u00f6tchen ver<\/em>f\u00fchrt zu werden brauchen. Bartsch schreibt es so als k\u00f6nnte es jedem von uns passieren. Eine Verkettung ungl\u00fccklicher Umst\u00e4nde, die zu noch ungl\u00fccklicheren Umst\u00e4nden f\u00fchren. Die (\u00dcber)drehung der Schraube. Ich freue mich auf den Rest des Manuskripts, der noch frisch und unverbraucht vor mir liegt.<\/p>\n

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An dieser Stelle unterlief mir ein fatales Missgeschick. Es war nur eine geistlose Bemerkung, die wie ein kleiner Steinschlag eine ganze Scheibe zersplittern, wie das unbedachte H\u00fcsteln eines Alpinisten eine f\u00fcrchterliche Lawine ausl\u00f6sen sollte. Ich sagte: \u201eWahrscheinlich steckt blo\u00df ein osteurop\u00e4ischer Hundeh\u00e4ndlerring dahinter.\u201c<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Aber: ich freue mich auch noch immer \u00fcber andere Einsendungen. Bis zum 31. Dezember k\u00f6nnen noch Manuskripte bei den entsprechenden WunschbloggerInnen eingereicht werden! Ich bitte darum. Hier<\/a> mehr.<\/strong><\/p>\n

Auch Katharina von Kulturgeschw\u00e4tz<\/strong> hat bereits einen ersten Zwischenstand<\/a> zum Blogbuster-Projekt ver\u00f6ffentlicht.<\/p>\n

Man kann einen Auszug aus Ingo Bartschs Text (ab 3:29) auch von ihm selbst gelesen h\u00f6ren:<\/p>\n