{"id":10837,"date":"2016-09-06T08:00:43","date_gmt":"2016-09-06T06:00:43","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=10837"},"modified":"2016-09-04T18:18:14","modified_gmt":"2016-09-04T16:18:14","slug":"eva-schmidt-ein-langes-jahr","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2016\/09\/eva-schmidt-ein-langes-jahr\/","title":{"rendered":"Eva Schmidt – Ein langes Jahr"},"content":{"rendered":"

“Diese Texte erinnern an Bilder, wie Edward Hopper sie gemalt hat” hei\u00dft es auf der R\u00fcckseite von Ein langes Jahr<\/em>. W\u00e4hrend aber in Gem\u00e4lden Edward Hoppers eine wohlige Melancholie liegt, immer auch scheinbar mehr als auf den ersten Blick ersichtlich ist, machen Eva Schmidts Miniaturen aus dem Wohngebiet einen ausnehmend an\u00e4mischen Eindruck. Sie vermitteln wenig und beschreiben viel.<\/strong><\/p>\n

Es ist ein Wohngebiet wie viele andere, das Eva Schmidt in ihren schlaglichtartig beleuchteten Szenen beschreibt. Die Bewohner haben Tr\u00e4ume, Eigenarten, \u00c4ngste und Hoffnungen. Da ist Joachim, der seinen Vater und seinen Schulfreund Benjamin damit irritiert, dass er spielerisch Frauenkleider tr\u00e4gt und Parf\u00fcm auflegt. Da ist der alte Herr Agostini, der nach einem Unfall nicht mehr gut zu Fu\u00df ist und Benjamin bittet, seinen Hund Hemingway, kurz “Hem” auszuf\u00fchren. Da ist der Hund Albuquerque, kurz “Kerk”, der f\u00fcr seine Herkunft ber\u00fchmt ist. Da sind die Malerin im Atelier und der im Viertel bekannte Obdachlose. Alte Ehepaare, alleinstehende Frauen und M\u00e4nner, K\u00fcnstler, Einsame, pubertierende Kinder, Sterbende; Eva Schmidt bem\u00fcht sich um m\u00f6glichst vielf\u00e4ltige Lebenskonzepte und -situationen, um sie in einem relativ kleinen Erz\u00e4hlkosmos zusammenzubringen. Manche Wege kreuzen sich, andere bleiben weitgehend von den \u00fcbrigen Erz\u00e4hlstr\u00e4ngen isoliert. Mal wird aus der Ich-Perspektive heraus erz\u00e4hlt, auch wenn nicht immer ersichtlich ist, um wen es sich dabei handelt, mal aus der personalen Perspektive. Es scheint, als w\u00fcrde Schmidt herumprobieren, wie ihre einzelnen Ausschnitte sich aneinanderf\u00fcgen.<\/p>\n

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Um das Haus auf dem H\u00fcgel sehen zu k\u00f6nnen, musste ich mich vom Sitzplatz in der K\u00fcche hinaus in den Garten begeben, war dort aber selbst gut sichtbar. Also schaute ich nur manchmal abends, wenn ich vor der Hecke stand, hinauf und stellte mir vor, wie sch\u00f6n es sein musste, von dort auf die kleine Siedlung mit den Ein- und Mehrfamilienh\u00e4usern und die vielen G\u00e4rten herabzublicken. Und einmal war ich dann tats\u00e4chlich oben auf dem H\u00fcgel, eingeladen zu Kaffee, Kuchen und einem Glas Wein von einem \u00e4lteren Ehepaar, das den r\u00fcckw\u00e4rtigen Teil des Hauses bewohnte und an der h\u00f6chsten Stelle des Hauses einen gro\u00dfen Garten und eine Terrasse besa\u00df, von der aus man die ganze Siedlung und die dahinter aufsteigenden Berge \u00fcberblicken konnte.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Das Problem dabei: sie arbeitet so deskriptiv (siehe oben), dass man sich letztlich nicht f\u00fchlt als betrachte man ein Gem\u00e4lde Hoppers, sondern allenfalls, als w\u00fcrde einem ein Gem\u00e4lde von Hopper beschrieben. Schmidt liebt offensichtlich Aufz\u00e4hlungen, m\u00e4andernde Gedanken, deren Urspr\u00fcnge niemals enth\u00fcllt werden und so zwangsl\u00e4ufig irritierend bis unverst\u00e4ndlich bleiben, das Distanzierte. Nun bringt nat\u00fcrlich die Auswahl relativ kurzer Szenen die Notwendigkeit mit sich, nicht auszuufern, um so viel wie m\u00f6glich zu diesem Potpourri beizutragen. Ein langes Jahr<\/em> wird durch diese Erz\u00e4hlhaltung jedoch maximal tr\u00e4ge und vor allem eine lange<\/em> (zwischenzeitlich langweilige) Lekt\u00fcre<\/em>. Weder sehe ich mich imstande, Interesse f\u00fcr die Figuren und ihre Konflikte zu entwickeln noch kann ich die Sprache genie\u00dfen, die best\u00fcrzend gew\u00f6hnlich, ja beinahe n\u00fcchtern in einem Sinne ist, der nicht an Hemingway, sondern vielleicht eher an einen Versandhauskatalog erinnert. Trotzdem gestorben wird, geliebt und gelitten, l\u00e4sst mich das alles eigenartig kalt. Schmidt gelingt es nicht, die Belange ihrer Figuren lebendig und plastisch erscheinen zu lassen. Am Ende bleiben sie zweidimensional, fiktiv und farblos.<\/p>\n

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Manchmal schien ihr, als w\u00e4re die Wohnung ihr einziges Gl\u00fcck. Ein Gl\u00fcck, das allerdings immer mit einem Gef\u00fchl der Unruhe und Angst verbunden war. Aber es war eben nur ein Gef\u00fchl. Es machte sie ein wenig nerv\u00f6s, mehr nicht. Es war Sonntag und Gloria machte sich in der K\u00fcche ein Fr\u00fchst\u00fcck. Kochte ein weiches Ei, packte Schinken, K\u00e4se, Marmelade, Butter, aufgebackene Br\u00f6tchen, Orangensaft und Kaffee auf ein gro\u00dfes Tablett, legte eine Stoffserviette dazu und eine einzelne Rose aus einer Vase mit einem Blumenstrau\u00df. Manchmal stellte sie sich vor, ein Kind zu bekommen.<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Die Textstelle ist vergleichsweise symptomatisch und exemplarisch f\u00fcr die Tr\u00e4gheit des Buches. Glorias Gl\u00fcck ihrer Wohnung ist f\u00fcr sie immer mit Angst und Unruhe verbunden. Warum? Erkl\u00e4rt oder wenigstens angedeutet wird das nicht, “es war eben nur ein Gef\u00fchl”. Darauf folgt eine leidenschaftliche Aufz\u00e4hlung, an der jeder sich orientieren sollte, der im Zweifel \u00fcber die Zutaten eines \u00fcppigen Fr\u00fchst\u00fccks ist. Und pl\u00f6tzlich springen die Gedanken wieder zu der M\u00f6glichkeit eines Kindes. So wenig wie die meisten im Buch beschriebenen Menschen eine aufrichtige und ehrliche Verbindung zueinander haben, so wenig hat sie der Text in Bezug auf seine einzelnen Bausteine. Es entsteht kein Erz\u00e4hlfluss, Form folgt Inhalt; hier jedoch nicht unbedingt auf gelungene Weise. Manches mag absichtlich so nonchalant und holprig gehalten sein, insgesamt rettet das den Text nicht. Ich kann nur mutma\u00dfen, was Ein langes Jahr <\/em>auf die Longlist gebracht hat; vielleicht eine gewisse N\u00fcchternheit, vielleicht die Themen von Einsamkeit und Entfremdung. Preisverd\u00e4chtig jedenfalls ist dieses Buch nach meinem Daf\u00fcrhalten nicht.<\/p>\n

Eva Schmidt: Ein langes Jahr. Jung & Jung<\/a>. 212 Seiten. 20,00 \u20ac.<\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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