{"id":10062,"date":"2016-02-29T21:27:43","date_gmt":"2016-02-29T19:27:43","guid":{"rendered":"http:\/\/literatourismus.net\/?p=10062"},"modified":"2016-02-29T21:27:43","modified_gmt":"2016-02-29T19:27:43","slug":"vendela-vida-des-tauchers-leere-kleider","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/literatourismus.net\/2016\/02\/vendela-vida-des-tauchers-leere-kleider\/","title":{"rendered":"Vendela Vida – Des Tauchers leere Kleider"},"content":{"rendered":"

Eine Frau reist nach Casablanca, um ihrem in Aufl\u00f6sung begriffenen Leben zu entkommen. Ihre Ehe steht vor dem Aus, eine Absprache mit ihrer Schwester hat sich wider Erwarten als Sprengstoff innerhalb der Geschwisterbeziehung erwiesen. Sie muss abschalten. In der flimmernden Hitze Marokkos aber wird sie wie fremdbestimmt in immer neue Umst\u00e4nde verwickelt, denen sie sich anpassen muss.<\/strong><\/p>\n

“Es gibt Phasen in der Evolution”, hei\u00dft es in einem Gespr\u00e4ch im Roman, “in denen manche Arten in ihrer Entwicklung stagnieren, weil es keine Notwendigkeit f\u00fcr Ver\u00e4nderung gibt. Aber dann, meistens aufgrund von Umweltver\u00e4nderungen, m\u00fcssen sie sich ganz schnell anpassen. So entstehen neue Arten.”\u00a0 Auf geschickte Weise ist dieser Ausflug in die Evolutionstheorie auch eine Charakterisierung von Vendela Vidas windiger Protagonistin und ihres Aufenthalts in Casablanca. Bereits zu Beginn l\u00e4uft nichts nach Plan. Beim Einchecken ins Hotel wird ihr der Rucksack mit allen wichtigen Dokumenten, ihrem Laptop und ihrem Geld geklaut. Die Ermittlungen laufen schleppend, die Hotelangestellten scheinen gro\u00dfteils nicht willens oder f\u00e4hig, sich des Diebstahls anzunehmen. Als man sie endlich doch zu einer Polizeistation bringt, h\u00e4ndigt man ihr dort einen falschen Rucksack aus, den sie samt der Papiere einer anderen an sich nimmt. Au\u00dferdem erh\u00e4lt sie vom diensthabenden Beamten ein Dokument mit offiziellem Stempel, das ihr kurz darauf abhanden kommt. Sie kann nicht mehr beweisen, dass sie sich den falschen Rucksack nicht widerrechtlich angeeignet, gar eine Straftat begangen hat.<\/p>\n

Du bist so ersch\u00f6pft, dass du gar nichts mehr sicher sagen kannst. Jede Geschichte scheint plausibler zu sein als deine eigene.<\/em><\/p><\/blockquote>\n

Der Zufall treibt die wildesten Spielereien mit der namenlosen Frau, die, man wei\u00df es nicht genau, von ihren eigenen Spekulationen oder den widrigen Umst\u00e4nden in mehrere alternative Identit\u00e4ten und Leben gedr\u00e4ngt wird. Sie muss sich anpassen, an neue Umweltbedingungen und schl\u00e4gt sich wacker, indem sie immer wieder neue Arten von sich selbst entwickelt. Darin brilliert sie von Anfang an durch einen zupackend flexiblen Umgang mit Wahrheit. Vendela Vida, Frau von Dave Eggers und Herausgeberin von The Believer<\/a>, spielt gekonnt mit Wahrnehmung, indem sie den Roman komplett in einer direkten Ansprache des Lesers abfasst und ihn dadurch zum Protagonisten macht. Unweigerlich wird der Leser vom blo\u00dfen Zuschauer zum Handelnden. Es ist nicht die Geschichte eines anderen, Vendela Vida macht es zur Geschichte eines jeden, der sie liest; die sich au\u00dferdem im Pr\u00e4sens gerade unmittelbar entfaltet und nicht l\u00e4ngst vergangen ist. Diese Erz\u00e4hlperspektive baut Distanz ab. Sie entwickelt einen unwiderstehlichen Sog und zieht hinein in das staubige Land und die Bef\u00fcrchtungen dieser Frau. Nicht immer ist dabei klar, was nur einer \u00fcberspannten Wahrnehmung entspringt und was real ist. Zeitweise wird der Roman gar von einer Bedrohungskulisse gepr\u00e4gt, die manchem Hitchcockfilm zur Ehre gereicht h\u00e4tte (man denke nur an “Der Mann, der zuviel wusste”, auch das 1956er Remake spielt in Marokko). Hat man sich gegen sie verschworen? Hat man die Frau ermordet, deren Identit\u00e4t sie f\u00e4lschlicherweise angenommen hat? Viel bedrohlicher als das, was der Roman tats\u00e4chlich sagt, scheinen die Andeutungen, die er macht. Die sich unweigerlich \u00fcberschlagenden Ereignisse, die trotz ihres zuf\u00e4lligen Aufeinanderfolgens wie die R\u00e4der einer Maschine ineinandergreifen. So absurd alles ist, es scheint einer Logik zu folgen. Selbst als sie Licht-Double bei einem Film wird, der gerade in der Stadt gedreht wird, f\u00fcgt es sich nahtlos ein.<\/p>\n

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Den Empfangsmitarbeitern des Hotels geht es vor allem darum, nicht mitangeklagt zu werden bei dieser Sache, in die sie, wie du nun glaubst, garantiert verwickelt waren. Du wei\u00dft nicht, wohin mit dieser Erkenntnis. Sollst du die Polizei informieren? Oder stecken Polizei und Hotel unter einer Decke?<\/em><\/p>\n<\/blockquote>\n

Karoline von deep read* f\u00fchrt in ihrer Besprechung nicht zu Unrecht die Tatsache an, dass marokkanische M\u00e4nner sowie das Land als solches \u00e4u\u00dferst negativ und fremd dargestellt werden. Kaum ein Einheimischer wirkt freundlich und aufgeschlossen, hier w\u00fcrden subtil Feindbilder untergeschoben und zementiert. Das ist eine bedenkenswerte Lesart. F\u00fcr mich dr\u00fccken sich allerdings in dieser Darstellung keine kulturellen Stereotype aus, sondern die \u00fcberreizte Wahrnehmung der Protagonistin, die sich subjektiv deutlich h\u00e4ufiger bedroht f\u00fchlt als angebracht. Vidas Roman, der auf verschlungenen Pfaden auch an die Wurzel des \u00dcbels f\u00fchrt, ist intelligent komponiert und mitrei\u00dfend geschrieben. Er ist packend im wahrsten Sinne dieses Wortes, denn er packt zu. Packt den Leser bei seiner gut einstudierten Passivit\u00e4t und enthebt ihn seiner blo\u00dfen Beobachterposition. Spannend, humorvoll und originell, dieses Buch ist ein kleines Glanzst\u00fcck!<\/p>\n

Weitere Rezensionen gibts bei *deep read<\/a> und Die Buchbloggerin<\/a>.<\/p>\n

\""buchhandel.de\/\"<\/a>Vendela Vida: Des Tauchers leere Kleider<\/span><\/strong>
\n Aus dem Amerikanischen von Monika Barck<\/span>
\n
aufbau Verlag<\/a>,
\n252 Seiten<\/span>
\n19,95 \u20ac<\/span><\/span><\/p>\n

Bestellen bei:<\/em>
\n
\"Buchhandel.de\"<\/a><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Eine Frau reist nach Casablanca, um ihrem in Aufl\u00f6sung begriffenen Leben zu entkommen. Ihre Ehe steht vor dem Aus, eine Absprache mit ihrer Schwester hat sich wider Erwarten als Sprengstoff innerhalb der Geschwisterbeziehung erwiesen. Sie muss abschalten. In der flimmernden Hitze Marokkos aber wird sie wie fremdbestimmt in immer neue Umst\u00e4nde verwickelt, denen sie sich anpassen muss. “Es gibt Phasen in der Evolution”, hei\u00dft es in einem Gespr\u00e4ch im Roman, “in denen manche Arten in ihrer Entwicklung stagnieren, weil es keine Notwendigkeit f\u00fcr Ver\u00e4nderung gibt. Aber dann, meistens aufgrund von Umweltver\u00e4nderungen, m\u00fcssen sie sich ganz schnell anpassen. So entstehen neue Arten.”\u00a0 Auf geschickte Weise ist dieser Ausflug in die Evolutionstheorie auch eine Charakterisierung von Vendela Vidas windiger Protagonistin und ihres Aufenthalts in Casablanca. Bereits zu Beginn l\u00e4uft nichts nach Plan. Beim Einchecken ins Hotel wird ihr der Rucksack mit allen wichtigen Dokumenten, ihrem Laptop und ihrem Geld geklaut. Die Ermittlungen laufen schleppend, die Hotelangestellten scheinen gro\u00dfteils nicht willens oder f\u00e4hig, sich des Diebstahls anzunehmen. Als man sie endlich doch zu einer Polizeistation bringt, h\u00e4ndigt man …<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":10063,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[16,839],"tags":[898,2188,2187],"jetpack_featured_media_url":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-content\/uploads\/2016\/02\/DSCN8375.jpg","_links":{"self":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10062"}],"collection":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=10062"}],"version-history":[{"count":8,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10062\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":10090,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10062\/revisions\/10090"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media\/10063"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=10062"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=10062"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/literatourismus.net\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=10062"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}