Alle Artikel mit dem Schlagwort: osburg verlag

Zwei Perspektiven auf Joachim Ringelnatz

Gleich zwei Ringelnatz-Biographien sind in diesem Frühjahr erschienen. Hilmar Klute, Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Alexander Kluy, Germanist und Literaturwissenschaftler, nähern sich Joachim Ringelnatz, der mit bürgerlichem Namen Hans Bötticher hieß, auf unterschiedliche Weise. Der eine tut das leichtfüßig, der andere sehr behäbig. Die eine Biographie macht Spaß, die andere zerfasert in unendlich viele Details und vermeintliche Nebenschauplätze. Joachim Ringelnatz, geboren in der sächsischen Kleinstadt Wurzen, starb mit nur 51 Jahren 1934 an Tuberkulose. Er ist noch heute bekannt für seine humoristischen Gedichte, seine Malerei und nicht zuletzt auch für seine seemännische Kunstfigur Kuttel Daddeldu, die nicht nur die Sehnsucht nach der Ferne und den Matrosenberuf mit ihrem Schöpfer gemeinsam hatte. Hans Bötticher verbringt seine ersten Lebensjahre in Wurzen, aber bereits als er drei Jahre alt ist, ziehen seine Eltern in die pulsierende Metropole Leipzig. Ringelnatz’ Vater ist Mundartdichter und entwirft Ornamente für Tapeten, auch seine Mutter ist handwerklich-künstlerisch tätig. Hans Bötticher ist, ganz im Gegensatz zu seinen Geschwistern, nicht eben das, was man einen braven Jungen nennt. Von kleinauf ist er neugierig und aufsässig, …

Akram Aylisli – Steinträume

Akram Aylisli ist einer der bekanntesten aserbaidschanischen Schriftsteller. Er wurde als “Schriftsteller der Nation” ausgezeichnet, seine Bücher wurden in über 30 Sprachen übersetzt. Sein Erfolg jedoch kehrte sich schlagartig in sein Gegenteil, als im Dezember 2012 ,Steinträume’ erschien. All seine Ehrungen und Titel wurden Aylisli aberkannt,  es wurde öffentlich zu seiner Verfolgung aufgerufen, seine Bücher wurden verbrannt und er wurde als Feind seines Landes geächtet. Nicht nur er selbst, sondern auch seine Familie musste Repressalien erdulden. Alles wegen eines Romans, der nun auf der Liste der sogenannten “banned books” steht. Warum? Der landesweit bekannte Schauspieler Sadai Sadygly wird in Baku auf offener Straße niedergeschlagen, weil er versucht, einem Armenier zu helfen. Der wird von einer wütenden Meute zu Tode geprügelt, Sadygly von seinem Freund Nurawisch Karabachly ins Krankenhaus gebracht. Es herrscht eine angespannte Stimmung innerhalb der Gesellschaft, die sich besonders im Hinblick auf die armenische Minderheit bemerkbar macht. Wer offen zugibt, Armenier zu sein, begibt sich in höchste Gefahr. Oder leidet womöglich, wie Ankleiderin Greta Sarkissowna, so massiv unter den Taten des armenischen Volkes, dass …

Dorthe Nors – Handkantenschlag

Sie ist, so sagt man, die dänische Queen of Short Stories. Dorthe Nors‘ präzise und messerscharfe Erzählungen beschreiben Menschen mit verstörenden Interessen und Erfahrungen, Menschen, die inmitten der Gesellschaft Außenseiter sind. Es sind Kurzgeschichten, die ihre Schlagkraft erst nach einem Moment des Innehaltens voll entfalten. Da ist ein Mann, der von seinem Lebenswandel vom durchsetzungsfähigen Manager zum friedfertigen Buddhisten solange überzeugt ist, bis er sich mit einem Kanister Benzin und der Telefonnummer seiner Ex in sein Büro einschließt. Die Frau, die an ihrem Körper  unzählige blaue Flecken bemerkt und wie paralysiert die Situation zu begreifen versucht, während ihr Mann reglos im Bett neben ihr liegt. Es geht um Scheidungen, weibliche Serienmörder und die Faszination, die man für das Unbegreifliche hegen kann, um unüberwindbare Familiengräben und eine Wattwanderung voll Unendlichkeit. Sie schauen auf ihre Brandwunden und blauen Flecke, ihre abgeräumten Bankkonten und ihre zerstörten Träume, als ob es eine ewige Quelle des Erstaunens ist, dass das Böse wirklich existiert. In Dorthe Nors Kurzgeschichten existiert das Böse. Und das, was es zurückgelassen hat. Einsame, traurige und verlorene …

Dorthe Nors und ihr Handkantenschlag

Sie mag keine Geschichten, die belehrend den Zeigefinger heben. Viel mehr geht es ihr um das Spiegeln menschlichen Handels und Empfindens, sagt die dänische Autorin Dorthe Nors in einem Interview. Die heute 44-jährige studierte Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte und veröffentlichte 2001 ihr erstes Buch. Drei weitere folgten, so auch 2008 ,Kantslag‘, das ihr zum Durchbruch verhalf. 2014 unter dem Titel ,Karate Chop‘ auch auf Englisch veröffentlicht, wurde es frenetisch von der amerikanischen Presse gefeiert. Sie sei ein aufstrebender Star, die Publishers Weekly verkündet sogar, kein Wort sei bei Dorthe Nors am falschen Platz. Sie selbst bezeichnet ,Handkantenschlag‘, das sechs Jahre brauchte, um in deutschen Regalen zu landen (dank dem Osburg Verlag), als eine Art Logbuch. Dorthe Nors lebte für zwei Jahre an verschiedenen Orten in Dänemark und lernte bei ihren Reisen unzählige Menschen und ihre Geschichten kennen. Es waren gute Begegnungen und weniger gute, auf jeden Fall aber haben sie sich in das Gedächtnis der aufmerksamen Autorin eingebrannt. Es geht um Einfühlungsvermögen und Genauigkeit, sagt sie. In ihren Geschichten, die oft nur kurze Momentaufnahmen alltäglichen Lebens …

Christoph Werner – Marie Marne und das Tor zur Nacht

Ein Hauch von Michael Ende umweht den neuen Roman von Christoph Werner. Mit viel Magie und gleichzeitig doch einem bewundernswert festen Stand in der Wirklichkeit schafft der Theaterregisseur aus Halle ein hochaktuelles Märchen, das einen bis in seine Träume hinein verfolgen kann. Die Welt, wie wir sie kennen, mag fehlerhaft sein,aber die Welt, die diese Leute wollen, wird vor allem eins sein: effizient. Effizient, effizient, effizient. Voll kindlicher Verbundenheit erinnern wir uns an die grauen Herren bei Michael Ende. Jeder wollte und sollte fortan Zeit sparen, Mußestunden aus seinem Leben streichen, die Pflege sozialer Kontakte zugunsten horrender Zeitersparnisse anderen überlassen. Denen vielleicht, die keinen Erfolg haben, die ihre Zeit auf Erden sinnlos vertun wollen. In Christoph Werners Roman findet sich nun gewissermaßen ein neuzeitliches Pendant zu Endes Zeitsparkasse. Das weltweit operierende Unternehmen All Day Industries (kurz: ADI). Wir befinden uns in einer Welt, in der Schlaf nicht mehr eine Sache des Müssens, sondern eine des Wollens ist. ADI hat ein Verfahren entwickelt, das jedem Menschen ermöglicht, tagelang wach zu bleiben – sofern er das nötige …