Alle Artikel mit dem Schlagwort: familie

Franz Hohler – Gleis 4

Franz Hohler ist ein Schweizer Autor, Kabarettist und Liedermacher. Er studierte an der Universität Zürich Germanistik und Romanistik. Schon während des Studiums führte er sein erstes Soloprogramm pizzicato auf, das sich als so erfolgreich erwies, dass Hohler beschloss, das Studium abzubrechen und von seiner Kunst zu leben. Im März feierte Hohler seinen 70.Geburtstag, ihm zu Ehren veröffentlichte der Luchterhand Verlag bereits Anfang des Jahres den Erzählband “Der Geisterfahrer”. Stellen wir uns vor, wir befänden uns mit schwerem Gepäck auf einem gut besuchten Bahnhof. Vor uns eine unerhört steile Treppe, neben uns ein Koffer, den wir lieber durch die Luft dirigieren als diese steile Anhöhe hinaufschleppen wollen. Unversehens taucht neben uns ein älterer Herr auf und bietet an, den Koffer zu tragen. Ein Gentleman der alten Schule, denken wir und willigen nach einigen Sekunden Bedenkzeit erfreut ein. Es gibt sie noch, die guten Menschen, die Helfer ohne Hintergedanken, werden wir denken, während der Mann uns voraus nach oben schreitet. Scheinbar mühelos und guter Dinge. Der Mann rollte den Koffer zum Rand des Bahnsteigs, ließ ihn stehen …

Hans Pleschinski – Königsallee

Hans Pleschinski ist ein deutscher Autor. Er studierte Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaft in München. Seit 1985 arbeitet er für den Bayrischen Rundfunk. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Sein letzter Roman “Ludwigshöhe” erschien 2008. Es ist 1954 in Düsseldorf. Die Stadt bereitet sich mit geschäftigem Treiben auf die Ankunft eines Nobelpreisträgers vor. Eines Mannes, der im Nachkriegsdeutschland durchaus unterschiedlich beliebt und bewundert ist, ein Mann, dessen Heiligenschein zwar noch immer intakt, doch marginal verrutscht ist. Thomas Mann. Der neunundsiebzigjährige wird von seiner Frau Katia und seiner Tochter Erika begleitet. Leicht erkältet ist er und etwas mitgenommen von der Reise. Der Gast galt als einer der empfindlichsten. Weltweit.Die Berühmtheit, so hieß es, gerate in fiebrige Alpdrücke, müsse zu Unmengen von Schlafpulver greifen, wenn der federleichte, wichtige Schlummer auch nur angehaucht würde. Doch die Direktion hatte für den eminenten Aufenthalt, denn anders konnte man es nicht nennen, weder Kosten noch Mühen gescheut. Die Doppelfenster waren renoviert und gegen mögliches Tröpfeln die Wasserhahndichtungen ausgetauscht worden. Ein Verwaltungsangestellter hatte in der Präsidentensuite sogar probegeschlafen und nicht das leiseste Quietschen …

Dina Nayeri – Ein Teelöffel Land und Meer

Dina Nayeri ist eine iranische Schriftstellerin. Während der Islamischen Revolution im Iran geboren, emigriert sie als Zehnjährige mit ihrer Familie in die USA. Sie studierte in Harvard und arbeitete zeitweise in der Modebranche, als Unternehmensberaterin und Investmentbankerin, bis sie für sich entschied, Romane zu schreiben. Heute arbeitet Nayeri bereits an ihrem zweiten Roman und leitet Schreibkurse des Iowa Writers’ Workshop. Ein Teelöffel Land und Meer erscheint im mare Verlag, in der Übersetzung von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Zwillinge sollen manchmal eine fast überirdische Verbindung zueinander haben. So stark und innig, dass die eine spürt, was der anderen widerfährt, selbst wenn viele Kilometer die beiden trennen. Alles, woran sich Saba Hafezi noch verschwommen erinnert, bevor ihre Zwillingsschwester Mahtab und ihre Mutter spurlos verschwanden – in ein Flugzeug stiegen nach Amerika? – ist eine Frau mit dunkelblauem Manteau, ist ihre Schwester an der Hand eines Fremden, ist ein grünes Kopftuch. Doch ihre Erinnerungen sind trügerisch, irgendwas muss falsch an ihnen sein. Warum haben ihre Mutter und ihre Schwester sich niemals gemeldet, wenn sie das Flugzeug nach …

Deborah Levy – Heim schwimmen

Deborah Levy  ist eine britische Schriftstellerin. Bis 1981 besuchte sie das Dartington College of Arts, dann begann sie Theaterstücke sowie Beiträge für Radio und Fernsehen zu verfassen, die großen Anklang fanden. 1986 veröffentlichte sie mit Beautiful Mutants ihren ersten Roman. Heim schwimmen landete 2011 auf der Shortlist des Booker Prizes. Im Früher dieses Jahres ist es, von Richard Barth ins Deutsche übersetzt, auch im Wagenbach Verlag erschienen. Dichter und Schriftsteller Joe Jacobs, seine Frau Isabel, deren pubertierende Tochter Nina und ein befreundetes Ehepaar fahren in ein Ferienhaus nach Frankreich. Joe und seine Frau haben sich schon lange nichts mehr zu sagen. Isabel ist Kriegsreporterin und dementsprechend häufig überall in der Welt, nur nicht zuhause. Ihre Tochter hat sich an ein Leben ohne ihre Mutter gewöhnt, zwischen ihnen herrscht kühle Distanz. Die Freunde Mitchell und Laura sind mitgefahren, um ihrem ganz eigenen existentiellen Desaster zu entgehen. Mitchell ist hoch verschuldet und die beiden werden ihren Laden für außergewöhnliche und kostspielige Souvenirs aus Afrika und Umgebung bald schließen müssen. Es ist kein Urlaub, wie man ihn sich …

Ein Interview mit Björn Bicker!

Ergänzend zu meiner Rezension zu Björn Bickers ‘Was wir erben‘ hier ein kleines Interview, zu dem sich Herr Bicker freundlicherweise bereit erklärt hat! In Ihrem Roman ‘Was wir erben’ geht es um die dunklen Flecken im Konstrukt Familie, um das, was sie uns mit auf den Weg gibt, wenn sie uns ins Leben entlässt. Was bedeutet Familie für Sie? Ich kann mir mich selbst ohne Familie gar nicht vorstellen. Das ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Die Familie, in die ich hineingeboren wurde, konnte ich mir nicht aussuchen. Das ist Verwandtschaft, der man ausgeliefert ist, die einen prägt, positiv wie negativ. Alles spätere wird in diesem Verbund angelegt. Manchmal kommt es mir so vor, als bestünde das ganze Leben darin, sich von bestimmten familiären Bindungen zu lösen. Aber dann kommt ja auch noch die Familie, die man sich selbst aussucht. Wahlverwandtschaft. Und dann kommen Kinder und diese Verstrickungen gehen weiter. Ob wir wollen oder nicht. Kann schön sein. Kraft geben. Liebe ist wohl das Entscheidende und eine gute Portion Wissen über sich selbst. Damit es gelingt. …

Björn Bicker – Was wir erben

Björn Bicker ist ein deutscher Autor. Er studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen und Wien und arbeitete als Dramaturgieassistent und Dramaturg am Wiener Burgtheater und den Münchner Kammerspielen. Er schreibt Theaterstücke, Essays und Hörspiele. Bereits 2009 veröffentlichte er ,Illegal – wir sind viele. Wir sind da‘, eine Schrift über das Leben illegaler Einwanderer in Deutschland. Was wir erben, ebenso wie Illegal, ist im im Kunstmann Verlag erschienen. Wir alle stellen uns früher oder später die Frage, woher wir kommen. Inwiefern unsere Vergangenheit und die Menschen, denen wir begegnet sind, uns beeinflusst haben. Wir fragen uns, was wir erben, von unseren Eltern, unseren Großeltern, dem Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind und das für uns lange Zeit den wichtigsten Bezugspunkt unseres Lebens dargestellt hat. Was aber ist, wenn wir diesen Bezugspunkt um jeden Preis vergessen, unsere Vergangenheit am liebsten von uns entkoppeln würden? Theaterschauspielerin Elisabeth führt ein, von außen betrachtet, geordnetes Leben. Mit Holger, einem erfolgreichen Chirurgen, verbringt sie Tage und Nächte, ohne viel über ihre Kindheit und Jugend nachzudenken. Das ändert sich schlagartig, …

Nick Dybek – Der Himmel über Greene Harbor

Nick Dybek ist ein amerikanischer Autor. Aufgewachsen in Kalamazoo, Michigan, hat er mit dem kommerziellen Fischfang zwar zunächst wenig zu tun, liest sich aber in das Thema ein, fest davon überzeugt, dass es diese Geschichte ist, die er erzählen muss. Mit seiner Kurzprosa gewann er bereits mehrere Preise. ,Der Himmel über Greene Harbor’ ist sein Debütroman (im Original: When Captain Flint Was Still A Good Man), erschienen im mare Verlag, ins Deutsche übersetzt von Frank Fingerhuth. Viele von uns haben vermutlich in jungen Jahren Stevensons Schatzinsel gelesen. Ich bekam schon früh eine Ausgabe dieses klassischen Abenteuerromans in die Hände, doch es sollten noch so einige Jahre ins Land gehen, bis ich ihn tatsächlich las. Als Kind verschreckten mich doch die Schilderungen verstümmelter Finger und zahnloser Münder zu sehr und so landete Stevenson wieder im Regal. Nick Dybeks Ich-Erzähler hingegen, der 14-jährige Cal, ist völlig fasziniert von Stevensons Schatzinsel, insbesondere aber von Long John Silver, über den er seinen Vater immer wieder ausfragt. War er immer böse? Und wenn nicht, wie ist er böse geworden? Cal …

Peter Buwalda – Bonita Avenue

Peter Buwalda ist ein niederländischer Autor. Er arbeitete für eine Musikzeitschrift und als Verlagslektor, bevor er Bonita Avenue, seinen ersten Roman, veröffentlichte. Viereinhalb Jahre arbeitete er daran. Er wurde für neun renommierte Preise nominiert, vier davon gewann er auch, u.a. den Anton-Wachter-Preis für den besten Debütroman 2012. 2013 ist der Roman schließlich im Rowohlt-Verlag auf Deutsch erschienen, aus dem Niederländischen übersetzt von Gregor Seferens. Bereits im Vorfeld, noch vor Veröffentlichung dieses Romans, sah man sich mit wirkmächtigen und höchst gewichtigen Vergleichen im Zusammenhang mit Buwaldas Stil konfrontiert. Wie ein niederländischer Jonathan Franzen sei er, Bonita Avenue gar das Pendant zu Philip Roths ‘Amerikanisches Idyll’. Infolgedessen erwartete man eine Menge, psychologisch brilliante Kompositionen, die Dekonstruktionen von heimeliger Wirklichkeit, die Autopsie von Familie. All das liefert Peter Buwalda in einem absoluten Meisterstück literarischen Schaffens, in einem Buch, das bisher mühelos auf den oberen Plätzen für mein Buch des Jahres rangiert. Buwalda selbst spricht davon, dass sein Roman sich mit der Fragestellung auseinandersetzt, was passiert, wenn die eigenen Kinder sich gegen ihre Eltern richten. Das geschieht zwar, aber …

Jonas T. Bengtsson – Wie keiner sonst

Jonas Bengtsson ist ein dänischer Autor. Für seinen ersten Roman Aminas Briefe wurde er 2005 mit dem Dänischen Debütantenpreis ausgezeichnet. 2007 folgte sein zweiter Roman Submarino, der von Thomas Vinterberg verfilmt wurde. Wie keiner sonst ist sein dritter Roman. Frank Zuber übersetzte ihn aus dem Dänischen ins Deutsche. Dieser Roman ist, da wird er seinem Namen zweifellos gerecht, in der Tat wie keiner sonst, den ich in der letzten Zeit gelesen habe. Es war mein erster Roman von Jonas Bengtsson, doch es kostet nicht viel Zeit, herauszufinden, dass Bengtsson eine Vorliebe für Geschichten vom Rande der Gesellschaft hat, Geschichten von Menschen, deren Leben aus den Fugen geraten ist, die sich längst abgewandt haben von dem, was man gemeinhin unter Normalität versteht. In seinen Romanen geht es um Gewalt, um Schmerz, um Krankheit und Sucht. Stets dreht es sich um die Suche nach Halt und Geborgenheit unter denkbar schlechtesten Bedingungen. So auch in seinem neuesten Roman Wie keiner sonst, erschienen im Kein & Aber Verlag. Wir begleiten einen siebenjährigen Jungen und seinen Vater in ein völlig …