Kultur, Rezensionen, Romane
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Best of 2018

Das Jahr nähert sich dem Ende; es ist somit Zeit für die obligatorische Rückschau auf das im Jahr gelesene. Was hat besonderen Eindruck hinterlassen? Was wird über das Jahr 2018 hinaus im Kopf bleiben und weiterhin Schatten werfen? Ich habe mir elf Bücher herausgepickt, die mich auf ganz unterschiedliche Weise angesprochen und/oder durchgerüttelt haben. Zwei Dinge werden mir bei der Zusammenstellung klar. 1) Ich habe in diesem Jahr, ohne das zu forcieren, ziemlich viele sehr gute Bücher von Autorinnen gelesen. 2) Es waren in diesem Jahr insbesondere persönliche Geschichten, literarisch aufbereitet, die mich packen konnten und erreicht haben. Es geht oft um Menschen, die Haarsträubendes, Besonderes, Erschütterndes erlebt haben und diese Erlebnisse umwandeln in Sprache, in Erzählung, in Melodie. Das imponiert mir. Immer wieder. Aber nun zu den Büchern, die sich alle auch ausnehmend gut als Geschenke eignen, logisch!

Claudia Rankine: Citizen

Citizen beschreibt, mal essayistisch, mal lyrisch, mal in Form von Textcollagen einen Kampf, der nicht enden will. Aber er macht ihn in einer offenherzigen, berührenden und poetischen Art sichbar. Er adressiert ganz klar das “Du”, er ruft implizit dazu auf, sich selbst hineinzuversetzen in Situationen wie sie Schwarze täglich erleben. Stell dir vor, sagt er, du erlebst das, du erleidest das. Und: Stell dir vor, wir könnten alle zuerst Menschen sein, bevor wir irgendetwas anderes sein müssen. mehr

Emma Glass: Peach

Emma Glass hat mit Peach einen Debütroman geschrieben, der sämtliche Schmerzgrenzen überschreitet in seiner Kompromisslosigkeit. Ein surrealer Trip voller Gewalt und der klägliche Versuch, sich ihrer Spuren zu entledigen. Nichts für zarte Gemüter, nichts für schwache Nerven. mehr

Ottessa Moshfegh: Eileen

Eileen ist jung und lebt in X-Ville, einer namenlosen Kleinstadt irgendwo in den Vereinigten Staaten, es ist 1964. Ihre Mutter ist tot, ihr Vater ein paranoider Trinker. In der Verwaltung einer Jugendstrafanstalt verdient sie ein bisschen Geld und hofft darauf, die Tristesse dieses Lebens bald hinter sich zu lassen und aus ihrem ganz persönlichen Gefängnis auszubrechen. Alles, was sie braucht, ist ein kleiner Stoß in die richtige Richtung. mehr

Clemens Setz: Bot

Es ist ein Potpourri geworden aus funkelnden Kleinigkeiten, ein Satz, eine Szene, mehr braucht es dafür oft gar nicht. Wenn auf youarelistening.to aus dem Polizeifunk der Satz dringt It seems like no one is responding, like, ever und dazu die obligatorische Ambientmusik im Hintergrund erklingt. Wenn von Schillers Skelett berichtet wird, das längst aus den Knochen rund 50 verschiedener Menschen besteht, weil Grabräuber die Knochen Schillers Stück für Stück entwendeten und durch andere ersetzten. Wenn ein Mann über seinen Bart stolpert und sich das Genick bricht. Wenn “Ich” der Name eines schädlichen Pilzes ist, der in Aquarien vorzukommen pflegt. Dann genügt das oft schon. Dann ist die Welt in ihrer Absurdität für einen Moment so schön, dass man sich fast mit ihr versöhnen könnte. mehr

Alexander Pechmann: Sieben Lichter

Im Juni 1828 läuft in der irischen Hafenstadt Cove ein Schiff ein, auf dem sich Grausames abgespielt hat. Große Teile der Mannschaft sind brutal ermordet worden, der Kapitän flüchtig. Glaubt man den Schilderungen der Überlebenden, muss er für das Massaker verantwortlich sein, doch es bleiben Zweifel. Alexander Pechmann hat eine wahre Geschichte zur Grundlage für eine Schauergeschichte genommen, die sich liest, als stamme sie aus der Zeit klassischer Abenteuerromane. mehr

Maggie O’Farrell: Ich bin, ich bin, ich bin

Ist es die Endlichkeit, die einem Leben überhaupt erst Bedeutung und Sinn verleiht? Und wie oft sind wir dem eigenen Ende bislang entgangen, womöglich ohne es zu wissen? Maggie O’Farrell schildert Episoden ihres Lebens, in denen eben dieses Leben gefährdet war. Für wenige Sekunden und Minuten oder über lange Phasen der Krankheit. Gefährdet durch Dritte, den eigenen Leichtsinn oder den Zufall. Am Ende steht, trotz aller Konfrontation mit dem Tod, das Leben. mehr

Heinz Helle: Die Überwindung der Schwerkraft

Zwei Brüder laufen durch die Nacht, ziehen von Kneipe zu Kneipe. Einer von ihnen stirbt wenig später, die Gespräche sind Rückblenden des Zurückgebliebenen, der versucht, sich seinem Bruder anzunähern. Die Beziehung der beiden ist nicht unbelastet. Im Schutz diffusen Kneipenlichts erzählt der Ältere vor allem vom Schlechten und Bösen in der Welt, von seinen intensiven Beschäftigungen mit dem Fall Marc Dutroux als Inbegriff von Grausamkeit, von Krieg, von Gewalt. “Ich änderte also meine Taktik, sagte er dann noch, und begann, mein Leben auszurichten nach dem Prinzip, dass es nur eine Möglichkeit gibt, das Gute zu zeigen, und zwar, indem man das Schlechte erzählt.“, heißt es in einem Absatz. mehr

Francesca Melandri: Alle außer mir

Man kann nicht alles von seinen Eltern wissen. Und gewöhnlich will man es auch nicht. Mitunter passiert es jedoch, dass man keine andere Wahl mehr hat. Francesca Melandri erzählt in ihrem großartigen und hochaktuellen Familienroman Alle, außer mir nicht nur von dem Moment, andem diese Unwissenheit unhaltbar wird, sondern auch vom Einbruch derVergangenheit in die Gegenwart. Ein Buch über die Geschichte des italienischen Faschismus und die Verstrickungen einer Familie. Das Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhändler*innen 2018. mehr von mir dazu im aktuellen Büchergilde Magazin

Liv Strömquist: Der Ursprung der Liebe

Eine fantastische & feministische Graphic Novel über die Entstehung und Entwicklung der romantischen Liebe (Spoiler: sie ist noch jung!). Essayistisch, witzig, pointiert, Stoff zum Nachdenken. hier eine Leseprobe

Francis Nenik: Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert

Francis Neniks Roman erzählt nicht nur von der großen Geschichte und dem Irrsinn des 20. Jahrhunderts, nicht nur davon, wie die Weichen gestellt werden von den herrschenden Umständen, sondern auch davon, wie einer diesen Umständen trotzt – im Rahmen seiner Möglichkeiten. Neniks Romanbiographie gehört für mich zu meinen Jahreshighlights. Unprätentiös, zum Lachen, zum Kopfschütteln, zum Nachdenken, zum Innehalten. mehr

Garrard Conley: Boy Erased

Homosexualität ist eine Strafe und eine Sünde, so der tiefe Glaube vieler christlicher Gemeinden. Conley wächst in den Südstaaten im Umfeld missionarischer Baptisten auf. Sein Vater ist Prediger und ein bekanntes Gesicht in der Kleinstadt, die Unfehlbarkeit der Bibel für die Gemeinde eine unverrückbare Tatsache. Obwohl Conley früh bemerkt, dass er sich eher zu Männern hingezogen fühlt, erzwingt der religiöse Dogmatismus seines Umfelds nahezu die Selbstverleugnung. Er fühlt sich schlecht, er fühlt sich schuldig, vor Gott, vor seinen Eltern, er fühlt sich schmutzig. Nachdem er auf dem College von einem Kommilitonen vergewaltigt und von ihm schließlich gegen seinen Willen vor seinen Eltern geoutet wird, stellt sein Vater ihm ein Ultimatum. Sollte er sich jemals entscheiden, seine Homosexualität offen zu leben, würde seine Familie ihn nicht mehr unterstützen. 2004 beginnt er die “Therapie”. mehr

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