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Francis Nenik – Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert

Dass über Hasso Grabners Leben nicht schon diverse Biographien und wendungsreiche Biopics für die Leinwand existieren, wird nur durch einen allzu menschlichen, wenn auch bedauerlichen Umstand erklärlich: das Vergessen. Dass ein Mensch oder ein Werk dem gesellschaftlichen Vergessen zum Opfer fällt, hat in der Regel viele Gründe. Gut nur, dass man dieses Vergessen auch wieder rückgängig machen kann.

Wüsste man nicht, dass Hasso Grabner keine Erfindung ist, man könnte Neniks Buch für einen gelungenen Schelmenroman halten. Im Mittelpunkt ein Protagonist, der von den historischen Wendungen des 20. Jahrhundert mal hier hin, mal dorthin getrieben wird und wie durch ein Wunder dem berühmten Lauf der Geschichte immer wieder ein Schnippchen schlägt, abseitige Pfade erschließt, unverschämtes Glück hat. Grabner, geboren 1911 in Leipzig, absolviert eine Buchhändlerlehre, an die er mehr zufällig gerät, weil er sich in ein Gespräch einmischt. Mit 18 schließt er sich dem kommunistischen Jugendverband an, verteilt einschlägige politische Schriften und gerät nach 1933 durch seine illegale Arbeit ins Visier der erstarkenden Nationalsozialisten. Es folgt nach einer Veurteilung ein Gefängnisaufenthalt, danach landet Grabner im KZ Buchenwald. Dort hätte es für Grabner bereits zu Ende sein können. Stattdessen gelangt er in ein Strafbataillon der Wehrmacht und schließlich in Uniform, aber ohne entsprechende Gesinnung nach Griechenland. Er überlebt verlustreiche Gefechte und den Krieg, macht sich in der DDR einen Namen als Literat und Organisationstalent, dem es an Linientreue fehlt. Immer wieder werden Kommissionen zusammengerufen, die über den staatsgefährdenden Pargmatismus des Hasso Grabner zu befinden haben. Der Sozialismus des Hasso Grabner ist nicht der Sozialismus der SED. Trotzdem verwendet sich Walter Ullbricht mehrfach für den Mann, der als Buchhändler und Wehrmachtskämpfer wider Willen plötzlich volkseigene Betriebe mit mehreren hundert Mitarbeitern koordiniert.

Am 28. März werden die schlimmsten Splitter aus Hasso Grabners Körper entfernt. Der Rest bleibt drin. Für später. Als Erinnerung an die Möglichkeit eines Krieges. Und die Unmöglichkeit, seine Spuren zu tilgen.

Francis Nenik erzählt Grabners Leben episodisch. Von Station zu Station geleitet der Erzähler die Leserschaft wie ein Fremdenführer durch unerschlossenes Gebiet. Obwohl der Rechercheaufwand vergleichsweise groß gewesen ist, wirkt der Text zu keinem Zeitpunkt überladen, sondern angenehm leichtfüßig. Das liegt auch in Neniks Tonfall begründet, der spielerisch ist, humorvoll, lakonisch. Es gelingt, den Irrwitz der Geschichte (der erzählten einerseits wie der größeren Historie andererseits) ein Stück in die Sprache zu übertragen. Es gelingt, diesen Hasso Grabner anhand exemplarischer Wendepunkte in seinem Leben greifbar zu machen und ihn sich vorzustellen als einen, der Überzeugungen und Prinzipien hatte, aber von Dogmatismus oder Fanatismus immer frei war. Als einen, dem immer wieder Dinge gelingen, die, so scheint es, nicht für ihn vorgesehen waren. Der Schlupflöcher im Schicksal aufspürt. Der keine Angst davor hatte, in Konflikt zu geraten. Grabner mag pragmatisch gewesen sein, aber kein Opportunist. Er steht auf gegen das, was ihm falsch erscheint. Er diskutiert in der DDR öffentlich über ein Gedicht, das der SED-Führung nicht genehm ist.

Der Roman steckt voller kleiner Sprachspiele. So heißt es zu Beginn, Erst ziehen die Uniformen die jungen Männer an, dann die jungen Männer die Uniformen. Und später in Bezug auf die Parteilinie der SED: Wer sich dagegen auflehnt und beim allseits beliebten Zeichnen von Zukunftsbildern die Zentralperspektive missachtet, wird zwangsversetzt und darf im nächstbesten Gefängnis Wimmelbilder ins Mauerwerk kratzen. Francis Neniks Roman erzählt nicht nur von der grooßen Geschichte und dem Irrsinn des 20. Jahrhunderts, nicht nur davon, wie die Weichen gestellt werden von den herrschenden Umständen, sondern auch davon, wie einer diesen Umständen trotzt – im Rahmen seiner Möglichkeiten. Neniks Romanbiographie gehört für mich zu meinen Jahreshighlights. Unprätentiös, zum Lachen, zum Kopfschütteln, zum Nachdenken, zum Innehalten. Die Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert ist unbedingt lesens- und empfehlenswert!

Hier gibt es eine Leseprobe.

Francis Nenik: Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert. Voland & Quist. 192 Seiten. 19,00 €.

Erhältlich bei Prosa und anderen Buchhandlungen eures Vertrauens.

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