Es gibt Bücher, nach denen man sich selbst versehrt fühlt. Wie eine klaffende, pulsierende Wunde. Verstört. Mitgerissen von einem unaussprechlichen Unglück. Dieses ist so eins. Emma Glass hat mit Peach einen Debütroman geschrieben, der sämtliche Schmerzgrenzen überschreitet in seiner Kompromisslosigkeit. Ein surrealer Trip voller Gewalt und der klägliche Versuch, sich ihrer Spuren zu entledigen. Nichts für zarte Gemüter, nichts für schwache Nerven.
Schon die ersten Sätze von Peach lassen erahnen, dass hier nicht konventionell und glatt erzählt wird. Viel eher liest sich der erste Absatz wie eine ins Stocken geratene Maschine, atemlos, ein schmerzerfülltes Stakkato voller Alliterationen und Assonanzen. Man strauchelt. Irgendetwas ist mit Peach geschehen. Sie ist ein junges Mädchen, ihre Knöchel sind aufgeschürft, sie spürt Schmerzen und Blut zwischen ihren Beinen, ihr Körper summt wie unter Strom. Irgendwie stolpert sie nach Hause, ihre Eltern bemerken nichts. Sie sind anzüglich, körperlich wie Teenager, die einander keine Sekunde unberührt lassen können. Gerade ist ein Baby geboren worden. Es heißt Baby. Und es ist süß, im wahrsten Sinne des Wortes. Mehrfach im Roman wird es wortwörtlich mit Zuckerkristallen bestäubt. Peach näht ihre Wunden selbst, mit dem Nähzeug ihrer Mutter, die sichtbaren und die unsichtbaren.
Offenbar ist sämtliche Luft im Raum bereits aufgebraucht, denn ich kriege keine mehr.
Ein wenig fühlt es sich an wie Soundgardens Musikvideo zu Black Hole Sun. Grotesk, abstoßend und grenzüberschreitend. Nichts in diesem Roman bewahrt seine Festigkeit. Grenzen der Wahrnehmung verschwimmen, Peaches Lehrer Herr Pudding kleckst und wabbelt, das kleine Baby ist wie Wackelpudding unter jeder Berührung, Peaches Bauch bläht sich immer monströser auf. Sie schweigt über das, was geschehen ist, sie will es ungeschehen machen, will es abwaschen, doch es kehrt immer wieder zurück. Wie ein Fettfilm überzieht es alles, was Peach umgibt. Und Fett lässt sich bekanntlich auch mit Wasser nicht abwaschen. Emma Glass scheut nicht vor der Körperlichkeit eines Verbrechens zurück, das sie nicht benennen muss, um es mit Sprache erfahrbar zu machen. Immer wieder geht es um Körper, um Fleisch, um die Beschaffenheit von Körpern, um Flüssigkeiten. Wer sich mit derlei Beschreibungen schwer tut, sollte Peach mit Vorsicht genießen oder gar nicht. So eindringlich diese Bilder auch sind, so innovativ und eigenwillig – man liest sie nicht ohne Ekel, ohne Unbehagen, ohne ein Quäntchen Grauen.
Mein Herz prügelt meine Lunge, Atem bricht heraus wie Schrotfeuer.
Emma Glass’ Text ist durchzogen von Reimen und Sprachspielen, als versuche jemand Worte immer wieder neu auf eine Art zusammenzusetzen, die sagen kann, was eigentlich nicht zu sagen ist. Semantische Widlsaat, heißt es in einem Kapitel. Stühle lärmen. Beine schwärmen. Die Worte entkommen, tropfen benommen. Da wird eine Speisekarte “geschlenzt”, bevor die Stirn darauf “platscht”. Die Welt verliert ihre Konturen, alles wuchert, hier und da noch ein Gleichklang im Reim. Es ist diese hochgradig artifizielle Sprache, die den Sog des Romans ausmacht, zwischen Faszination und Abgestoßensein. Übersetzerin Sabine Kray schreibt im Nachwort, dass sie nicht sicher gewesen sei, ob sie mehr als drei Seiten dieses Buches lesen wolle, gerschweige denn es übersetzen. Und am Ende tat sie dann beides. Glücklicherweise. Ihr ist es in beachtlicher Weise gelungen, die Ecken, Kanten, Absonderlichkeiten und Kapriolen der Sprache ins Deutsche zu übertragen. Am Ende steht, so viel sei verraten, kein Happy End. Das hätte dem Roman auch kaum gut zu Gesicht gestanden. Er bleibt eine offene Wunde, bis zuletzt.
Emma Glass: Peach. Aus dem Englischen von Sabine Kray. Edition Nautilus. 128 Seiten. 19,90 €.
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