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Anselm Neft – Vom Licht

Adam und Manda wachsen mit ihren Zieheltern Valentin und Norea auf einem Selbstversorgerhof in der österreichischen Provinz auf. Sie besuchen keine öffentliche Schule, sondern werden von den Eltern zuhause unterrichtet. Ihre religiöse Überzeugung, dass alle Materie böse und falsch ist, die Welt ein schlechter Ort und nur die Heimkehr in ein entmaterialisiertes Lichtreich das Ziel ihrer Existenz sein kann, geben sie an ihre Kinder weiter. Kann man sich in einer Welt zurechtfinden, die einem systematisch vorenthalten wird? Und was ist überhaupt diese »Welt«? Anselm Nefts Roman ist radikal, verkopft und erschütternd.

Wer Vom Licht am Ende zuklappt, wird sich vielleicht denken: Was habe ich da eigentlich gerade gelesen? Einen »Aussteigerroman«, wie es auf dem Buchrücken heißt? Eine Abhandlung über religiösen Fanatismus, über Dogmatismus, über Herrschsucht und Weltflucht? Einen Versuch, die Entstehung der Welt – gespalten in Geist und Materie – mittels religiöser Lehren und wissenschaftlicher Forschung fast in sokratischem Dialog zu reflektieren? Einen entwaffnenden Bericht über Ohnmacht und Macht? Vielleicht von allem etwas. Adam und Manda jedenfalls wachsen in dem Glauben auf, dass die Welt ein von Jaldabaoth geschaffenes Gefängnis sei und die materielle Existenz allenfalls ein Übergangsstadium auf dem Weg zu Erkenntnis und Erlösung. Am Ende ihres Lebens soll einmal die »Heimkehr« ins Licht stehen, im dem nichts Weltliches mehr von Belang ist. Folgerichtig werden sie von allem Leben so weit als möglich ferngehalten; das Zentrum ihrer Existenz ist der Selbstversorgerhof und die Unterrichtsstunden über den Ursprung der Welt, falsche Christen und die Frage nach der Gut- oder Bösartigkeit eines Schöpfergottes. Die Kinder lernen, alles in Frage zu stellen. Sie werden zur Weltfeindlichkeit erzogen, zur Entfremdung von sich selbst. Ihre eigenen Wünsche und Lüste sind nur Anzeichen für ihren Mangel an Erkenntnis. Sie sind »Fleischmenschen« wo sie doch zu »Geistmenschen« werden sollen.

Die Menschen, die tatsächlich durch diesen Eingang zu uns kamen, wurden im Laufe der Jahre stetig weniger, ohne je zahlreich gewesen zu sein. Nur selten halfen Handwerker oder Bauern, wenn Norea und Valentin nicht weiterwussten. Auch tauschten die Menschen der Gegend hin und wieder etwas, das sie angebaut oder gekauft hatten, gegen etwas, das wir angebaut hatten, mussten dazu aber so gut wie nie auf unser Grundstück. Fünfmal zählte ich einen Postboten, der Pakete brachte, die er nicht in den Briefkasten stecken konnte, der bis heute Hunderte von Metern unterhalb unseres Grundstücks an einem befahrbaren Weg aufgestellt steht.

Anselm Neft lässt Adam seine Kindheit und Jugend auf dem Hof rekapitulieren, jedes Kapitel benannt nach einem zentralen Ort im abgeschlossenen Gefüge des Hauses. Zwar ist es den Kindern nicht grundsätzlich verboten, den Hof zu verlassen, doch ihre mangelnde Routine im Umgang mit fremden Menschen macht ein striktes Verbot überflüssig. Wer nicht gelernt hat, sich in der Fremde zu bewegen, wird von selbst in die Sicherheit seines Käfigs zurückkehren. Vom Licht ist, besonders dort, wo die Unterrichtseinheiten geschildert werden, ein Theorieroman, der, ohne die Leserschaft auszuschließen, vor ihren Augen grundlegende, metaphysische Fragen erörtert. Der Roman ist selbst ein Geistwesen, in den Stück für Stück die Welt eindringt, nicht auf leisen Sohlen, sondern mit einem brutalen Befreiungsschlag. Finsternis, heißt es, ist immer ein Ausdruck des Mangels, Licht hingegen behebt nicht nur diesen Mangel, es ist vollkommen. Das vermeintliche vollkommene Strahlen des Lichtreichs aber bedeutet für die Kinder Noreas (Norea bedeutet »die Feurige« und ist in einigen religiösen Texten die Frau Noahs, die während der Sintflut dem höchsten Gott dient, statt auf der Arche ihr Leben zu retten) und Valentins vor allem Finsternis und Enge. Die Erkenntnis der Eltern entpuppt sich immer mehr als fatale Folge psychischer Schräglagen.

Als Norea also fragte, ob Gott gut oder böse sei, antworteten wir wieder einstimmig. Diesmal »böse«. Für uns stand fest, dass Gott die Menschen entweder an seinem Wissen hätte teilhaben lassen müssen, ohne sie zu bestrafen, oder dass er sie vor dem Wissen besser hätte schützen müssen, wenn er doch wusste, welche Folgen es für seine Geschöpfe hatte.

Anselm Nefts Sprache ist so präzise, dass sie kleinste Nuancen in Denken und Fühlen einfängt Sie spiegelt in ihrer dialektischen Herangehensweise die tiefe Verunsicherung der Kinder, für die alles gleichzeitig richtig und falsch, alles gleich gültig und mithin eben auch gleichgültig ist. Diese Art des Erzählens fordert; hohe Konzentration, den Willen, diesen gedanklichen Weg mitzugehen, eine gewisse Dickfelligkeit. Trotz aller Grausamkeit wird hier an keiner Stelle emotionalisiert oder gar psychologisiert, alles verbleibt in der Schwebe, auf geistiger und analytischer Ebene. Das ist dem Thema zwar immanent und an mancher Stelle auch geeignet, den Schrecken noch zu vergrößern, sorgt insgesamt aber dafür, dass der Roman, wie der Selbstversorgerhof, abgeschottetes Gelände bleibt. Man kann nicht mitfühlen. Man kann allenfalls mitdenken. Auch zum Geistmenschen werden, der das Joch, überhaupt irgendwas zu empfinden, gelassen abstreift. Die Frage ist nur: Will man das? Über 238 Seiten hinweg? Am Ende bin ich unentschlossen. Gefesselt zwar von der Schärfe dieser Sprache und ihrem Reflektionsgrad und doch emotional verwahrlost.

Anselm Neft: Vom Licht, Satyr Verlag, 256 Seiten. 19,90 €.

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