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Stephan Porombka – Es ist Liebe

Kulturpessimisten sagen, unsere Liebe sei kaputt. Kulturpessimisten sagen, wir können gar nicht mehr lieben und romantisch sein können wir schon gleich gar nicht, weil wir keine Liebesbriefe mehr schreiben. Kulturpessimisten sagen, die Generation Y sei beziehungsunfähig und immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, dem besseren Partner, der effizienteren und passenderen Beziehung. Stephan Porombka sagt, das stimmt nicht. Wir befinden uns mittendrin in einer Medienrevolution, die unsere Liebe verändert.

Es gibt kein Zurück mehr. Wir werden nicht eines Tages aufwachen und unsere digitalen Gadgets und intelligenten Maschinen in die Mülltonne werfen, um wieder ganz und gar analog zu leben. Wir werden nicht plötzlich die Welt wiederfinden wie sie vor zwanzig Jahren war und umgehend dahin zurückkehren; politisch, sozial, technologisch. Auch wenn so mancher auf Nachfrage andere Wünsche hegt, der Lauf der Zeit lässt sich nicht aufhalten. Er lässt sich verzögern und umleiten, stoppen kann man ihn nicht. Wir sind heute von technischen Möglichkeiten umgeben, die sich innerhalb einer rekordverdächtig kurzen Zeit zu Selbstverständlichkeiten des Alltags entwickelt haben. Smartphones und Apps sind die Regel, nicht die Ausnahme, quer durch alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen. Und sie sollen dafür verantwortlich sein, dass wir uns immer schwerer tun mit Beziehungen und mit Liebe. Alles ist so schnelllebig und so digital, so unwirklich und vielgestalt. Wie soll unter solchen Bedingungen eine tiefe Liebe entstehen und Bestand haben? Früher hat man noch Liebesbriefe geschrieben!

Diesem Abgesang auf die traditionelle Beziehung setzt Stephan Porombka ein flammendes Plädoyer für’s Digitale entgegen. Romantik habe nichts mit Stift und Papier zu tun, Romantik sei schon in ihrem Entstehen eng verbunden gewesen mit dem Sprengen von Grenzen und dem Experiment. Experimentiert wurde mit Sprache, mit Materialien und Stillagen, mit Ironie und Kreativität gegen das Bewährte und Konventionelle. Die Romantiker haben nur deshalb analoge Liebesbriefe geschrieben, weil sie keine digitalen schreiben konnten. Nicht, weil sie das naserümpfend als neumodische Verirrungen abgetan hätten. Überhaupt herrsche, so Porombka, im kulturpessimistischen Milieu die Neigung vor, bescheidwisserisch über Dinge zu sprechen, von denen man selbst nur aus dritter Hand etwas weiß, wenn überhaupt. Oft wird über Tinder, Facebook, Instagram oder Snapchat gesprochen, ohne eigene Erfahrungen damit gemacht zu haben, allein auf der validen Basis des Hörensagens. Diese Kanäle aber sind es, die unsere Kommunikation von Grund auf verändert haben und natürlich auch weiterhin verändern werden. Es würde sich lohnen, Geschichten darüber zu erzählen. Wie es sich schreibt und liebt und liest und fühlt in Zeiten sozialer Medien.

Denn wenn man das Neue nur durch das Alte verstehen will, muss man zwangsläufig stehenbleiben.

Porombka macht das Smartphone nicht nur zu einem Zentrum der Leidenschaften und spielerischen Beziehungsaufnahme, sondern auch zu einem Selbsterforschungsinstrument. Nie zuvor hatten wir so viele Möglichkeiten, uns selbst kennenzulernen. Wir können uns filmen, fotografieren, unsere Stimme aufnehmen, unseren Herzschlag messen, aus jedem Winkel, in jeder Position, an jedem Ort dieser Welt, in Echtzeit. Wir können verschicken, was uns wichtig ist, wir können es speichern, transformieren, künstlerisch verarbeiten, Collagen der Liebe erstellen. Je mehr wir von uns selbst wissen, desto gnädiger werden wir nicht nur uns, sondern auch anderen gegenüber. Intensive Selbstbespiegelung also führe notwendig zu einem friedvolleren Miteinander. Ich weiß nicht, ob ich diesen Weg bedenkenlos mitgehen würde. Porombka ist bekannt nicht nur für geistreiche Tweets und kreative Mash-Ups zwischen Pop, Moderne und klassischer Bildung, für die ZEIT schreibt er auch regelmäßig die Kolumne Professor Praxis. Er kennt sich aus mit dem Universitätsbetrieb, er kennt sich aus mit neuen Medien und er sucht leidenschaftlich Anknüpfungspunkte und Schnittstellen zwischen modernen und klassischen Kommunikationsformen. Er lehrt u.a. Texttheorie an der UdK in Berlin, sein Interesse gilt naturgemäß der Wandlung von Texten, Sprache und Darstellung.

Was jetzt geschrieben wird, hat mit dem, was man sich vom Schreiben so denkt, so gut wie gar nichts mehr zu tun. Das alles gab es vor zehn Jahren noch nicht. Vieles davon gab es noch nicht einmal vor fünf.

So wahr es ist, dass wir nicht hinter das Erreichte zurückfallen können, weil wir nicht ungeschehen machen werden, wie die digitale Sphäre unser Leben durchdringt; die Aufbruchsstimmung ist nicht ungetrübt. Wir wissen, dass wir die digitale und die analoge Sphäre nicht mehr sauber voneinander trennen können. Sie überlagern sich. Wir lernen online Menschen kennen, dann auch offline, Beziehungen und Netzwerke entstehen, die sich online und offline abbilden und fortschreiben. Online sein bedeutet nicht mehr länger, in irgendeiner Zwischenwelt zu wandeln, die keine Verbindung zur echten Welt hat. Diese Rolle der irrealen Zwischenwelt nimmt vorübergehend das Darknet ein. Porombkas Plädoyer aber lässt, sicher bewusst, Aspekte des Digitalen außer Acht, die damit zwangsläufig einhergehen. Wenn das Smartphone eine große Selbsterforschungsmaschine ist, stößt es gleichzeitig unablässig Daten aus, die es auch anderen ermöglichen, uns zu erforschen. Bei Porombka liest sich die Selbstbespiegelung als sei man mit seinem Maschinchen allein im abgeschlossenen Labor und könnte ungestört herumexperimentieren, könnte jederzeit vollkommen autonom über die Ergebnisse dieser Experimente entscheiden. So ist es nicht.

Die neue Medienkompetenz heißt: Die Welt romantisieren.

Natürlich raubt das Smartphone uns nicht die Fähigkeit zu lieben und selbstredend sind nicht nur auf Papier geschriebene Liebesbriefe eine legitime Form, seine Liebe zu gestehen. Mit neuen Formen kreativ zu experimentieren, kann elektrisierend sein. In jedem Fall ist es konstruktiv und neugierig; seit jeher eine bessere Art, mit Veränderung umzugehen als alte Maßstäbe an neue Gegebenheiten anzulegen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich leicht, jeden, der in der Veränderung sozialer Beziehungen nicht nur Positives entdeckt, des Kulturpessimismus’ zu überführen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Porombkas Manifest jedenfalls plädiert für einen zugewandten, kreativen und offenen Umgang mit neuen Medien. Dafür, dass wir wissen, wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden. Von Romantik. Und von Smartphones.

Mehr dazu auch auf kapriziös.

Stephan Porombka: Es ist Liebe. Hanser Verlag. 176 Seiten. 16 €.

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