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Arno Frank – So, und jetzt kommst du

Manche realen Geschichten verdienen es, zu einem Roman zu werden, weil sie bereits für sich genommen romanhaft genug sind. Man muss wenig an ihnen verändern, eigentlich kaum etwas ausschmücken, man muss nur eine Sprache dafür finden. Was sich im Falle Arno Franks zunächst wie eine absurde Roadnovel liest, ist bittere Realität. Weil Franks Vater in krumme Geschäfte verwickelt ist, gerät er ins Visier der Ermittlungsbehörden und taucht schließlich unter. Mit ihm, so berichtet der Roman, taucht seine Familie inklusive der Kinder und eine Flucht quer durch Europa beginnt.

“Jeden Tag”, sagt Arno Franks Vater immer, “steht irgendwo ein Dummer auf.” Das ist ein Naturgesetz. Und weil das so ist, muss es immer jemanden geben, der von der Dummheit der anderen profitiert. Einen, der gerissen ist, einfallsreich, bis zum Anschlag voll mit Selbstvertrauen und möglichst gewissenlos. Für den jungen Arno ist sein Vater sowas wie ein Magier. Einer, der alles schon irgendwie regelt, auch wenn nie jemand weiß, wie genau er das anstellt. Franks Vater kennt die Schwächen seiner Mitmenschen nur zu gut und er weiß, wo er einhaken kann, damit für ihn etwas von Vorteil dabei herausspringt. Als er in einer Autowerkstatt arbeitet, nimmt er Reparaturen am Auto vor, die unnötig sind und viel kosten, die eigentlichen Baustellen am Auto lässt er unangetastet. Sollen sie doch wiederkommen. Er kann ihnen alles andrehen und aufschwatzen. Er handelt mit alten Militärfahrzeugen, organisiert aus dubiosen Quellen sein Geld. Die Familie bleibt davon so lange unbeeinflusst, bis immer öfter offizielle Post ins Haus flattert und eines Tages die Polizei vor der Haustür steht und vergeblich um Einlass bittet. Das ist der Startschuss für eine Reise, die Arno, seine Schwester, seinen kleinen Bruder und die Eltern quer durch Europa führt. Zuerst nach Frankreich, dann nach Portugal, schließlich zurück nach Deutschland, immer auf der Flucht vor den Behörden.

Wie reich wir genau in Bälde sein würden, davon erzählten auch die Zeitschriften, die sich auf dem Klo stapelten. Neben der Auto, Motor & Sport waren das neuerdings Exemplare von Yacht, einem Segelmagazin. Darin zu blättern, war wie in Urlaub zu fahren. Überall gebräunte Männer mit Dreitagebärten und Sonnenbrillen, in schnittigen Booten souverän die Gischt durchschneidend.

Während das Leben an der Cote d’Azur noch etwas Mondänes hat und den vermeintlichen finanziellen Erfolg des Vaters beweist, auf den alle so lange gewartet haben, lebt die Familie in Portugal unter ärmlichen Verhältnissen. Erst in einem Rohbau, dann in einem Hotel, das sie schließlich auch Hals über Kopf verlassen müssen, als dem Vater keine Ausreden mehr dafür einfallen wollen, dass er nicht zahlt. Mit mehreren Schichten Kleidung übereinander ergreifen alle wieder die Flucht, das Provisorium ist zum Dauerzustand geworden. Arno Frank beschreibt den Ausnahmezustand seiner Kindheit, etwa ein Jahr, mit einer Leichtigkeit, die einem die Zeit womöglich erst nach einigen Kämpfen zugesteht. Aus der Perspektive des jungen und ahnungslosen Arno schildert der Erzähler das unstete, unkontrollierte Existieren, in dem es keine Sicherheit mehr gibt, außer der, dass eben nichts sicher ist und schon gar nichts von Dauer. Es ist eine einschneidende und umwälzende Erfahrung der Verunsicherung, die nicht nur darin besteht, sich auf nichts verlassen zu können, sondern auch darin, im Nachhinein das Bild der eigenen Eltern revidieren zu müssen. Franks Mutter trägt die Flucht zu jedem Zeitpunkt einigermaßen besonnen mit, sie fügt sich. Vielleicht versucht auch sie zu glauben, was allen spätestens nach Frankreich eigentlich bloß noch wie ein schales Ablenkungsmanöver erscheinen muss: wir werden reich, wir haben Geld, wir schaffen das und wir sind wer.

Ich denke an meine Freunde und daran, dass ich mich gar nicht verabschiedet habe. Dass ich mich von niemandem verabschiedet habe. Dass niemand weiß, dass ich überhaupt weg bin, wirklich weg. Ich stelle mir meinen Stuhl in der Schule vor und frage mich, ob der für mich freigehalten wird, nur für alle Fälle. Als ein Junge aus der 6b damals im Eis auf dem Gelterswoog eingebrochen und ertrunken ist, blieb dessen Stuhl auch das restliche Jahr unbesetzt.

Womöglich ist es eine fatale Mischung aus Geltungsdrang und Realitätsverlust, die Franks Vater dazu nötigt, seine Familie gleichsam in Geiselhaft zu nehmen. Was es auch ist, Arno Frank weiß mit einschneidenden Szenen und prägnanten Bildern die Wunden der Familie, nicht etwa bloß die eigenen, bloßzulegen. Er tut das mit Humor, mit einem geschärften Sinn für’s Absurde genauso wie für’s Tragische. Weder verkitscht noch veralbert er seine Geschichte, vielmehr gelingt es ihm im Schreiben dennoch eine Form der humoristischen Distanz zu wahren. Autofiktionale Texte haben dieser Tage Hochkonjunktur und sind ausnehmend erfolgreich, z.B. im Fall Thomas Melles oder Joachim Meyerhoffs. Auch Arno Frank stößt in diese Kerbe, mit einem ähnlich tragikomischen Witz wie es Meyerhoff tut. So, und jetzt kommst du (ein Zitat des Vaters, mit dem er im Gespräch erfolgreich jedwegen Widerspruch bereits im Aufkeimen zu ersticken pflegte) ist ein berührendes und erheiterndes Zeugnis zugleich geworden.

Arno Frank: So, und jetzt kommst du. Tropen Verlag. 352 Seiten. 22,00 €

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