Blogbuster, Kultur
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Blogbuster: Anachronismus und Dörflichkeit

Der Blogbusterwettbewerb neigt sich dem Ende entgegen. Am 11.April werden die drei Shortlistkandidaten bekanntgegeben, am 04.Mai findet im Literaturhaus Hamburg die offizielle Preisverleihung statt. Unterdessen haben die teilnehmenden BloggerInnen ihren KandidatInnen Löcher in die Bäuche gefragt, das Longlistlesebuch wurde fleißig heruntergeladen und beurteilt, die Jury hat diskutiert. Ich möchte nochmal einen Blick werfen auf meine Herzenskandidatin Doris Brockmann und ihren Text “In Bhutan steckt Hut”.

Während andere zukünftige Welten in düsteren Farben malen, schreibt Doris Brockmann Worte wie “alsdann” und strickt ihre Geschichte um eine “Putzmacherin”. Nicht, dass es heute keine mehr gäbe, aber man würde sie ModistInnen nennen, Designer womöglich. Während es andernorts um Mord und Totschlag geht, um nutzlos gewordene Gewissheiten und zerfallende Gefüge, herrscht in In Bhutan steckt Hut noch ein Glauben an Althergebrachtes, Traditionelles und Bewährtes. Das Leben kann noch Lehrmeister sein. Es ist viel die Rede von “wir” und “man” und obwohl die Erzählstimme stark durchdrungen ist von Rosas Gedanken und Gefühlen, sucht man ein Ich vergebens. Keine Spur von moderner Vereinzelung, von Hektik oder Weltlage. Ort und Geschehen scheinen gänzlich abgeschnitten von ihrer Umgebung; einzig wenn die Modepüppchen aus dem Urbanen einfallen und mit etwas Prosecco bespaßt werden wollen, schwant einem, dass es irgendwo noch anderes Leben geben muss. Als Rosas Schaufensterdekoration in fotografischer Form unauthorisiert die Grenzen überschreitet, fällt der Rest der Welt auch hier vor allem unangenehm auf.

Alle vollgestellt mit Kiefern und Tannen. Zu ihren Füßen ein weites Feld aus Äckern, Wiesen und Wegen. Inmitten ein paar Zäune und Scheunen. Und Kühe, schöne schwarzbunte und braunbunte, neuerdings auch ein paar cremefarbene, Charolais-Rinder, mit wenig Fett, also begehrt, also teuer. Zehn Minuten Gehweg vom Haus aus in nordwestlicher Linie der kleine Steg über die Hoppecke. Grau, verwittert und windschief wie im Bilderbuch. Auf dem Geländerpfosten ein Habicht, gelangweilt ins Rund schauend wie ein unterbeschäftigter Türsteher. Nix los. Wetzt sich den Schnabel. Peilt die Lage.

In diesem abgeschotteten Mikrokosmos hat noch jeder seinen Platz und seine Aufgabe, niemand bricht unerwartet aus der Gemeinschaft, um “sich selbst zu verwirklichen”, kein Pumpkin Spiced Latte nirgends, aber noch Tri-Top. Als der Schuster stirbt, sorgt das kurzfristig für Aufruhr. Konrad ist “der Vogelfreie”, nachdem ihn ein Unfall hat sonderlich werden lassen, Rosa war immer schon ungewöhnlich mit ihren Hutkreationen und ihrer Träumerei. Die beiden verbindet tiefe Freundschaft und eine gewisse Genügsamkeit. Sie wollen nicht viel vom Leben, gemessen an dem, was man sich dieser Tage eben so erträumt (Haus, Geld, Auto, Bausparvertrag, Internetfame). Brockmann erzählt die Geschichte behutsam, versessen auf kleine landschaftliche oder handwerkliche Details als handle es sich auch bei ihrem Roman um eine mit verspieltem Zierrat besetzte Kreation. Im Text wimmelt es von Sätzen wie So ist es, haben die Leute gesagt, genau so oder Das haben wir schnell im Griff, hieß es. Es sind Sätze ohne identifizierbare Subjekte. Sie evozieren eine lang zurückreichende Geschichte (an keiner Stelle weist sich der Roman explizit als historisch aus), ein Miteinander, eine Sicherheit im Fühlen und Denken. Das ist einerseits charmant und läuft andererseits auf fast rebellische Art dem zuwider, was im Literaturbetrieb dieser Tage Konjunktur hat. Wo sich um uns herum überall Sicherheiten auflösen, wagt Doris Brockmann eine Geschichte, in der sie noch unangetastet existieren. Man kann sich auf die Dinge verlassen, auf den Regen, den Sonnenuntergang, die Kleinbahn.

Manchmal verschickt Konrad leere Geschenkkartons, um sich auszumalen, wie die so Beschenkten reagieren und ihre Phantasie in Gang kommt. Phantasie stellt er sich als eine Art Lastkraftwagen vor, der während der Fahrt sowohl be- als auch entladen werden kann.

Brockmann hat einen Stil gewählt, der völlig durchdrungen ist von Gedankenrede. Immer wieder abbrechende, kurze Sätze, Beschreibungen, Lautmalereien, Selbstversicherungen, von Rosa eingefärbt. Man mag sie sich laut gesprochen vorstellen in die Stille einer Werkstatt hinein: “Versuch gescheitert. Bis auf Weiteres”; dann wieder nimmt die Erzählstimme eine Außenperspektive ein, die der Beobachtenden, der Dörfler: “Rosa, immer Klassenbeste und musste nicht mal viel dafür tun. Der fiel alles in den Schoß.” Sie schwankt zwischen Intimität und fremder Beobachtung. Im Wortgeflecht auch wiederholt Lebensweisheiten, die Großeltern und deren Eltern weitergetragen haben mögen. Sie erinnern an den unumstößlichen Alltagspragmatismus einer anderen Zeit. Nun ergibt es erzählerisch freilich Sinn, die Geschichte einer Putzmacherin im Dörflichen nicht mit den narrativen Mitteln eines hippen Berlinromans zu erzählen. Hin und wieder durchbricht Brockmann mit sehr feinem Humor die Provinzialität, an dieser Stelle hätte man auch dicker auftragen können.

Woran es dem Roman in seiner Sinnlichkeit und Betulichkeit vielleicht etwas mangelt – und das sage ich, trotzdem ich mich darin verlieren konnte -, ist Bewegung, ist Spannung, möglicherweise ein beherzterer Bruch mit dem dörflichen Einerlei. Nichtsdestotrotz: wenn in Bhutan Hut steckt, dann steckt das Glück vor allem in der Leidenschaft, in der Hingabe an eine Sache, die aus- und erfüllt. Darin ist der Roman glasklar. Am Ende obsiegt, trotz großer Angebote aus der großen Welt, das Überschaubare und Unkorrumpierbare. Vielleicht steckt, bei genauer Betrachtung, auch ein bisschen Sehnsucht darin.

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Bilder: Stocksnap.io

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