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Chimamanda Ngozie Adichie – Liebe Ijeawele…

Was bedeutet Feminismus heute? Wie können Kinder möglichst unbeeindruckt von Rollenklischees aufwachsen, die ihre Selbstbestimmung beschneiden? Chimamanda Ngozie Adichie hat ihrer Freundin Ijeawele auf Wunsch fünfzehn Ratschläge zur feministischen Erziehung gegeben. Wie kann die heute aussehen und worum geht es im Besonderen?

Chimamanda Ngozie Adichie ist in den letzten Jahren zu einer wichtigen feministischen Stimme geworden. Weniger in theoretisch-wissenschaftlicher als in vermittelnder Hinsicht. Sie will jeden ansprechen, der bereit ist, zuzuhören. Sie will überzeugen, nicht mit Dogmatismus und Fachvokabular, sondern mit dem Anschluss an das tägliche Leben und Situationen, denen alle gleichermaßen ausgesetzt sind. Feminismus geht uns alle an, davon ist Adichie überzeugt, deshalb sollten seine Anliegen auch für alle verständlich sein. Demzufolge adressieren die Briefe an ihre Freundin Ijeawele ganz grundsätzliche Fragestellungen. Welche Wertvorstellungen vermittle ich meinem Kind? Welche Freiheiten gestehe ich ihm zu? Welche Maßstäbe lege ich an mich selbst an? Dabei geht es oft um überkommene Rollenbilder und überhöhte Erwartungen. Mädchen zu früh in ein Korsett zu drängen, das ihnen typisch weibliche Verhaltensweisen und Vorlieben als natürlich und zwangsläufig verkauft, mindern Chancen und Möglichkeiten. Es geht nicht darum, das typisch Weibliche plötzlich zu sanktionieren, sondern die freie Wahl zu lassen; mithin also darum, Abweichungen von dem zu akzeptieren, was gemeinhin als weiblich und mädchenhaft gilt. Puppen, Kleider, Schminke, Pferde und Fürsorglichkeit sind schön und gut, aber nicht genetisch vorbestimmt. Es muss auch Mädchen geben, die mit ihrem Interesse für Modellbau, Flugzeuge, Physik oder Kampfsport nicht für abschätzige oder gönnerhafte Reaktionen sorgen. Ein Kind in dieser Offenheit zu erziehen und ihm niemals das Gefühl zu geben, aufgrund seines Geschlechts auf wesentliche Interessen und Leidenschaften verzichten zu müssen, sieht Adichie als wesentlich an. „Weil du ein Mädchen bist“, sollte und kann kein Grund sein für oder gegen etwas, niemals, nirgendwo.

Aber es geht Adichie auch um die Rolle der Mutter, die trotz unserer vermeintlich gleichberechtigten Gesellschaft nicht nur mit Erwartungen überfrachtet, sondern auch gleichbedeutend ist mit der Aufgabe von Erziehung und Haushaltsführung. Mütter haben alles zu schaffen, mit einem Lächeln und aus dem Handgelenk. Sie müssen auf alles eine Antwort wissen, sie müssen sich Medikamente einwerfen, um für ihre Kinder da zu sein, wenn sie krank sind. Eine Mutter fällt nicht aus und sie ist nur Mutter, nichts sonst. Adichie warnt ihre Freundin vor überzogenen Ansprüchen, an denen jede Frau langfristig nur scheitern kann. Nicht nur die Mutter ist für die Kindererziehung verantwortlich, es sind immer beide Partner gleichermaßen. Der Mann „hilft“ der Frau nicht mit den Kindern oder im Haushalt, er tut lediglich, was mit der Familiengründung zu seinen Pflichten gehört. Was selbstverständlich klingt, ist und bleibt ein gesellschaftlich relevantes Thema, das sich nicht nur darin zeigt, dass Männer deutlich öfter belächelt werden, wenn sie sich langfristig um die Kinder kümmern statt zu arbeiten. Wenn man sie nicht belächelt, bejubelt man sie für ein Opfer, das sie bringen, für ihre Häuslichkeit. Die Rollenbilder und -erwartungen sind hier noch immer deutlich zementierter als es auf den ersten Blick den Anschein erweckt. Es lohnt, genauer hinzusehen und sich selbst zu hinterfragen. Wie gleichberechtigt lebe ich meine Partnerschaft? Oder kämpfe ich viel eher für den Feminismus-Light, der zwar oberflächlich für die Rechte der Frauen eintritt, aber letztendlich doch ein ungleiches Verhältnis zwischen Mann und Frau für legitim befindet, solange der Mann seiner Frau „gestattet“, ihr Leben frei zu gestalten? Feminismus geht entweder ganz oder gar nicht, sagt Adichie, es gibt keine leichtverdauliche Light-Variante, die niemandem auf den Schlips tritt. Eingeschliffene Strukturen aufzubrechen wird immer weh tun und es wird immer mit Protesten verbunden sein. Geschenkt eigentlich.

Dass viele feministische Absichten missinterpretieren, lässt sich schon daran beobachten, dass am Weltfrauentag Horden von Männern plötzlich ihre Frauen „verehren“ und „auf Händen tragen“ wollten. Nicht nur, dass es einigermaßen sinnlos ist, das reflexartig auf ein einziges Datum zu beschränken, es geht auch nicht um eine besondere Behandlung, die Frauen zu den besseren Menschen verklärt. Es geht nicht um Anbetung und Verehrung; niemand fordert das ernsthaft. Aber es eignet sich hervorragend, um von tatsächlichen Forderungen abzulenken und sie auf eine Ebene umzuleiten, die mit ein paar Geschenken und guten Worten zu bewältigen ist. Und wenn das nichts nützt, kann man eine untergeschobene Intention erfolgreich dazu benutzen, legitime Anliegen zu diskreditieren. Feminismus bedeutet Gleichberechtigung und mit dem Wunsch nach Gleichberechtigung geht auch die Forderung einher, Vielfalt als unumkehrbare Realität anzuerkennen. Vielfalt ist kein Konstrukt einer linksliberalen Minderheit, sie existiert überall in der Welt, sie ist ein Fakt. Sein Kind mit dieser Tatsache zu konfrontieren und sie zu einer Selbstverständlichkeit zu machen, je früher desto besser, wird größere Ungezwungenheit ermöglichen in einer globalisierten und vernetzten Welt.

Adichie bohrt keine dicken Bretter. Sie spricht aus, was Konsens ist, jedenfalls unter denen, die begriffen haben, dass Feminismus kein Komplott zur Vernichtung der Männerschaft darstellt. Aber sie tut es mit einer Präzision und einer Gelassenheit, die es auch anderen ermöglicht, in das Thema einzusteigen und sich ihm anzunähern. Ihre Bücher sind Einladungen, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Nun kann man natürlich kritikwürdig finden, dass sich da jemand immer wieder an Grundsätzlichkeiten abarbeitet, am Offensichtlichen wenn man so will, aber die Tatsache, dass auch das Offensichtliche bislang vielerorts nicht erreicht worden ist, verrät, dass nach wie vor Bedarf daran besteht. Bedarf, Mythen aufzuklären und Klischees auszumerzen. Bedarf, das Selbstverständliche eben nicht mehr selbstverständlich zu nehmen und die Konstruktion darin zu erkennen. Dazu leistet Adichie mit Liebe Ijeawele ebenso wie mit ihren anderen feministischen Texten einen Beitrag. Im konkreten Fall ist es allerdings mindestens kritisch anzumerken, dass ein Buch mit 80 Seiten, äußerst großzügig bedruckt, für 8,00 € über den Ladentisch geht. Auch eine großzügige Preiskalkulation.

Chimamanda Ngozie Adichie: Liebe Ijeawele… Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden. Aus dem Englischen von Anette Grube. Fischer Verlag. 80 Seiten. 8,00 €.

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