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Claudia Vamvas – Sitze im Bus

Claudia Vamvas verdanke ich den ausgesprochen praktikabeln Ratschlag, vor dem Verlassen meiner Wohnung den Herd zu fotografieren, um unterwegs sicherzugehen, dass er ausgeschaltet ist. Ihrem Twitteraccount @akkordeonistin folgen mittlerweile rund 12.800 Menschen, Tendenz steigend. Wer bislang (oder: noch immer, trotz zahlreicher Gegenbeispiele) glaubte, Twitter wäre aufgrund seines Zwangs zur Kürze nichts für Feingeister, ungeeignet fürs Literarische, der wird durch die Schweizerin Vamvas eines Besseren belehrt.

Eigentlich fährt sie nur Bus. Doch Claudia Vamvas lässt es in ihren pointierten und warmherzigen Beobachtungen mehr nach einer Schicksalsgemeinschaft aussehen, die jeden Tag zur gleichen Zeit in einem Gelenkbus mit Faltenbalg zusammentrifft. Kurz oder auch länger sind sie, einander zwar unbekannt, aber durch das Leben und Menschsein verbunden, Gefährten mit unbestimmtem Ziel. Sie beraten gemeinsam über wichtige Fragen. Warum hat der Busfahrer nicht angehalten? Sollte nach dem aufdringlichen Geplapper einer mittlerweile aus dem Bus gestiegenen Frau einmal durchgelüftet werden? Wird ein zweiter Bus gebraucht angesichts der Fülle an Utensilien, die eine Frau auf der Suche nach etwas Wichtigem aus ihrer Handtasche zutage fördert? Allgemeine Ratlosigkeit herrscht angesichts eines Gesprächs, das von gegenseitigem Unverständnis geprägt ist. Die mehr oder weniger unfreiwillige Zeugenschaft im öffentlichen Nahverkehr schweißt zusammen. Claudia Vamvas schafft mit ihren Tweets einen Mikrokosmos, der seinen eigenen Regeln und Gesetzen folgt. Die, wo wir dabei sind, überhaupt mal irgendwo fixiert werden sollten:

Gibt es eigentlich schon Bus-Tutorials? Ein- und Ausstieg, geeignete Kopfhörer, angemessener Blickkontakt, Territoriumsgrenzen. Diese Dinge.

Aber es sind nicht nur die Bilder einer Schicksalsgemeinschaft, die Vamvas’ Beobachtungen so charmant machen. Es existiert auch eine zurückgenommenere Observationsposition in ihren Tweets, eine erstaunliche Wahrnehmung für Details und Gleichzeitigkeit. Da sitzen zwei Frauen nebeneinander, die passende Frisuren hätten, wenn sie sie tauschten. Da treffen sich ein junger Mann und eine junge Frau täglich im selben Bus und werfen sich verstohlene Blicke zu – ohne sich anzusprechen. Da wird man erzwungenermaßen Zeuge von Telefongesprächen wechselnder Brisanz und flexiblen Aufbaus. Manchmal steigt der Telefonierer aus, bevor die Spannung aufgelöst werden konnte, ein anderes Mal erzählt eine Frau die gleiche Geschichte dreimal – in drei verschiedenen Varianten. Niemals gibt Vamvas ihre MitfahrerInnen der Lächerlichkeit preis, immer steckt in ihrem Blick etwas Versöhnliches und in ihrer Perspektive etwas Ungewöhnliches. Es ist ihr gelungen, dem Busfahren etwas Lehrreiches und Existentielles abzutrotzen; etwas von diesem Glanz der Charakterstudien in überlaufenen Fußgängerzonen und Cafés. Andere setzen sich mit einem Milchkaffee in den Außenbereich hipper Straßencafés, Vamvas fährt Bus. Sie entdeckt dabei freilich Menschliches, Allzumenschliches, aber ihre Art, es zu beschreiben, lässt keinen Raum für misanthropische Abwehr. Im Gegenteil: die Beobachtungen bieten die Möglichkeit für Identifikation, für eigene Erinnerungen und Erfahrungen. Sie hat den Blick für Feinheiten, für Augenblicke und Sekundenbruchteile, die sie zu einem Bild zusammenfügt, das dann eben doch mehr ist als die Summe seiner Teile.

Und dann plötzlich die Vorstellung, keiner im Bus hätte ein bestimmtes Ziel, außer dem, unter Menschen zu sein.

Plötzlich der Gedanke: alles könnte ganz anders sein als es scheint. Manchmal imitiert das Leben eben doch den Film und die Kunst, auch in der profansten Umgebung. Claudia Vamvas hat die Fantasie und das Fingerspitzengefühl, selbst aus der emotionslosen Forderung, während der Fahrt nicht mit dem Fahrer zu sprechen, eine kleine Geschichte zu spinnen; möglicherweise seufzt der Busfahrer ja ins Mikrofon, weil er doch mal mit jemandem sprechen möchte. Und dann ist der Bus eben auch das Google der Straße. Man lernt, wie man Feen aus Bilderbüchern abpausen kann. Dass man für manche Dinge eben noch zu jung ist; auch wenn der kluge Ratschlag von einem Gleichaltrigen kommt. Dass es viele Nuancen gibt zwischen “eisigem Schweigen” und “Nichtreden”. Unter jedem Tweet ist eine kleine Vignette platziert, die die Bedeutung entweder illustriert oder in manchen Fällen sogar erweitert, vertieft, humoristisch kommentiert.

Ein Junge sagt zum anderen, er habe den Turnbeutel vergessen. Er weiß noch nicht, dass es ihn ein Leben lang beschäftigen wird.

Sitze im Bus ist ein wertvolles Kleinod, das weit mehr beinhaltet als bloß abgedruckte 140 Zeichen. Es beinhaltet Literatur in kürzester Form, die durch ihre Leerstellen und Spielräume ein unglaubliches Potential entfaltet; mehr, als manche mehrseitige Kurzgeschichte. Die Zeichenbegrenzung zwingt zu Genauigkeit und Claudia Vamvas beherrscht diese Genauigkeit bravourös. Am Ende steht life in a nutshell – das ganz Große im ganz Kleinen.

Claudia Vamvas: Sitze im Bus. Frohmann Verlag. Als E-Book für 2,99 € oder als gedrucktes Buch für 19,50 €.

Bild: Stocksnap.io

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