Blogbuster, Kultur
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Blogbuster und Hundstage

© Jake Melara. Stocksnap.io.

Beinahe vier Wochen sind seit der offiziellen Pressekonferenz auf der Frankfurter Buchmesse vergangen. Blogbuster läuft, konstant, in etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit. Will sagen: da geht noch was. Mehr zum Beispiel. Für alle, die jetzt noch rätseln, was denn “Blogbuster” sein soll, dem sei geraten, sich auf der Homepage des Projekts umzutun, an dessen Ende hoffentlich eine vielversprechende neue Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur steht. Wie ergeht es mir nun also, als Bloggerjurorin in den ersten vier Wochen? Mich haben bislang neun Manuskripte ganz unterschiedlicher Thematik und Qualität erreicht. Ausuferndes, Post-Postmodernes mit unzähligen Versatzstücken aus Philosophie und Popkultur samt Fußnoten, Hyperrealismus, der sich in Beschreibungen jeder noch so kleinen Belanglosigkeit erschöpft, Liebesgeschichten von Verflossenen, Verlorenen und Verschmähten, Digital-Hogwarts 2.0, ein Jugendroman. Es ist eine besondere Erfahrung, plötzlich nicht mehr über die Tauglichkeit eines Textes im Endstadium zu entscheiden, sondern sich beim Lesen auch die Frage zu stellen: was könnte daraus noch werden? Braucht es Feinschliff? Ist es originell? Ist es lesbar außerhalb eines elitären Kreises von Eingeweihten, die die Codes darin entziffern und ironisch zu nehmen wissen? Ich spüre beim Lesen eine Verantwortung, der ich gerecht werden will ohne ungerecht zu sein. Bei Gefallen der Leseprobe, so sagen es die Statuten, können die BloggerInnen von den AutorInnen das gesamte Manuskript anfordern. Einmal habe ich das bislang getan.

Ich war Axel Oswald, neununddreißig, Sales Manager und Familienvater, Hausbesitzer und Mitglied im Kindergartenförderverein. Ich repräsentierte neunzig Prozent der Männer meines Alters in unserem Neubaugebiet.

Ingo Bartschs Herr der Hunde ist absurd und (wahn)witzig. Als ich im Exposé las, es ginge um einen einfachen Mann, der durch den Zufall mehr oder weniger dazu getrieben wird, aus kompensatorischen Gründen Hunde zu entführen, war ich mitnichten Feuer und Flamme. Im Mittelpunkt: Axel Oswald, Geschäftsmann, Interimskleptomane erst aus Versehen und dann aus Leidenschaft. Mit seinen Hundeentführungen, die bloß beginnen, weil der Nachbarhund sich versehentlich ins Auto schleicht, versetzt er die ganze Bundesrepublik in Atem. In den verrücktesten Episoden lässt Axel zuerst den Nachbarshund in einer geerbten Scheune verschwinden, dann einen im öffentlichen Grün entwendeten, den er mittels Blutwurst anlockt, danach den Whippet einer steinreichen Bekannten, deren Bemühungen, mit ihrem Klappergestell von Hund ausschließlich auf Französisch zu kommunizieren trotz des klangvollen Namens Oranda-Vivienne nicht von Erfolg gekrönt sind.

Als Oranda-Vivienne die Küche betrat, musste ich schlucken. Sie hatte gefährlich schlanke Beine, eine nahezu nicht vorhandene Hüftpartie und glattes, glänzendes brünettes Haar. Ihre Augen waren tiefbraun und sanft, dabei von einer magischen, unterschwelligen Wildheit. Grazil bewegte sie sich auf uns zu, sie schien beim Gehen den Boden gar nicht zu berühren. Als sie am Tisch angelangt war, schlug mir ihre lange, nasse Zunge entgegen wie ein roter Teppich, der zwischen Marmorsäulen entrollt wird.

Nach einigen Seiten hat der Text mich dann. Wegen seiner Leichtigkeit, seines Humors, seiner prägnanten Bilder und Vergleiche, wegen seines irren Plots, der nicht getragen literarisch daherkommt, nicht mit dieser tiefen Seriösität der Welthaltigkeit. Der Text kommt im Jogginganzug mit Hundeapplikation – und das ist gut so! Er bringt mich verlässlich zum Schmunzeln, während ich zwischen Mitleid und Unverständnis für einen Mann schwanke, der doch bloß sein bedenklich aus der Nase blutendes Kind ins Krankenhaus fahren wollte und schließlich über vierzig Hunde entführt. Oswald wird gewitzter, routinierter, er erlebt die unerwartete Macht des kleinen Mannes und die bedingungslose Zuneigung derer, die nicht mit Gewalt entführt, sondern bloß mit einem Salamibrötchen verführt zu werden brauchen. Bartsch schreibt es so als könnte es jedem von uns passieren. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, die zu noch unglücklicheren Umständen führen. Die (Über)drehung der Schraube. Ich freue mich auf den Rest des Manuskripts, der noch frisch und unverbraucht vor mir liegt.

An dieser Stelle unterlief mir ein fatales Missgeschick. Es war nur eine geistlose Bemerkung, die wie ein kleiner Steinschlag eine ganze Scheibe zersplittern, wie das unbedachte Hüsteln eines Alpinisten eine fürchterliche Lawine auslösen sollte. Ich sagte: „Wahrscheinlich steckt bloß ein osteuropäischer Hundehändlerring dahinter.“

Aber: ich freue mich auch noch immer über andere Einsendungen. Bis zum 31. Dezember können noch Manuskripte bei den entsprechenden WunschbloggerInnen eingereicht werden! Ich bitte darum. Hier mehr.

Auch Katharina von Kulturgeschwätz hat bereits einen ersten Zwischenstand zum Blogbuster-Projekt veröffentlicht.

Man kann einen Auszug aus Ingo Bartschs Text (ab 3:29) auch von ihm selbst gelesen hören:

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