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Frank Berzbach – Formbewusstsein

Wir neigen gemeinhin zu der Annahme, dass unser Alltag etwas ist, das unvermeidlich und gleichförmig wie ein Strom an uns vorüberzieht. Wir sind mittendrin, aber genau deshalb nehmen wir ihn nicht nur als selbstverständlich wahr, sondern allenthalben auch als etwas, in das uns die Gegebenheiten unseres Lebens hineindrängen – ob wir wollen oder nicht. Frank Berzbach zeigt anhand zentraler Themenbereiche unseres alltäglichen Lebens – Ernährung, Liebe, Medien, Kleidung und Besitz – wie wir zu aktiv Gestaltenden werden können.

Achtsamkeit ist keine Entspannungstechnik. Das Trendthema dieser Tage – neben Superfoods und naheliegenden Sensationen wie Infused Water – ist Achtsamkeit; worunter einige fälschlicherweise entweder das Achtgeben auf sich selbst oder eine spezielle Art der Meditation verstehen. Vielmehr ist mit dem Begriff aber eine spezielle Haltung gemeint, bei der es darum geht “annehmend und geduldig zuzulassen, was geschieht, präsent, neugierig und sanftmütig zu bleiben und bedacht statt reflexhaft reagieren”. Laut Berzbach, der selbst Psychologie und Kulturpädagogik unterrichtet und seit Jahren Zen-Praktizierender ist, liegt ein zentrales Problem vieler Menschen in der Formlosigkeit und Beliebigkeit ihrer alltäglichen Entscheidungen. Statt bewusste und informierte Entscheidungen zu treffen und damit aktiv dem eigenen Leben eine Form zu geben, die ihm Stabilität verleiht, messen viele den kleinen Fragen des Daseins zu wenig Bedeutung bei. Ganz im Gegensatz zu den großen Sinn- und Moralfragen. Was sie essen, wie sie sich kleiden, welche Medien sie konsumieren oder wieviel sie warum besitzen, gerät für viele Menschen neben Fragen der Selbstdarstellung oder Effizienz ihres täglichen Handelns in den Hintergrund.

Schon die Küche an sich bietet heute Anlass zu irritierenden Beobachtungen: Deutsche geben gern ihr Geld für kostspielige Küchen aus, und deutsche Küchen genießen im internationalen Produktdesign hohe Anerkennung – nur werden in diesen Küchen dann meist minderwertige Speisen zubereitet.

Je unübersichtlicher unsere Welt und je ausufernder das Angebot an Lebenskonzepten und Waren, desto formloser gerät unser Leben, wenn wir nicht gestaltend eingreifen. Eine allenthalben empfohlene Lösungsstrategie ist die Beschränkung, da macht auch Berzbach keine Ausnahme. Es geht dabei nicht um Selbstgeißelung oder darum, sich geliebte Dinge aus einem ominösen Trendbewusstsein heraus zu versagen; viel bedeutsamer dabei ist die Bewusstwerdung dessen, was wirklich wichtig und wertig ist. Vorübergehender Verzicht kann dabei helfen, hinderliche Abhängigkeiten zu identifizieren und infolgedessen zu überwinden. Wir können uns jederzeit entscheiden, ob wir teilnahmslos vor dem Fernseher minderwertiges Essen in uns hineinstopfen, ob wir uns tagtäglich von den Nachrichten zahlloser Medien on- und offline berieseln lassen oder gezielt Angebote auswählen, denen wir unsere Zeit widmen. Trotzdem sich Formbewusstsein viel diskutierter Themen annimmt, erhebt es nicht den Zeigefinger und ist, trotzdem es klar einen Standpunkt herausarbeitet, zu keinem Zeitpunkt moralinsauer oder missionarisch. Es liefert Denkanstöße, die zu verarbeiten jedem selbst überlassen ist. Dabei stellt es auch Fragen zu Selbstakzeptanz, Schönheit, Genuss oder Geld. Trotzdem wir gern dazu angehalten werden, uns selbst zu lieben, wie wir sind (meisterlich sind lange Listen dazu, was Männer/Frauen beim jeweils anderen bevorzugen, um in einem ad absurdum geführten “Sei du selbst” zu enden), gilt noch immer überwiegend das Credo: Eigenlob stinkt. Mit zur Perfektion erhobenem Understatement macht man sich noch immer deutlich mehr Freunde als mit einem Auftreten, das von Selbstakzeptanz und einem gesunden Bewusstsein für die eigenen Stärken geprägt ist. Die eigenen Schwächen anzuerkennen statt sie zu kaschieren oder als Rechtfertigung für permanente Selbstkritik zu missbrauchen, trägt maßgeblich zur Selbstakzeptanz bei. Soweit die Theorie.

Sobald gesellschaftliche Normen unterschritten werden, wird schnell Alarm geschlagen – aber wenn Normen übererfüllt werden, bleibt das abweichende Verhalten unkommentiert. Wer zu viel arbeitet, der wird für einen fleißigen oder ehrgeizigen Menschen gehalten; wer sich mit der Mutterrolle überidentifiziert und nur noch Themen rund ums Kind zulässt, wird irrtümlicherweise als “gute Mutter” betitelt.

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Berzbach zeigt auch, dass Geld und Konsum nicht per se Teufelswerk sind; Haben und Sein, wie Erich Fromm einst schrieb, nicht krasse Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille, die zwangsläufig aufeinander einwirken. Formbewusstsein – wunderschön gestaltet vom Verlag Hermann Schmidt, auch wenn sich die schwarze Schrift auf dem grauen Leinen als nicht besonders haltbar erweist – bietet Handlungsoptionen für mündige Lebenskünstler. Und unter Künstler sei hier nicht nur der verstanden, der künstlerische Werke der Malerei oder Literatur schafft oder sein Leben auf besonders unkontentionelle Art bestreitet, sondern im Prinzip jeder, schöpferisch und formgebend tätig ist. “Ich möchte dazu motivieren“, schreibt Berzbach, “Kunst und Alltag gemeinsam zu denken und zu praktizieren, also formgebend in den Alltag einzugreifen.” Das ist rundum gelungen und eine anregende Lektüre!

Bereits in der 8.Auflage erscheint übrigens Berzbachs Vorgänger Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen.

Frank Berzbach: Formbewusstsein. Verlag Hermann Schmidt Mainz. 192 Seiten. 29,80 €

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