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Katharina Winkler – Blauschmuck

Es ist ein Roman wie ein Schlag in die Magengrube. Unerbittlich, unnachgiebig, rücksichtslos. Im Mittelpunkt von Katharina Winklers Debütroman steht eine junge türkische Frau, die, früh verheiratet, schreckliche Demütigungen und Quälereien von ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter über sich ergehen lassen muss. Basierend auf einer wahren Begebenheit lässt dieses Buch atemlos zurück.

Ist es richtig, in einer Zeit wie der jetzigen, ein Buch wie dieses zu veröffentlichen? Diese Frage wurde vielfach im Zusammenhang mit Blauschmuck gestellt. Die Atmosphäre ist angespannt, die Haltung gegenüber Muslimen vielerorts offen feindselig. Und nun kommt dieser Roman daher und legt den Finger direkt in die Wunde, direkt auf ein Problem, das im Hinblick auf den Islam immer wieder diskutiert wird: die Unterdrückung und Geringschätzung der Frau. Filiz wächst in einem türkischen Dorf auf, einigermaßen behütet zwar, doch auch ihr Vater erhebt in der Familie regelmäßig die Hand gegen die Mutter. Ungewöhnlich ist das im Dorf mitnichten, eher gleicht es einer Traiditon, die in Frage zu stellen bisher niemandem eingefallen ist. “Viele Frauen wechseln den Blauschmuck von Woche zu Woche, einige von Tag zu Tag. (…) Der Blauschmuck der Frauen trägt die Handschrift der Männer”, erzählt Filiz. Und sie beschließt: “Wenn ich groß bin, werde ich eine blaue Frau.” Der Blauschmuck, das sind die Hämatome, die sichtbaren Rückstände häuslicher Gewalt, von der scheinbar jede Frau gezeichnet ist. Zuallererst physisch, aber natürlich auch psychisch. Die Verletzungen der Frauen als “Schmuck” zu bezeichnen, ist so einfach wie wirkungsvoll. Im “Schmuck” klingt einerseits das Besitzrecht des Mannes an, der seine Frau, also: sein Eigentum, mit diesem “Schmuck” beschenkt, andererseits die brutale Verharmlosung und vermeintliche Normalität dieser Gewalt. In ihm steckt auch die Neigung vieler Gewaltopfer, die erlittenen Schmerzen und Quälereien zu rechtfertigen. Sie – für Außenstehende völlig unverständlich – als verschrobene Art der Zuneigung zu deuten.

Yunus schmückt mich blau. blaues Korsett, blaue Strümpfe, ein Halsreif. Blaue Ringe an den Fingern. Er schlägt mir ein Diadem auf die Stirn.

Es ist nicht nur die Gewalt, die erschüttert, es ist vor allem die stoische Duldsamkeit, mit der Filiz sie erträgt. Sie ist sehr jung, als sie Yunus heiratet. Ihre Eltern sind dagegen und so wird sie von ihrer Familie getrennt und verstoßen. Es wird früh im Text deutlich, auf welchem Boden diese Duldsamkeit und Toleranz der Gewalt gedeihen konnte. Wer ohne “Blauschmuck” durch die Straßen des Dorfes läuft, wird geächtet. Von ungeprügelten Frauen wendet man sich ab. Aus Filiz Perspektive erzählend, verrät Katharina Winkler viel über das Selbstverständnis des Mädchens, das sich mit Tieren aus dem Stall vergleicht: “Er hat nach mir gegriffen wie nach der Mähne eines Fohlens”, heißt es da, “mein Haar ist ungekämmt wie ein Pferdeschweif”, sie habe “braune Augen wie eine Kuh”. Sie betrachtet sich selbst als eine Art Nutztier für einen Mann, über das er nach Belieben verfügen kann. Verspricht Yunus ihr noch vor der Ehe, dass die beiden in Deutschland leben und Jeans tragen werden, bricht bald die Realität in Filiz’ Leben ein. Ihr Mann, selbst kaum 20 Jahre alt, schlägt sie, vergewaltigt sie, droht ihr gar mit dem Tod. Als sie bemerkt, dass sie schwanger ist, versucht sie verzweifelt, das Kind wieder loszuwerden, indem sie sich schwere Säcke aus dem Schuppen auf den gewölbten Bauch fallen lässt. Es hilft nichts. Ihre Schwiegermutter, die sie “die Spinne” nennt, wirft ihr vor, sich gemeinsam mit ihrem Kind durchfüttern zu lassen. Vom Nutztier zum Parasiten.

Nachts träume ich, dass ich Yunus’ Rachen betrete wie einen Stollen, um aus seinem Gaumen Worte zu schlagen. Ich wage mich tief hinein, aber ich kann nichts bergen. Da bröckelt der Rachen, bricht ein, die Zunge kippt, ich stürze in den Schlund. Freier Fall.

Katharina Winklers Sprache ist bildgewaltig. Sie fasst etwas in Sprache, für das es normalerweise keine Worte gibt, das ist ihre große Qualität. Die Verschränkung von Ich-Perspektive und treffender Bilder für das Unaussprechliche lassen die Lektüre ungeheuer intensiv und intim erscheinen. Man muss sie verdauen, diese beiläufig ausgestreuten Grausamkeiten. Es sind Sätze wie Schläge: “Er will meinen Schmerz stumm und mein Stöhnen lustvoll.” Oder “Er muss  mir das Kind aus den Knochen schlagen” (…) “Er muss mir die Ehefrau ins Gehirn prügeln”. Die stärksten Passagen schildern eindringlich und kompromisslos das Empfinden von Gewaltopfern. Von Frauen, die glauben, das zu verdienen, was ihnen angetan wird. Passagen von einer körperlichen und seelischen Entfremdung sich selbst, nicht etwa dem Täter gegenüber. Um zu der Eingangsfrage nach der Zeit zurückzukommen, die für einen Roman wie diese ungünstig erscheinen mag: um über häusliche Gewalt zu sprechen, ist jede Zeit die richtige. Freilich geschieht es in Winklers Roman vor dem Hintergrund einer traditionalistischen und frauenfeindlichen Islamauslegung. Und sicher ist die mangelnde Bildung eines türkischen Dorfmädchens nicht unbeteiligt am Erfolg dieser Unterdrückung. Filiz glaubt gar, dass man von einem Kaugummi schwanger werden kann, wenn er das Geschenk eines Mannes ist. Die existentiellen Erfahrungen von Gewalt und Missbrauch aber sind universell. Sicherlich muss über das Frauenbild rückwärtsgewandter Traditionalisten offen gesprochen werden. Genauso dringend aber über Gewalt ganz generell, ob sie in einem religiösen Kontext stattfindet oder nicht. Katharina Winkler jedenfalls hat einen Beitrag dazu geleistet und einen beeindruckenden Debütroman geschrieben, der noch von sich reden machen wird.

"buchhandel.de/Katharina Winkler: Blauschmuck
Suhrkamp Verlag,
196 Seiten
18,95 €

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