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Ralf Rothmann – Im Frühling sterben

Er ist derzeit in aller Munde und Feuilletons, der Roman von Ralf Rothmann. Die Geschichte des jungen Melkers Walter, der sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinem Freund Fiete mehr oder weniger unfreiwillig der SS anschließt und schließlich gezwungen ist, ihn zu erschießen, weil er desertierte, erntet frenetischen Beifall. Nicht nur, weil sie eine exemplarische Familiengeschichte der Zeit beleuchtet und einen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung auf die Spitze treibt. Höchstwahrscheinlich auch aufgrund von Rothmanns vermeintlich empathischer Herangehensweise, die jedoch vielfach etwas kitschig und erstaunlich distanziert daherkommt.

Viele von uns wissen wenig über ihre Eltern und Großeltern im Krieg. Was sie getan haben, wo sie gewesen sind, welche Schuld sie womöglich auf sich geladen haben, welche Erinnerungen sie quälen. Es wird geschwiegen aus diversen Gründen: Pietät, Angst, Scham, mangelnde Worte. Ähnlich ergeht es auch dem Erzähler der Rahmenhandlung in Rothmanns Roman, dessen Beziehung zu seinem Vater Walter immer distanziert im Vagen verbleibt. Einerseits ist der Vater zwar anwesend, andererseits hüllt er sich über persönliche Dinge, die Vergangenheit und Gefühle stets in Schweigen. Er ist anwesend und abwesend zugleich. Kurz vor seinem Tod deliriert er vom Krieg, von den fallenden Bomben und Granateinschlägen. Es ist der Tod, der im letzten Moment die Mauer zwischen Vater und Sohn zerschlägt. Und gleichzeitig den Einstieg in Walter Urbans Geschichte bildet.

Was auf die Welt bringen, das ist die härteste Arbeit. Zerstören und töten kann jeder Idiot.

Der Krieg geht bereits auf sein Ende zu, als die Melker Walter und Fiete auf einem Fest des Reichsnährstands in die SS eintreten. Nicht, weil sie überzeugte Nationalsozialisten sind. Die jungen Männer sind weitgehend unpolitisch. Mehr, weil eine subtile Drohkulisse und ein völkischer Gruppenzwang sie vermeintlich dazu nötigen. In Windeseile werden sie ausgebildet, denn Deutschland braucht dringend kämpfenden Nachschub. Walter macht den Führerschein und transportiert fortan Güter und Verletzte, Fiete wird von ihm getrennt und muss kämpfen. Zwar spricht er immer wieder davon, wie man am besten fliehen könnte, um nicht an der Front als Kanonenfutter zu enden, aber Walter nimmt es nicht ernst. Bis Fiete tatsächlich desertiert – für seine Frau und sein noch ungeborenes Kind. Darauf steht freilich die Todesstrafe und es wird Walter mit einigen Kameraden sein, der sie ausführen muss. Tut er es nicht, wird auch er erschossen.

Melde dich nie zu etwas freiwillig, hat der Opa immer gesagt, im Krieg und im Kino sind die besten Plätze hinten. Vorne flimmert es zu sehr.

Ralf Rothmann präsentiert mit Walter Urban einen Charakter, der wenig Reibung ermöglicht. Ein junger und unbedarfter Mann, der gegen Kriegsende in die SS eintritt, ohne ideologisch vereinnahmt zu sein. Ein junger Mann, dessen Beziehung zu seinem prügelnden und jähzornigen Vater schwierig war; nun ist der Vater selbst im Krieg verschollen. Ein junger Mann, der auf niemanden die Waffe richtet – außer seinen besten Freund. Und das erst, nachdem er erfolglos versuchte, ihn vor diesem Schicksal zu bewahren, ihm das Leben zu retten. Die wenigsten würden sich selbst neben dem Freund standrechtlich erschießen lassen. Dieser Walter Urban provoziert nicht etwa Entrüstung oder Schrecken, viel mehr Mitgefühl und Fassungslosigkeit. Rothmanns Sprache ist ungemein blumig und sinnlich. Während die Welt um Walter Urban in Schutt und Asche liegt, lenkt Rothmann die Aufmerksamkeit immer wieder auf knospende Pflanzen, blaue Himmel, weidende Tiere. Auf die Beschaffenheit eines Türrahmens oder Kleides, auf Uniformen und Kriegsgerät. Konsequent liegt der Fokus auf der gleichgültigen Lebendigkeit der Natur und all den unbelebten Dingen. Dieser deutliche Kontrast auch zwischen Sprache und Inhalt mag am Anfang reizvoll erscheinen, nutzt sich aber mit fortschreitender Lektüre langsam ab. So detailliert Rothmann den Einschlag einer Phosphorbombe zu beschreiben weiß, es bleibt eigentümlich distanziert und nüchtern.

Die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln, die dich treffen, verletzen auch deine ungeborenen Kinder, sozusagen. Und später, wie liebevoll behütet sie auch heranwachsen mögen, haben sie panische Angst davor, gekränkt, geschlagen oder erschossen zu werden. Jedenfalls im Unterbewusstsein, in den Träumen.

Rothmann wollte ganz offensichtlich nicht die Geschichte derer erzählen, die als Nachkommen der Kriegsgeneration tief in sich die Verletzungen der Eltern spüren. Ulrike Draesner hat das bereits im letzten Jahr mit ihrem Roman ,Sieben Sprünge vom Rand der Welt‘ literarisch zu thematisieren versucht. ,Im Frühling sterben’ konzentriert sich auf “die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln” , auf das also, was selbst durch Schweigen noch weitergetragen werden kann. Er tut es allerdings anhand eines Charakters, dem wenig vorzuwerfen ist und in einer Weise, die in distanzierter Außenperspektive das Kriegsgeschehen beschreibt. Wir sind zu jedem Zeitpunkt bestens darüber informiert, wie sich ein Tröpfeln von Regen, ein Windhauch, ein Knarzen von Holz oder das Blöken eines Schafes anhört. Worüber wir wenig erfahren, ist das Innenleben des Walter Urban. Genausowenig erfahren wir über seinen Sohn. Das Dilemma liegt freilich in der Erzählsituation begründet, schließlich hat der Vater nie gesprochen. Wie hätte also der Sohn erfahren sollen, was der Vater dachte und fühlte, um es zu Papier zu bringen? An dieser Diskrepanz krankt der Roman aber ganz gewaltig, was ihn schlussendlich zwar zu einer ganz anrührenden Kriegsgeschichte in ziemlich poetischer Sprache macht, aber keineswegs zu der literarischen Sensation, die allerorten verkündet wird. Sogar Bedauern wurde darüber ausgesprochen, dass Rothmann seinen Roman nicht im Rennen um den Deutschen Buchpreis wissen will, schließlich hätte er so gute Chancen. Diesem frenetischen Applaus kann ich mich nicht anschließen, dafür bleibt mir der Roman zu vage, dafür stößt er zu wenig an, was es nicht zuvor bereits gegeben hätte. Man kann sie lesen, diese Geschichte, auch durchaus mit Genuss – aber man muss es nicht.

Zu ganz anderen Ergebnissen kommen zum Beispiel Thomas Brasch auf brasch & buch und Tobias Nazemi auf buchrevier.

Ralf Rothmann: Im Frühling sterben, Suhrkamp Verlag, 234 Seiten, 9783518424759, 19,95 €

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