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Bov Bjerg – Auerhaus

Es endete u.a. damit, dass Frieder den großen Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz abholzte. Aber man sollte das Pferd nicht rückwärts aufzäumen. Die Auerhaus-WG entsteht, um Frieder vor sich selbst zu schützen und wird eine in der dörflichen Umgebung einmalige Bastion gegen das Erwachsenwerden, ein letztes Aufbäumen der Jugend gegen das Unausweichliche. Bov Bjergs humorvoller 80er-Jahre-Jugendroman von Freundschaft und Zusammenhalt macht nicht nur denen Spaß, die sich noch an früher erinnern!

Unsere Schule war das jüngste Gymnasium in der Kreisstadt. Das Gymnasium für die Dörfer. Die anderen Gymnasien hießen Schiller-Gymnasium und Albert-Einstein-Gymnasium. Unseres hieß Gymnasium Am Stadtrand. Die anderen heißen danach, was die Schüler mal werden sollten. Wir hießen danach, wo wir herkamen.

Als sie einziehen, dröhnt aus dem Radio laut “Our house” von Madness. Bauer Seidel, mit der Axt in der Hand, spricht kein Englisch. Und so trägt die WG im ehemaligen Haus von Frieders Großvater fortan den Namen ,Auerhaus’. Ihre Ursprünge allerdings sind traurig. Erzähler Höppner Hühnerknecht – ein passabler Name für eine Punkband, sagt er! – muss erfahren, dass sein Freund Frieder versucht hat, sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Er besucht Frieder in der Psychiatrie, versucht mit der gebotenen jugendlichen Distanz – er schweigt betroffen und unsicher – Antworten herauszukitzeln. Erfolglos. Frieder ist das Kind einer Bauernfamilie, vielleicht möchte er kein “Bauer” sein und nicht von allen so genannt werden. Seine Mutter nimmt regelmäßig Schlaftabletten, es sind ihre Vorräte, die er anzapft. Sind das Gründe? Einige Zeit verbringt Frieder auf der geschlossenen Station, mit BT (Beschäftigungstherapie) oder Pauline, einem pyromanischen Mädchen, das sich regelmäßig die Haare ölt statt sie zu waschen. Manchmal besucht ihn Höppner und sie stehlen sich vom Gelände in die Fußgängerzone des kleinen Orts.

Im Herbst waren die hässlichen Sonnenschirme weggeräumt. Dann konnte man die hässlichen Nachkriegsbauten und die hässlichen Schaufenster mit den hässlichen Sachen drin besser sehen. Eigentlich der ideale Ort für Leute mit Depressionen. Hier waren sie mit ihrer Umwelt in Einklang. Hier merkten sie nicht, dass sie sich nicht mehr freuen konnten über die schönen Sachen im Leben. Hier gab es gar keine schönen Sachen.

Weil Höppner dem fiesen neuen Freund seiner Mutter entkommen will und Frieder schließlich die Psychiatrie verlassen darf, beschließen sie auf Frieders Vorschlag hin, zusammenzuziehen. Eine Win-Win-Situation, scheint es, die beiden mehr Selbstständigkeit erlaubt, allerdings mindestens Höppner auch eine größere Verantwortung auferlegt. Ganz egal, was sein Freund beteuert – was ist, wenn Frieder es wieder versucht? Er kann nicht ununterbrochen ein Auge auf ihn haben. Also zieht seine Freundin Vera mit ins “Auerhaus”. Was als Zwei-Mann-Überlebens-WG beginnt, wächst rasant. Cäcilia stößt als Freundin Veras hinzu, später sind es Harry, der eine ausgesprochene Vorliebe für eigens angebautes Gras hegt und die Pyro-Pauline aus der Psychiatrie. Sie entwickeln gemeinsam ein alternatives Zusammenleben abseits elterlicher Pfade, selbstorganisiert. Wer kocht, bestimmt, was gegessen wird. Wer nicht spült, wird auf dem Fahndungsplakat über der Spüle verewigt, das denen der Terroristen der 70er nachempfunden ist.

Seltsam waren die anderen in der Klasse. Die, für die alles weiterging wie immer. (…) Sie waren auf der Oberschule zuhause. Sie verpuppten sich, machten Abi und studierten, und wenn der Kokon platzte, sahen sie aus wie ihre Eltern. Sie übernahmen die Praxis, die Kanzlei, das Ingenieurbüro. Sie erbten von ihren Eltern das Abitur und das Leben.

Bov Bjergs unheimlich charmanter Roman ist trotz des ernsten Rahmens ein Roman voller Leichtigkeit und Idealismus. In ihm steckt der jugendliche Wunsch, die Dinge einmal anders zu machen. Nicht besser vielleicht, aber auf eine Art, die in der Welt einen persönlichen und individuellen Abdruck hinterlässt. Bjergs Figuren sind so lebensnah, ihre Sorgen so greifbar – besonders zu spüren an den Überlegungen zur Musterung und der Wehrdienstverweigerung -, dass sie mehr sind als bloß Schablonen einer dörflichen Jugend. Sie wollen ihre Grenzen sprengen, jeder auf seine Weise. Es gehört zu den angenehmen Nebeneffekten dieses liebevollen Romans, dass er nicht in seiner romantischen Seifenblase verbleibt. Es ist ganz klar, von Beginn an, dass die Auerhaus-WG nicht Jahrzehnte überdauern, dass etwas einbrechen wird in das Gefühl der Freiheit. Das verleiht Bjergs Roman die Tiefe, die ihn abrundet. Die Tiefe, die aus einem unterhaltsam geschriebenen Roman ein gutes Buch macht! Ein Buch nicht nur für Erwachsene, sondern für eben jene Jugendliche, die auch gern ein so “Auerhaus” hätten. Ich würde einziehen.

Bov Bjerg – Auerhaus, Blumenbar Verlag, 240 Seiten, 9783351050238, 18,00 €

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