Literaturmagazine
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Am Erker

,Am Erker‘ gehört zu den inländischen Literaturmagazinen, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben und deshalb zweifellos immer genannt werden müssen, wenn man sich auf die Suche nach den Stätten literarischer Diskurse begibt. 1977 von Joachim Feldmann und Michael Kofort gegründet, erscheint das Magazin mittlerweile zweimal jährlich – im Frühjahr und im Herbst – im Münsteraner Daedalus Verlag. Schon wenn man dieses Literaturmagazin zum ersten Mal in den Händen hält, wird anhand der Haptik schon unmissverständlich klar: Es geht um Literatur, es geht um Bücher. Schließlich ähnelt dieses Literaturmagazin in Format und Verarbeitung zunächst  viel mehr einem etwas dünneren Taschenbuch denn einer Zeitschrift im klassischen Sinne. Glücklicherweise, will man betonen, denn andernfalls fänden die vielseitigen Beiträge womöglich nicht den Platz, den sie verdienen.

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,Am Erker’ beinhaltet, trotzdem es freilich jungen Autoren eine hevorragende Plattform bietet, nicht nur Texte angehender Debütanten. Unter einem bestimmten Oberthema (zuletzt ,Angst und Schrecken’) ordnen sich stilistisch ganz verschiedene Beiträge, von jungen wie älteren Autoren. Eine Hannah Dübgen (“Strom”, dtv, 2013) findet genauso ihren Platz wie der langjährige Bachmannpreis-Juryvorsitzende Burkhard Spinnen, Lyriker wie der kürzlich erst von der Leipziger Buchmesse prämierte Jan Wagner publizieren Seite an Seite mit Marc Degens (“Fuckin’ Sushi”, DuMont, 2015), der 2013 mit Udo Smialkowski einen kurzen Comic beisteuerte. Dieses Literaturmagazin ist in seinen Beiträgen angenehm vielfältig und -stimmig, das wirkt erfrischend und zeitgemäß, trotzdem es in seiner Bebilderung in schlichtem schwarz-weiß daherkommt.

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Das Magazin druckt nicht nur Prosa und Lyrik, sondern auch Essays zu literarischen oder gesellschaftspolitischen Themen. So spürt Gerald Funk dem Vampirmythos in der Literatur nach, der mit Bram Stoker freilich einen Höhepunkt erlebte. Frank Odenthal berichtet über eine Reise nach Uganda und verknüpft seine Eindrücke mit Joseph Conrads ,Herz der Finsternis’, die Parallelen in Wahrnehmung und Wirkung sind unleugbar. Dieser Beitrag über Kindersoldaten unter Joseph Kony sollte auch in jeder größeren Zeitung Platz finden, so einnehmend und klar ist er geschrieben. Jochen Strobel diskutiert über die RAF. Hier geht es freilich immer wieder um literarische Perspektiven, doch man bemerkt schnell, dass die Gedankenführung über den Tellerrand hinausgeht. Wer sich über literarische Rezeptionen hinaus mit solchen Themen und Fragen beschäftigt, wird in ,Am Erker‘ hervorragende Anregungen finden, um weiterzudenken. Hier geht es nicht nur um Darstellung und Abbildung, sondern um Diskussion und Anregung.

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Natürlich auch Diskussion der kontroverseren Thesen. Wie ein Interview mit Enno Stahl zeigt, der der deutschen Gegenwartsliteratur einen eklatanten Mangel an Realitätsbezug und Relevanz bescheinigt. Im Gespräch legt er deutlich und nachvollziehbar dar, was ihn zu diesem Schluss gelangen lässt -, davon ausgehend kann jeder für sich selbst (seinen) Literaturanspruch auf den Prüfstand stellen. Neben diesen stetig wechselnden Beiträgen beinhaltet ,Am Erker’ etablierte Kolumnenformate von Fritz Müller-Zech und Anne Smirescu. Scharfzüngig, pointiert und manchmal bösartig werden Neuigkeiten und Fragestellungen des Literaturbetriebs und seiner Protagonisten abgebildet. Mindestens ein Schmunzeln ist hier drin, wie auch bei den Cartoons von Andreas Verstappen innerhalb des Heftes. Man nimmt sich nicht zu ernst, das ist gut. Das ist gesund. Besprechungen zu Lyrik, Prosa und Neuigkeiten aus dem Umfeld verschiedener Literaturmagazine gibts gen Ende auch noch, wohlformuliert, mit Hand und Fuß. Auch hier kann man Entdeckungen machen; widmen sich die Rezensenten doch auch den Verlagen und Literaten, die woanders – aus welchem Grunde auch immer – unentdeckt und unerwähnt geblieben sind. Für wen ist nun also dieses Magazin einen Blick wert? Unumwunden für alle, die Entdeckungen machen wollen, die über Gesprächsthemen, Titel und Fragen der Literaturbranche auf dem Laufenden bleiben, die gute Texte und hochwertige Essays lesen, die sich mit so einem Magazin auch länger als eine Busfahrt oder einen Abend auf dem Sofa beschäftigen wollen. Es kostet ein bisschen Zeit, die aber ist fraglos gut investiert!

Am Erker im Web:

Facebook: Am Erker, Zeitschrift für Literatur, Homepage: am-erker.de

Preis: 9 € (ältere Ausgaben gibt’s günstiger)

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