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Alfred Polgar – Marlene

Dieses ursprünglich 1936/1937 gschriebene Kleinod ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Nicht nur, weil es viele Jahrzehnte unentdeckt in der New Yorker Wohnung von Polgars Stiefsohn weilte, nicht nur, weil die Entdeckung so ungefähr das Märchenhafteste ist, was einem Verleger und Herausgeber passieren kann, sondern auch, weil es einen damaligen Blick auf die Ikone Marlene Dietrich einfängt. Eine kleine Monographie mit großer Wirkung!

Es ist 1984, als Ulrich Weinzierl das Originalmanuskript zu ,Marlene – Bild einer berühmten Zeitgenossin’, in New York entdeckt. In der Wohnung von Erik G. Ell, dem verstorbenen Stiefsohn Alfred Polgars, und dessen Witwe Selma Ell. Es ist in einem Koffer deponiert, den die Witwe allein nicht öffnen will. Ulrich Weinzierl gilt als Spezialist für Alfred Polgar, hat 1977 über ihn dissertiert und sich immer wieder mit dem Leben und Wirken dieses auch weit über die österreichischen Grenzen hinaus bekannten Publizisten beschäftigt. Es ist völlig klar, dass ,Marlene’ das Licht der Welt erblicken muss; wenn zum damaligen Zeitpunkt auch weitgehend Unkenntnis über den konkreten Entstehungskontext herrscht. Alfred Polgar selbst ist ,schon bevor sie zu weltweitem Ruhm gelangt, ein großer Bewunderer ,der Dietrich’. Er sieht sie zum erstem Mal in dem Stück ,Broadway’, das am 20. September 1927 in Wien gastiert.

Das Stück hieß ,Broadway’, und die fünf stellten die Broadway-Girls dar. Wie sich das für Girls ziemt, tanzten sie überaus parallel: zehn Beine und ein Takt. Sie sangen auch. Und zuweilen mischten sie sich sogar solistisch ins Spiel. Gangster, deren ganz gefährliche auf der Bühne sich tummelten, planten eine Mordtat, aber Dank der Geistesgegenwart und Entschlossenheit eines der fünf Mädchen wurde sie verhindert. Es war die zweite von links, die, im kritischen Augenblick, den Revolver hob und die Kanaille niederschoss.

Die zweite von links war Marlene Dietrich. Polgar ist sofort eingenommen von der “Absichtslosigkeit” ihres Spiels, ihrer Selbstbeherrschung, ihrer glamourösen und einnehmenden Wesensart, ihrer Schönheit. Es gäbe, schreibt Polgar in seiner Monographie, niemanden, dem Marlene gliche, dafür umso mehr, in denen Marlene sich zu erkennen gäbe. Er ist ihr verfallen auf eine Art wie es wohl viele gewesen sind, betört von ihrer Unnahbarkeit und Grazie. Ihren ersten großen Erfolg landet sie u.a. durch Josef von Sternberg mit der Ufa-Produktion ,Der blaue Engel’, Verfilmung von Heinrich Manns ,Professor Unrat’. Die Dietrich spielt die laszive Varieté-Sängerin ,Lola’, die den regelkonformen Gymnasialprofessor Immanuel Rath sprichwörtlich um den Verstand bringt. Marlene hat Sexappeal, was Alfred Polgar durchaus nicht nur als den Reiz des Sexuellen verstanden wissen will.

Als Beweis mag gelten, dass dem besonderen Zauber des mit sex appeal begabten Menschen keineswegs nur Personen anderen Geschlechts unterliegen; in das feine silberfädige Netz, das solche Begabung um den Begabten wirkt, gehen Männchen und Weibchen mit gleicher Willigkeit. Es ist ein Etwas über aller Schönheit, Anmut und Begabung, das eine Frau wie Marlene Dietrich so anziehend macht auch für Frauen (…)

Alfred Polgar ist – und man merkt es seiner Monographie deutlich an – nicht nur ein interessierter Beobachter der Karriere Marlene Dietrichs. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler verliert Polgar, dessen Lebensmittelpunkt sich zusehends nach Berlin verlagert hat, nicht nur sein Ansehen in kulturellen Kreisen, er verliert seine publizistische Freiheit. Immer wieder wird er von Freunden finanziell unterstützt, meistens von Carl Seelig, bekannter Schweizer Schriftsteller und Publizist, hin und wieder aber auch von Marlene Dietrich selbst. Polgar fühlt sich schrecklich in seiner Hilflosigkeit, in seinem Verdammtsein zur Untätigkeit. Er ist, angesichts der Hilfsbereitschaft Marlenes, voll des Dankes für die Dietrich und schreibt ihr: ,Traurig, daß Sie fort sind: Es war gut, sie alle Tage leibhaftig zu sehen und feststellen zu können, was für ein feiner wie glänzend-aparter Einfall der Schöpfung es war, Sie zu erfinden. Kann ich nicht, in irgendwelcher Form, Ihnen gefällig sein? Als Schriftsteller etwas für Sie leisten?’

Marlene_Dietrich_02Mit ,Marlene – Bild einer berühmten Zeitgenossin’ leistet Polgar etwas für sie. Doch nachdem die Nazis in Österreich einmarschieren und keinerlei Möglichkeit mehr zur Publikation besteht, ja, Polgar seinen Aufenthaltsort so schnell wie möglich verlassen muss und nach Amerika flieht, gerät das Manuskript zwischen die Fronten und schließlich nach New York. Wo es Polgar, der 1955 in Zürich stirbt, deutlich überleben wird. Es ist eine erfreuliche Entdeckung, die hier gelungen ist, stilistisch so bestechend präzise mit dieser Prise polgarscher Schwärmerei, ein Blick auf eine große Diva des Films, der noch unbeeinflusst ist von dem späteren Wissen um zahlreiche Affären und Anzüglichkeiten. Dank der weitgehend aufgearbeiteten und durch ein ausführliches Nachwort erläuterten Entstehungsgeschichte ist an dieser Monographie viel mehr dran als nur der Glamour der Dietrich. In ihr stecken Zeit – und Filmgeschichte gleichermaßen!

Alfred Polgar: Marlene, Hrsg. Ulrich Weinzierl, Zsolnay Verlag, 160 Seiten, 9783552057210, 17,90 €

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