Kultur
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Das Antiquariat Diderot

Wir alle wissen als Leser und Leserinnen meistens sehr gut, wie es so im Sortimentsbuchhandel aussieht. Viele von uns gehen dort mehr als regelmäßig ein und aus. Doch wie läuft es eigentlich im Antiquariat ab? Was ist dort anders? Jasmin Fritz, 1976 in Lübeck geboren und Inhaberin des Antiquariats ,Diderot’ in Kiel, stand mir Rede und Antwort. Die gelernte Antiquarin und studierte Literaturwissenschaftlerin geht mit ihrem Laden auch für die Auszeichnung Kultur – und Kreativpilotin 2014 ins Rennen. Würde sie ausgewählt, wäre Diderot Teil einer Initiative der Bundesregierung, die Unternehmen unterstützt, die sich als Kulturbewahrer und kulturelle Treffpunkte engagieren. So oder so ist das Antiquariat aber nicht nur ein Antiquariat, sondern auch Veranstaltungsort für Lesungen oder Ausstellungsraum für Kunstwerke.

Jasmin, du hast im April letzten Jahres dein kleines Antiquariat in Kiel eröffnet. Wie kam es dazu? Hast du eine Ausbildung im Antiquariatsbereich gemacht?

Ich habe nach meinem Studium (Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte) ab 2004 eine Ausbildung als Buch- und Kunstantiquarin in einem Antiquariat & Auktionshaus hier in Kiel gemacht und dort anschließend bis 2012 gearbeitet. Die Idee, mich irgendwann einmal selbständig zu machen, hatte ich bereits seit einigen Jahren… diese Idee entwickelte sich zu einem Traum, der mit der Zeit immer konkreter wurde, Konturen annahm. Ich stellte mir einen Laden vor, der ganz und gar meine Handschrift tragen würde – und steckte mir ein “10-Jahres-Ziel”. Auch kaufte ich bereits einzelne kostbarere und bibliophile Bücher ein, wann immer es mein Etat irgend zuließ. Aus den 10 Jahren wurden dann doch nur 5: ab August 2012 konnte aus verschiedenen Gründen mein Arbeitsverhältnis nicht fortbestehen. Ich sah mich vor der Situation, einen neuen Job suchen zu müssen, oder aber den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Schließlich dachte ich: “jetzt oder nie”.

Welche Schwierigkeiten sind dir bei der Gründung begegnet?

Zunächst einmal galt es, die “halbgaren” Ideen in etwas Realisierbares umzuwandeln. Nach einem ersten Brainstorming hatte ich einen ganz guten Überblick über das, was ich brauchen würde und tun müsste. Jetzt galt es das Arbeitsamt zu überzeugen. Dort wollte man bereits ein erstes Konzept haben, um die Ernsthaftigkeit meines Vorhabens untermauert zu sehen. Da ich alles ja bereits grob im Kopf hatte, fiel mir das nicht besonders schwer. 1. Hürde: check. Ich musste dann ein mehrwöchiges Existenzgründungs-Seminar an der Wirtschaftsakademie absolvieren, damit ich weitermachen durfte. Das hat mir ziemlich viel abverlangt – aber auch aufgezeigt, wo noch Schwachstellen waren, was ich noch nicht bedacht hatte etc. 2. Hürde: check.

Heraus kam ein kompletter Businessplan inklusive Umsatz- und Kostenrechnung. Die 3. und größte Hürde ließ sich nicht so leicht nehmen: die Finanzierung. Die Banken wollten von einem Kredit für die Gründung eines Antiquariats absolut nichts wissen. Mit einiger Hartnäckigkeit und Überzeugungsarbeit, etwas Eigenkapital und viel Unterstützung durch Freunde und Familie gelang es mir dann doch schließlich, die nötigen Mittel aufzutreiben. 3. Hürde: check. Während dieser Zeit kaufte ich auch größere Konvolute an Büchern ein, um den Erstbestand für ein Ladengeschäft aufzubauen. Noch ein Problem: wohin mit über 7000 Büchern? Auch dafür fand sich eine (etwas abenteuerliche) Lösung: Die Bücher lagerten einige Monate gut verpackt auf einem alten Heuboden über dem Pferdestall im Bauerhof einer Freundin. 4. Hürde: check. Eine Sorge, die mir die ganze Zeit über Kopfzerbrechen bereitete, erledigte sich quasi von selbst: bei der Suche nach einem passenden Ladenlokal hatte ich einfach mal – Glück. 5. Hürde: check!

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Dein Laden heißt “Antiquariat Diderot” – spielt Diderot, bzw. seine Literatur in deinem Leben eine besondere Rolle?

Diderot war nicht nur Schriftsteller und bedeutender Philosoph, sondern auch einer der wichtigsten Organisatoren und Herausgeber der großen Encyclopédie, die ab 1751 in Paris publiziert wurde. Während meiner Arbeit im Antiquariat begegnete ich schon früh Kupferstichen und einzelnen Artikeln aus diesem Werk. Dann hatte ich im Auktionshaus das große Glück, eine vollständige Ausgabe bearbeiten zu dürfen – 26 Folianten, gespickt mit tausenden wunderschönen Kupferstich-Illustrationen und ebensovielen hochwertigen Artikeln über alle Bereiche des Lebens – Handwerk, Naturwissenschaften, Künste, Technik usw. Die Geschichte der Entstehung dieses großen Werkes, die Ausdauer und der Mut, den Diderot an den Tag legte, um Wissen unters Volk zu bringen – Aufklärung zu betreiben – haben mich nachhaltig schwer beeindruckt. Ich wollte das durch die Namensgebung für mein Unternehmen in Erinnerung bringen und würdigen.

Woher bekommst du deine Bücher?

Aus den unterschiedlichsten Quellen: vieles wird mir direkt in den Laden getragen. Oft fahre ich zu Privatpersonen, um mir größere Bibliotheken anzusehen: manchmal wollen die Leute ihren Bestand etwas verkleinern, Platz schaffen, häufig jedoch sind es Nachlässe. Ich verkaufe auch Kommissionsware, sprich Sammlerstücke von Kunden, für ein bestimmtes Entgelt. Raritäten finde ich meist in den Katalogen der Auktionshäuser oder bei Kollegen, beispielsweise in Lagerlisten oder auf Messen.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Viele denken ja wahrscheinlich, du sitzt den ganzen Tag zwischen alten Büchern und wartest, bis jemand dir neue bringt.

So etwas wie Arbeitsalltag gibt es eigentlich nicht. Jeder Tag sieht anders aus und bringt neue Aufgaben mit sich. Wichtig ist die Archivierung des Bestandes. Das heißt, ich beschreibe die Bücher einzeln ausführlich, um Listen erstellen zu können oder sie im Internet zu verkaufen. Diese Arbeit nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Ab und an fahre ich auf Außentermine zwecks Besichtigung zu veräußernder Sammlungen. Dann heißt es Kisten packen und schleppen, die Bücher ins Lager einbringen, Preise recherchieren, die Bücher auspreisen und natürlich in den Ladenbestand integrieren. Dazu kommt die Bearbeitung von Bestellungen – sprich Rechnungen schreiben, Bücher verpacken und zur Post bringen. Die Buchhaltung natürlich. Das Organisieren von Events wie Ausstellungen, Vernissagen, Lesungen usw. Neben all dem widme ich gern meinen Kunden viel Zeit, das sind an einem Tag vielleicht nur mal zwei, an einem anderen dann zwanzig… Langweilig wird es also nie. Zum Warten auf neue Bücher bleibt gar keine Zeit.

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Mir hat mal eine Antiquarin gesagt, man dürfe sich in diesem Beruf nicht leicht ekeln. Besonders, wenn man auf Dachböden oder in alten Kellern Nachlässe sichtet. Würdest du das bestätigen?

Oh ja, da kann ich nur zustimmen. Was man bei solchen Terminen erlebt,ist teils recht abenteuerlich. Staub und Spinnen(-weben) sind selbstredend an der Tagesordnung, doch mir sind auch schon andere Tiere begegnet wie Ameisen, Kellerasseln, Mäuse, Ratten – sogar Fledermäuse. Manchmal hat man das Gefühl, man wühlt sich durch Berge von Dreck und braucht nach dem Termin erstmal eine Grundreinigung. Aber das kann sich eben auch wirklich mal lohnen.

Gibt es ein Ereignis, was dir noch lange nach seinem Geschehen im Gedächtnis geblieben ist?

Da gibt es etliche. Zwei allerdings stechen in meiner Erinnerung besonders hervor: eines ist die erste Auktion, an der ich teilgenommen habe. Ich war vorher so aufgeregt, dass ich gar nicht schlafen konnte. Es waren etwa 60 Bieter im Saal anwesend, ich war für die Präsentation der Bücher und Graphiken zuständig. Als die Auktion nach ein paar Stunden vorbei war konnte ich kaum fassen, dass alles gut geklappt hatte und ein voller Erfolg war. Der zweite absolut herausragende Moment in meinem Berufsleben war natürlich der, als ich meinen eigenen Laden eröffnet habe. Es kamen so viele Leute, sie alle brachten eines mit: Begeisterung. Da wusste ich, dass sich all die Strapazen der vergangenen Monate gelohnt hatten und ich auf dem richtigen Weg war. Das hat mich mit großem Glück erfüllt – und tut es noch immer.

Du hättest dich ja auch dafür entscheiden können, in den Sortimentsbuchhandel zu gehen. Was ist das Besondere am Antiquariat?

Zwar liebe ich Bücher (natürlich!) und lese schon mein Leben lang gern und viel, aber der Sortimentsbuchhandel kam nie wirlich für mich infrage. Ich habe eine besondere Affinität zu alten Büchern. Mich reizt die Geschichte dahinter, die Recherchearbeit. Je älter ein Buch ist, desto aufwendiger wird diese. Außerdem ist der Beruf unglaublich vielschichtig. Ich bin Kauffrau, Bibliothekarin, Trauerbegleiterin, Galeristin, Kundenbetreuerin, Buchhalterin, Lageristin, Schaufensterdekorateurin und, und, und… von allem ein bisschen. Durch meine Arbeit im Auktionshaus hatte ich die Möglichkeit, Dinge zu sehen und zu bearbeiten, die sehr selten sind, Bücher wie Graphiken. Oder auch alte Handschriften, die ich während der vergangenen Jahre gelernt habe, zu lesen. Das tägliche Lernen, das für einen Antiquar auch ein Leben lang nicht aufhört, ist für mich ein Lebenselexier. Ich habe hier meinen Traumberuf gefunden und gehe jeden Tag gern zur Arbeit – in das für mich schönste Büro der Welt.

Interessant ist, dass sich durch meine Freunde und Familie, meine Kunden und nicht zuletzt durch mich selbst, gerade etwas ganz Neues entwickelt. Eine echte Begegnungsstätte für Menschen verschiedenster Couleur. Etwas Lebendiges, ein “Antiquariat zum Anfassen”, ein Ort an dem sich passionierte Sammler, Studenten, Kulturinteressierte, Leseratten, Kinder, “Kreativlinge” begegnen und gleichermaßen wohlfühlen. Das hatte ich mir in diesem Ausmaß nicht zu erträumen gewagt. Es ist einfach wunderbar.

Für Neugierige:

Antiquariat Diderot im Netz
Antiquariat Diderot bei Facebook

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