Graphic Novel, Rezensionen
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Michael Goodwin & Dan E.Burr – Economix

Mit einem Comic hochkomplexe wirtschaftliche Zusammenhänge begreiflich zu machen, scheint auf den ersten Blick eine höchst undankbare, wenn nicht unlösbare Aufgabe zu sein. Michael Goodwin und Dan E.Burr ist es mit ihrer Publikation – in Deutschland im Hause Jacoby & Stuart erschienen – allerdings gelungen, die Graphic Novel in den Stand eines pädagogischen Werks zu heben, das als Lektüre an Schulen den Lehrenden und Lernenden sicherlich nicht zum Nachteil gereichen würde. Ein bravouröses ,Es war einmal das Wirtschaftswesen’. Ein Wunderwerk!

Wer denkt bei ,Economix’ nicht sofort an ,Logicomix’, die hervorragend verbildlichte Geschichte um das Leben Bertrand Russells und die Grundlagen der Mathematik? Die Graphic Novel ist, wie wenige andere Medien, auf eine einzigartige Weise in der Lage, komplexe Zusammenhänge durch abstrakte Verbildlichung begreiflich zu machen. Das galt bereits bei Logicomix wie auch im Falle dieser Gemeinschaftsarbeit Michael Goodwins und Dan Burrs. Viele Menschen wissen, nicht erst seit 2008, wenngleich dieses Jahr ihre dunkelsten Ahnungen auch in beängstigender Weise fassbar gemacht hat, in welchem Umfang die Wirtschaft und wirtschaftliche Interessen einzelner in ihre Lebenswirklichkeit eingreifen. Mit wirtschaftlichen Theorien allerdings setzen sich die wenigsten auseinander. Das, was an den globalen Finanzmärkten passiert, gilt vielerorts als undurchdringlich, unverständlich, für den Normalbürger ein Buch mit sieben Siegeln.

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Dass die Wirtschaft aber, ähnlich wie Geschichte und Kultur, einen Wandel durchlaufen hat, von verschiedensten Theorien beeinflusst und damals wie heute von Interessen gelenkt wird, gerät dabei erstaunlich oft ins Hintertreffen. Die Wirtschaft, wenn sie auch berechenbarer als manch anderer Wissenschaftsbereich ist, wird heute wie vor hunderten von Jahren von Menschen gemacht und verändert. Michael Goodwin unternimmt nun in Economix den waghalsigen Versuch, einen Überblick über die wichtigsten wirtschaftlichen Theorien und historischen Einflussfaktoren zu bieten. Nicht, indem er Theorie auf Theorie schichtet, sondern indem er weitgehend chronologisch vorgeht. Denn er ist, vermutlich aus gutem Grunde, der Ansicht, dass niemand verstehen kann, wie es zu unserer heutigen Situation gekommen ist, wenn er nicht weiß, wo wir begonnen haben.

Die wichtigsten Theoretiker und Ökonomen kommen teils in Originalzitaten zu Wort. So treffen wir auf Adam Smith, Thomas Malthus, John Maynard Keynes, selbstredend auch Karl Marx sowie David Ricardo als mehr oder weniger gut gelittene ökonomische Vordenker, auf die sich teils noch heute berufen wird; aber auch auf historische und politische Personen, die jeweils Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen nahmen. So spielen amerikanische Präsidenten, von Lincoln über Roosevelt, von Reagan über Clinton bis Bush junior und senior und ihre jeweilige Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle. Eine Entscheidung des Autors, die insofern sinnvoll erscheint als die amerikanischen Finanzmärkte schon lange auch die Wirtschaft außer Landes beeinflussen.

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Anschaulich und präzise beschreiben der Autor und Dan Burrs grandiose Illustrationen komplizierte Vorgänge wie den Derivathandel, die Bildung von Spekulationsblasen (wie 2008 durch Immobilienkredite ausgelöst) oder die Bildung von Konzernoligipolen. Was, so nüchtern aufgeschrieben, zunächst einen drögen und wenig zugänglichen Eindruck erweckt, entfaltet in Verbindung mit einem überwiegend leicht verständlichen Erzählton und manchmal humoresken, immer aber auf das Wesentliche heruntergebrochenen Zeichnungen, eine ganz eigene Faszination. Man will verstehen, man will durchdringen, was uns als so undurchdringlich verkauft wird. Und man schafft es auch. Nicht vollständig, aber so weit, dass man zu weiterer Beschäftigung mit einem Thema angeregt wird, von dem einem oftmals prohezeit wird, man verstünde es ohnehin nicht.

Dieses Buch beweist das Gegenteil, dieses Buch stellt bessere Weichen für das Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge als manch eine VWL-Vorlesung. Es ebnet den Weg.

Die Meinung des Autors ist an vielen Stellen deutlich erkennbar, was der Freude am Wissensgewinn allerdings keinerlei Abbruch tut. Die Geschichte unserer Wirtschaft wird bis zu einem gewissen Grad immer eine subjektive sein, je nachdem, welchen Grundsätzen man sich zugeneigt fühlt, welche Theorien man für zutreffend hält. Economix ist nicht nur eine hervorragende Einführung in Wirtschaftsgeschichte und -theorie, es ist auch der Versuch, unsere heutige wirtschaftliche Situation für den Leser so begreiflich zu machen, dass er selbst aus seiner ohnmächtigen Bräsigkeit heraus zur Tat schreitet. Economix begreift sich nicht nur als Abhandlung über Dagewesenes, es möchte dazu anregen, aus dem erlangten Wissen eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Und daraufhin zu Taten zu gelangen. Denn nichts trifft uns in diesen Zeiten härter als die Untätigkeit.

Michael Goodwin & Dan E.Burr: Economix, Wie unsere Wirtschaft funktioniert (oder auch nicht), Verlagshaus Jacoby & Stuart, aus dem Amerikanischen von Edmund Jacoby, 304 Seiten, 9783942787031, 19,95 €

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