Rezensionen, Romane
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Ludwig Laher – Bitter

Ludwig Laher ist ein österreichischer Autor. In Linz geboren, studierte er Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie und arbeitete zunächst als Gymnasiallehrer. Seit 1998 ist er als freier Schriftsteller tätig und erhielt zahlreiche Literaturpreise und Stipendien. 2011 stand er mit seinem Roman ,Verfahren’ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. ,Bitter‘ ist sein neuester Roman und erschien im Wallstein Verlag.

Es ist kein Geheimnis, dass viele hochrangige NS-Funktionäre nach Gründung der Bundesrepublik ihre jeweiligen Karrieren in Amt und Würde weitgehend ungehindert fortsetzen konnten, so sie sich nicht, wie zum Beispiel Adolf Eichmann und Josef Mengele, ins Ausland abgesetzt hatten. Diese lockere bis (bewusst) schlampige Verfahrensweise galt als eine der Triebfedern der 68er-Bewegung. Während die alte Generation die Vergangenheit ruhen lassen wollte, forderten die Kriegskinder vehement Aufklärung. Ludwig Laher führt uns nun einen schnittigen und wendigen Juristen vor, der als Sturmbannführer bei der SS und Gestapo-Offizier den Tod vieler Menschen zu verantworten hatte – und dafür weitgehend ungestraft blieb.

Der junge Fritz Bitter ist einer von Tausenden Hingerissenen, ein Erweckungserlebnis ist der Linzer Riesenauflauf jedoch nicht für ihn. Als SS-Sturmbannführer wird er in einem Lebenslauf, der sich von späteren erheblich unterscheidet und ihn offensichtlich für seine einschlägige Verwendung in der sowjetischen Ukraine qualifizieren soll, stolz festhalten können, bereits als zehnjähriges Kind Mitglied des deutsch-völkischen Turnvereins geworden zu sein, der schließlich 1919 im Deutschen Turnbund aufging. Auf die Goldwaage sollte man seine Selbstzeugnisse aber besser nicht legen, Bitter neigt zu Über – wie zu Untertreibungen, je nachdem, wie es gerade opportun ist.

Bitter tritt früh in die NSDAP ein und arbeitet sich im Wiener Bezirk Währing als Gestapo-Offizier schnell in höhere Positionen. Auf sein Geheiß werden Juden enteignet, Oppositionelle in Verhören gefoltert oder in einschlägig bekannte Lager verbracht. Nach Auschwitz, Dachau oder Mauthausen. Er wird im ukrainischen Generalbezirk Charkow das Kommando der Sicherheitspolizei übernehmen und sich für viele Massentötungen verantwortlich zeichnen, auch in Südtirol hat er auf zerstörerische Weise gewirkt. Wie viele seiner NS-Genossen zwar immer nur an Schreibtischen – was ihm wie den meisten anderen nach ’45 auch stets als Entlastung gut zupass kommt -, jedoch stets duldend und untätig, gutheißend wahrscheinlich sogar.

Viele NS-Kriegsverbrecher, die entweder in Italien stationiert waren oder sich nach dem Waffenstillstand dorthin absetzen können, ziehen sich nun fürs erste in die Südtiroler Bergwelt zurück. (…) Die relevanten Netzwerke funktionieren weiterhin klaglos, über scheinbar unverdächtige Institutionen wie das heillos überforderte Rote Kreuz oder gar über vatikanische Verbindungsleute werden die meisten dieser Untergetauchten mit einer neuen, unverdächtigen Identität ausgestattet.

Auch Fritz Bitter hat nach dem Krieg nicht viel zu befürchten. Zwar befindet er sich in alliierter Kriegsgefangenschaft und wird sich vor Gericht verantworten müssen – jedoch für zum Teil hanebüchene Vergehen, die in keinerlei Verhältnis zu seinen tatsächlichen Greueltaten stehen. Wegen Hochverrats wird er angeklagt, was konkret seine zu bestimmter Zeit illegale Mitgliedschaft in der NSDAP meint. Über die Massenerschießungen in der Ukraine und grausige Verhörmethoden wird niemals ein Wort verloren. Auch in der Familie nicht, die wenigstens partiell Kenntnis über Bitters Machenschaften hatte.

Vor allem seine erste Frau, die mit ihrem Fritz immerhin kurze Zeit im arisierten Gestapo-Hauptquartier Wiener Neustadt über den Gefolterten in ihrem elenden Kellerverlies wohnte, muss für diese versöhnliche Wahrnehmung des Verstorbenen viel ausblenden, aber so halten es Hunderttausende ihrer Generation.

Mit Friedrich “Fritz” Bitter, dessen Name von Laher geändert wurde, wird exemplarisch jener Typus des politischen Mitläufers charakterisiert, der stets wendig und flexibel genug war, sich den Gegebenheiten dergestalt anzupassen, dass sie ihm zum Vorteil gereichten. Österreich war, nach dem Ende des Krieges, in offensichtlich ähnlicher Weise träge, was die Verfolgung von Kriegsverbrechern anbelangt, ganz genau wollte man es gar nicht wissen, lieber den so wohltuenden Mantel des Schweigens und Verdrängens über die Ereignisse betten. Welche Spuren das in den Familien selbst und in staatlichen Institutionen, deren Ämter mit Menschen wie Bitter besetzt waren, hinterlassen hat – darüber kann man nur mutmaßen. Ludwig Laher jedenfalls hat einen wichtigen, einen unbequemen Roman geschrieben, der das Nachdenken darüber aufs Neue relevant werden lässt.

Lahers Ton ist sarkastisch, ein trockener Humor ist zwischen den Zeilen herauszulesen. Mit Fortschreiten der Erzählung greift der Erzähler selbst immer öfter in den Erzählfluss ein und was anfangs wie eine gänzlich fiktive Geschichte anmutet, entpuppt sich letztlich als Bericht, der realen Begebenheiten entspricht. Es ist das Leben eines Mannes, der sich stromlinienförmig durch den Lauf der Geschichte winden konnte, ohne jemals nennenswerte Blessuren an Körper oder Seele davongetragen zu haben. Es ist das Leben eines Mannes, der mit einer Unterschrift das Leben tausend anderer auslöschen konnte. Und was nach alledem zurückbleibt, ist die Frage danach, wie das möglich sein konnte. Laher beantwortet sie freilich nicht, aber er geht ihr akribisch und mit sprachlicher Kunstfertigkeit auf den Grund.

Der Kitt, der alles zusammenhält, ist das gezielte Schweigen. Fritz redet zwar gern, daran hat sich nichts geändert. Seit Anni denken kann, spart er aber konsequent aus, was sein Geheimnis bleiben soll, die Streiche der Kindheit, die Saufgelage im Burschenschaftermilieu, die vielen Frauen, die illegale Hitlerei. Erst recht, ließe sich ergänzen, seinen ansehnlichen Beitrag zum Massenmorden.

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