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Luigi Pirandello – Sechs Personen suchen einen Autor

Es gibt viele Romane, die auf einer höher geordneten Ebene ihre eigene Existenz thematisieren. Ein Klassiker dieses Fachs dürfte noch heute Laurence Sternes Tristram Shandy sein, das als Lebensgeschichte, auf epische Breite angelegt, bereits die ersten hundert Seiten kaum über die Geburt des Tristram Shandy hinauskommt. Immer wieder mischt der Erzähler sich ein, wird als Erzähler erkennbar. Das aktuellste Beispiel eines solchen literarisch-erzählerischen Verwirrspiels lieferte Tilman Rammstedts ,Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters‘. Die faszinierende Lust am Spiel mit Realitäten ist beinahe mit bloßen Händen greifbar, es macht Freude, sich von Autoren um den Finger wickeln zu lassen.

Luigi Pirandello, 1934

Luigi Pirandello, 1934

Luigi Pirandello war ein Meister auf diesem Gebiet. 1867 in Agrigent geboren, gilt er heute als einer der bedeutendsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. 1934 erhielt er für Einer, Keiner, Hunderttausend den Literaturnobelpreis. Sechs Personen suchen einen Autor gehört zu den meistinszenierten Stücken an großen Häusern, enthält es doch ganz zentrale Punkte Pirandellos philosophischer Überlegungen.

Seit vielen Jahren – und doch, so scheint es, erst seit gestern – steht eine sehr geschwätzige, des Handwerks aber darum nicht weniger kundige Magd im Dienste meiner Kunst. Sie heißt Phantasie.

So heißt es im Vorwort zu ,Sechs Personen suchen einen Autor‘, das gleichzeitig einer der wichtigsten theatertheoretischen Schriften Pirandellos darstellt. Ihm drängten sich unangekündigt und mit größter Vehmenz, von der Phantasie heraufbeschworen, sechs Personen auf, die ihm ihr Drama offenbarten. Es war tragisch, sensationell, herzerweichend, doch Pirandello vermochte diese sechs Personen in kein Stück einzupassen. Er verweigerte ihnen rundweg die Autorenschaft – und konzipierte ein anderes Drama: Das Drama des fehlenden Autors und damit der fehlenden Existenzgrundlage seiner Figuren.

Dieses Paradoxon allein wäre als literaturhistorische Besonderheit erwähnenswert, dreht sich doch dieses Stück oberflächlich betrachtet ausschließlich darum, dass sechs Personen eine recht mittelmäßig geführte Theaterprobe unterbrechen – auf der Suche nach einem Autor. Der Theaterdirektor persönlich führt Regie und ist zunächst geneigt, die sechs, ein Ehepaar sowie zwei große und zwei kleinere Kinder, des Saals zu verweisen. Er habe keine Zeit für Verrückte.

DER VATER: Ich behaupte, daß es wirklich als eine Verrücktheit anzusehen wäre, jawohl, wenn man sich um das Gegenteil bemühte und wahrscheinliche Verrücktheiten erschaffen wollte, auf daß sie wahr erscheinen mögen. Aber erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn es Verrücktheit gibt, diese immerhin die einzige Rechtfertigung Ihres Berufes ist.
(Die Schauspieler reagieren empört)
DER THEATERDIREKTOR (erhebt sich und mustert ihn): Ach, ja? Unser Beruf ist etwas für Verrückte, meinen Sie?
DER VATER: Nun, etwas als wirklich erscheinen zu lassen, was nicht existiert, ohne Notwendigkeit, mein Herr, einfach aus Vergnügen am Spiel …Ist es nicht Ihre Aufgabe, Phantasiegestalten auf der Bühne zum Leben zu erwecken?

Stetig wiederkehrende Themen in Pirandellos Stücken und Romanen waren die Wirklichkeit und das Individuum. Oder besser: Das Nichtvorhandenseins des Individuums. Pirandello war der Überzeugung, dass es ein festgelegtes, ein immer gleiches Ich nicht gäbe. Viel mehr seien wir alle ,viele‘, je nachdem wo und in wessen Gesellschaft wir uns befänden. Je nachdem, welche Erfahrungen uns veränderten. Das Ich sei in stetem Wandel, zerlegt in viele einzelne Mosaiksteinchen. Niemand kann wissen, wer der andere ist, wozu er womöglich fähig ist, welche Gesichter und Geschichten er in sich trägt. Und so geriet manch ein Pirandello-Stück unversehens zum Happening für das Publikum.

Unwissend, welcher der Akteure des Abends zum Stück gehört und wer sich aus Publikumsperspektive über ein Stück ereiferte, flossen die Grenzen von Wirklichkeit und Fiktion ineinander. In der Pause gab es Tumulte, die sich auf die Handlung des Stücks bezogen, der Regisseur griff ein, Schauspieler tauchten auf und mischten sich ein. Die Beständigkeit der Kunstform, die klare Trennung zwischen Bühne und Publikum war aufgehoben. Hinter Pirandellos Stücken liegt eine ganze Weltanschauung, eine komplexe Philosophie, mit der er sich kulturhistorisch in bester Gesellschaft befindet.Auf einer Wellenlänge gewissermaßen mit Schopenhauer und Nietzsche.

Auch in der Kunst war die Fragmentierung des Ichs unter Zeitgenossen zu beobachten. Hinfort war das Ideal des standfesten und vernunftgeleiteten Menschen. Pirandello hat im Hinblick auf das Theater und die Literatur maßgeblich dazu beigetragen, eine neue Perspektive auf das Menschsein, auf die Wirklichkeit zu etablieren. Der Theaterdirektor in ,Sechs Personen suchen einen Autor‘ zeigt sich willens, das Stück aufzuführen und auszuarbeiten, das die Bühnenfiguren ihm darbieten – ohne in Gänze zu begreifen, dass sie nicht etwa Laiendarsteller, sondern der Phantasie entsprungene Kunstfiguren sind. Figuren, deren einziger (Lebens)Zweck das Drama ist, in dem sie stattfinden. Sie sind keinem Wandel unterworfen, sie sind immer dieselben, weil sie von Vornherein so “gemacht” sind.

Die tatsächliche Inszenierung des Stücks jedoch ist zum Scheitern verurteilt, – nicht, weil die Personen gar am Talent der anwesenden Schauspieler zweifeln, sondern weil sie in ihrer Darstellung nur ein schales Abbild ihrer selbst erblicken. Nur die Interpretation ihrer selbst. Die sechs Personen, schreibt Hanspeter Plocher im Nachwort, verlangen Unmögliches. Sie verlangen, dass die Wandelbarkeit, die Vielfalt des menschlichen Ichs und seines Erlebens, in der starren Form der Kunst widergespiegelt wird. Pirandellos Stück steckt nicht nur voll kluger Ideen und Denkansätze, voll subtilem Humor (spielen die Schauspieler doch anfangs ein Pirandello Stück!) – es ist ein Spiegelkabinett menschlichen Seins. Der Mensch als Träger unzähliger Masken.

DER DIREKTOR: (entschließt sich, es ins Lächerliche zu ziehen) Na ausgezeichnet! Und jetzt sagen Sie bloß noch daß Sie mit diesem Stück, das Sie mir hier vorführen, wahrer und wirklicher sind als ich!
DER VATER: (mit dem größten Ernst) Aber daran besteht doch kein Zweifel, Herr Direktor!
DER DIREKTOR: Ach nein?
DER VATER: Ich dachte, das hätten Sie schon von Anfang an begriffen.
DER DIREKTOR: Wirklicher als ich?
DER VATER: Wenn Ihre Wirklichkeit sich von heute auf morgen ändern kann…

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