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Herman Melville – Bartleby, der Schreiber

Unbestritten ist es einer der berühmtesten Sätze der Literaturgeschichte: ,Ich möchte lieber nicht.’ oder – im englischsprachigen Raum – ,I would prefer not to.’ Mittlerweile gibt es gar T-Shirts und Stoffbeutel mit dieser Aufschrift zu kaufen, sie hat sich gewissermaßen aus ihrem literarischen und kulturellen Kontext befreit und geistert nun, wie ihr Urheber, ein bisschen seelenlos und blässlich durch die Lande. Oder hat es womöglich Gründe, warum wir uns gerade heute dieses Ausspruchs wieder vermehrt erinnern? Eine Form der Protestkultur?

gefunden bei: http://helenaperezgarcia.blogspot.de/

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Herman Melville schreibt seine Erzählung 1853, wo sie zunächst in Putnam´s Monthly Magazine veröffentlicht wurde. Ein alternder Anwalt erzählt in der Ich-Perspektive von einem sonderbaren Kopisten namens Bartleby, den er in seiner Kanzlei in der Wall Street anstellt, um sich und seine Mitarbeiter zu entlasten. Schon ihr erstes Zusammentreffen verläuft steif, ohne Herzlichkeit. Bartleby wirkt blass, ausgezehrt, zu keinerlei gefühlvoller Regung imstande.

Zuerst brachte Bartleby eine erstaunliche Menge Schreibarbeit hinter sich. Als sei er geradezu ausgehungert nach Material zum Kopieren, fraß er sich an meinen Akten voll. Zum Verdauen ließ er sich keine Zeit. Er arbeitete in Tag – und Nachtschicht, denn er kopierte bei Sonnenschein und Kerzenschimmer. Ich hätte ja hocherfreut über seinen Fleiß sein können, wäre es es freudiger Fleiß gewesen. Doch er schrieb stumm, bleich und mechanisch weiter – endlos weiter.

Was zunächst einfach wie Zurückhaltung, Gedankenverlorenheit wirkt, steigert sich bald zur Groteske. Als der Anwalt Bartleby bittet, ihm bei der Prüfung von Abschriften behilflich zu sein, antwortet der völlig ungerührt: ,Ich möchte lieber nicht.’ Nie zuvor hat es eine derart klar artikulierte Weigerung gegeben, der Erzähler ist wie vom Donner gerührt, fassungslos. Manch anderer hätte Bartleby womöglich angesichts dieses stillen aber beharrlichen Widerstands achtkantig hinausgeworfen, in dem Anwalt allerdings regt sich, ganz ungewöhnlich, das Mitgefühl.

Wenn in seinem Verhalten auch nur die geringste Spur von Unsicherheit, Ärger, Ungeduld oder Unverschämtheit gelegen hätte, mit anderen Worten, wäre etwas im landläufigen Sinne Menschliches an ihm gewesen, würde ich ihn bestimmt voller Zorn aus meiner Kanzlei entlassen haben. Doch wie die Dinge hier lagen, hätte es mir ebensogut in den Sinn kommen können, meiner bleichen Cicero Gipsbüste die Tür zu weisen.

(c) Rebecca Dart

(c) Rebecca Dart

Was als Weigerung beginnt, Abschriften Korrektur zu lesen, entwickelt sich zu einer generellen Weigerung, irgendeine Aufgabe in der Kanzlei zu übernehmen. Botengänge zur Post wolle er nicht übernehmen und auch das Kopieren verweigert Bartleby gänzlich. Der strebsame und gewissenhafte Mitarbeiter entwickelt sich zum Mühlstein am Halse des Anwalts. Was auch immer der vorschlägt, er wird mit den Worten ,Ich möchte lieber nicht‘ zurückgewiesen, ja sogar die Kündigung erträgt er mit einer stoischen Ruhe und Gelassenheit – indem er ihr Vorhandensein einfach nicht zur Kenntnis nimmt.

Trotzdem tat er mir leid. Hätte er mir nur einen einzigen Verwandten oder Freund genannt,so hätte ich umgehend geschrieben und dringend gebeten, den armen Burschen abzuholen und ihm eine geeignete Unterkunft zu geben. Doch schien er allein, völlig allein im ganzen Weltall. Ein Trümmerstück im Atlantik – auf hoher See.

Schlussendlich zieht der Inhaber der Kanzlei aus seinen Räumen aus, weil es ihm unmöglich ist, Bartleby langfristig aus denselben zu entfernen. Wenn Bartleby nicht geht, muss er gehen. Und plötzlich beginnt dieser Antiheld, dieser seelenlose Angestellte eine geradezu beängstigende Ausstrahlung zu entfalten. In seiner unverrückbaren Konsequenz, seiner Einsilbigkeit, seiner Unzugänglichkeit wirkt er wie eine Heimsuchung, trotzdem er doch eigentlich nichts weiter tut als seinen freien Willen zu bekunden. Überdurchschnittlich häufig und vehement zwar, aber er tut, was jedem zugestanden werden sollte.

Bartleby endet schließlich im Gefängnis, in das er mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten letztlich verbracht wird. Dort ist seine Arbeitsverweigerung einer generellen Lebensverweigerung gewichen und er stirbt kurz nach seiner Inhaftierung kläglich zusammengerollt im Innenhof der Haftanstalt. Viele Deutungen dieser kurzen Erzählung Melvilles, von dem gemeinhin ja wesentlich häufiger ,Moby Dick‘ rezipiert wird, hat es gegeben, für jede lassen sich hinreichend Begründungen und Belege finden.

Bisweilen trägt Melvilles Erzählung den Untertitel ,A Story Of Wall Street‘, der nahelegt, dass sie mehr mit ihrem Spielort zu tun hat als anzunehmen ist. Bartleby als Verweigerer, als Aufbegehrender gegen den Kapitalismus, längst aller Hoffnungen und Träume beraubt, stellt er sich gegen ein beschleunigtes, ein entmenschlichtes System. Ein System, so blutleer wie Bartleby selbst. Bartleby fasziniert auch seine Kollegen Turkey und Nippers, die den Sonderling zwar zunächst aufgrund seiner ihm eingeräumten Freiheiten ablehnen, allerdings Stück für Stück seine Sprachgewohnheit des Lieber-Nicht-Mögens übernehmen.

Vielleicht erfreut sich Bartleby heute auch deshalb so großer Beliebtheit, weil wir selbst gern öfter lieber nicht wollten, die Gegebenheiten uns aber dazu nötigen, gegen unseren Willen zu handeln. Doch wie weit geht ein freier Wille? Wie sehr darf er entkoppelt sein von unserem Umfeld? Und wie weit kann Verweigerung treiben? Bartleby, so heißt es abschließend, habe vor seiner Tätigkeit in der Anwaltskanzlei bei der Post gearbeitet. Im Dead Letter Office. Er habe unzustellbare Briefe vernichtet. Was dem Erzähler als mögliche Begründung für dessen Lebensverweigerung, dessen Hoffnungslosigkeit äußerst plausibel erscheint.

“Tote Briefe”! Klingt es nicht wie “tote Menschen”? Stellen wir uns einen Mann vor, der infolge von Veranlagung und Missgeschick schon einer blassen Hoffnungslosigkeit zuneigt – welche Beschäftigung wäre wohl geeigneter, ihn darin noch zu bestärken, als das tägliche Hantieren und Sichten unbestellbarer Briefe für ein Ende in den Flammen?

Über Bartleby lässt sich – noch heute, besonders heute – vortrefflich diskutieren. Ein ganz besonderer Klassiker!

Meine Fassung wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Elisabeth Schnack und erschien bei Manesse.

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