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Peter Stamm – Seerücken

peterstammPeter Stamm ist ein Schweizer Schriftsteller. Seine ersten literarischen Gehversuche waren mühsam und von vielen Absagen geprägt, Sein Roman Agnes wurde erst sechs Jahre nach Beendigung veröffentlicht. Er begann, Anglistik zu studieren, wechselte dann ins Studienfach Psychologie und war Praktikant in verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Ab 1990 war Stamm auch als Journalist für die NZZ, den Tages-Anzeiger und die Weltwoche tätig. 2013 stand er auf der Shortlist des Man Booker Prizes.

Wer Peter Stamm zum ersten Mal liest, dem wird sofort der eher nüchterne und distanzierte Stil ins Auge fallen, der wird bemerken, dass Stamm sich tatsächlich viel mehr in der Rolle des Beobachters, statt in der des ausschmückenden Erzählers begreift. In “Seerücken” versammeln sich zehn Erzählungen, die alle, in unterschiedlicher Weise, menschliche Schicksale beleuchten, lakonisch und beiläufig fast der Ausprägung alltäglichen Leids nachspüren. Was man spürt, in jeder einzelnen Geschichte und besonders in den mithin vielfältig interpretierbaren Enden ist ein gewisser Fatalismus, eine trockene Hoffnungslosigkeit. So ist das Leben eben.

Da ist das Paar, das gemeinsam in den Urlaub fährt, zwischen sich eine Menge Distanz und Ungesagtes und von ihrem Apartment aus täglich eine glückliche und geschäftige Familie beobachtet. Bis der Vater eines Tages beim Zurücksetzen des Wagens seinen eigenen Sohn überfährt. Der Vorfall wird nicht näher beschrieben und trotzdem ist die Fassungslosigkeit mit Händen zu greifen. In der Beobachterperspektive des Paares werden wir Zeuge eines furchtbaren Unglücks, an dem niemand die Schuld trägt. Da ist der Pfarrer, der in einer leeren Kirche predigt, weil die Gemeinde ihn nicht anerkennt.

Als er die Orgel hörte, räusperte er sich, zupfte an seinem Talar und trat aus der Sakristei. Mit gesenktem Blick und schnellen Schritten ging er zu seinem Stuhl unter der Kanzel und setzte sich so, dass die Gemeinde ihn im Profil sehen konnte. Als die Orgel verstummte, wartete er einen Moment, bis das letzte Echo erstorben war, dann stand er auf und trat hinter den Opfertisch, auf dem zwischen zwei brennenden Kerzen Brot und Traubensaft bereitstanden. Die Kirche war leer.

Da ist das Mädchen, das ihr Lager im Wald aufschlägt, weil es sich mit der Natur mehr in Einklang fühlt, als sie es im heimischen Chaos könnte. Aufwachsend zwischen betrunkenen Eltern und zertrümmertem Mobiliar, setzt sie sich irgendwann bei einem Schulausflug ab und beteuert, sie laufe nicht vor etwas davon, sie laufe auf etwas zu –

Am schlimmsten waren nicht die Schläge oder die Schreie. Am schlimmsten war es, nach Hause zu kommen, und niemand war da. Die Erwartung, das Wissen, sie würden irgendwann kommen in der Nacht.

Einsamkeit, Verlust, ein schmaler Grad zwischen Realität und Wahnsinn, sind wiederkehrende Themen in Peter Stamms Erzählungen. Sie sind schmucklos, wie karge Landschaften. Sie geben wenig Hoffnung, vermitteln nicht etwa Zuversicht, sondern bilden die Sandkörner im Getriebe alltäglicher Beziehungen ab wie sie sind. Das gehört vermutlich zu Peter Stamms unbestreitbaren Qualitäten. Trotz ihrer Nüchternheit gelingt es den Geschichten Stamms jedoch auch, Mitgefühl mit den Protagonisten zu wecken, sich in ihnen wiederzuentdecken, von Zeit zu Zeit.

Die formlose Pflanze mit ihren Luftwurzeln, die sinnlos ins Leere hingen, kam Sara vor wie ein Sinnbild ihres Lebens, langsam wuchernd bildete sie ein Blatt nach dem anderen, ohne die Aussicht, diesem Raum jemals zu entkommen.

Peter Stamm zu lesen, bedeutet, sich einzulassen auf diese Stimmung, auf diese fragilen Augenblicke, in denen Glück und Unglücklich so nahe beieinanderliegen, dass sie bisweilen nicht mehr voneinander zu trennen sind. Man schlägt das Buch zu, stellt es ins Regal und hängt mit seinen Gedanken noch einige Zeit diesen fiktiven Menschen nach – diesen Menschen, die wir alle sind oder sein könnten.

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