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Sloan Wilson – Der Mann im grauen Flanell

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Sloan Wilson (1920-2003) war ein amerikanischer Autor. Mit nur achtzehn Jahren segelte er einen Schoner von Boston nach Havanna. Er studierte in Harvard und diente im Zweiten Weltkrieg. Er arbeitete als Reporter, unter anderem für Time-Life und den New Yorker. Insgesamt veröffentlichte Wilson fünfzehn Bücher. Der Mann im grauen Flanell wurde erstmals 1955 publiziert, 1956 u.a. mit Gregory Peck verfilmt und war viele Jahre danach nicht lieferbar. Nun legt der Dumont Verlag diesen amerikanischen Klassiker der Fünfziger Jahre in neuer Übersetzung (Eike Schönfeld) und mit einem Nachwort von Jonathan Franzen vor.

Der Mann im grauen Flanell ist in den USA zu einem geflügelten Wort, zu einem Symbol für den Konformismus der Fünfziger Jahre geworden. Wann immer es jemanden zu charakterisieren gilt, der selbstvergessen gesellschaftlichen Konventionen folgt, vor dem Chef katzbuckelt und sein Leben rundum Ansehen und Prestige gruppiert, egal um welchen Preis, kommt die Rede auf grauen Flanell. Bei uns fände sich dazu vermutlich eine Entsprechung in bügelfaltigen Hosen, einem akkurat gepflegten Vorgarten. Nach den Entbehrungen des Krieges geht es jetzt um den gesellschaftlichen Aufstieg. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. So auch für Thomas und Betsy Rath.

Sieben Jahre hatten sie in dem Häuschen in der Greentree Avenue in Westport, Connecticut, gelebt, und nun verabscheuten sie es beide. Dafür gab es viele Gründe, keiner davon logisch, aber allesamt zwingend. Zum einen hatte das Haus irgendwie das bösartige Talent, Beweise für ihre Schwächen vorzulegen und alle ihre Stärken zu verwischen. Der struppige Rasen und der mit Unkraut überwucherte Garten verkündeten Passanten und Nachbarn, dass Thomas R. Rath und seine Familie das Anwesen offenbar nicht gern “in Schuss hielten” und es sich nicht leisten konnten, jemand anderes dafür zu bezahlen.

Eigentlich ist in Thomas Raths Leben alles in Ordnung. Er hat eine wunderbare Frau, drei Kinder und einen stabilen Job. Der Krieg, in dem er als Fallschirmjäger kämpfte, ist seit einigen Jahren vorbei und niemand denkt mehr an damals, es soll vorwärts gehen. Weil das Geld hier und da knapp ist und seine Frau sich eigentlich wünscht, endlich aus der mittelmäßigen Wohnsiedlung Westports zu entkommen, beschließt Tom, sich auf einen Job bei der United Broadcasting Corporation zu bewerben. Zwar ist er skeptisch, ob er seine gegenwärtige Beschäftigung bei der Schanenhauser-Stiftung aufgeben sollte, doch seine Frau drängt ihn, etwas zu riskieren.

Eigentlich lebte er in vier grundverschiedenen Welten, die durch nichts miteinander verbunden waren, sinnierte Tom, als er in dem alten Ford zurück nach Westport fuhr. Da war die verrückte, von Gespenstern heimgesuchte Welt seiner Großmutter  und seinen toten Eltern. Da war die isolierte Welt, in der er Fallschirmjäger gewesen war, an die er sich möglichst nicht erinnerte. Da war die sachliche, mit opaken Glasbausteinen unterteilte Welt der United Broadcasting Corporation und der Schanenhauser-Stiftung. Und dann die gänzlich abgetrennte Welt , in der Betsy und Janey, Barbara und Pete lebten, die einzige der vier, die mehr als einen Pfifferling wert war.

Er entscheidet sich schließlich für den Job in der United Broadcasting Corporation, wo er damit betraut wird, den Medienmogul Ralph Hopkins bei einer Kampagne für psychische Gesundheit zu unterstützen. Genau genommen, ihm eine Rede für einen Ärztekongress zu schreiben, auf dem Mr. Hopkins die Idee einer Stiftung und sein Interesse daran verkaufen will. Mr. Hopkins ist ein eigenartiger Mann, stets überfreundlich und niemals müde. Er arbeitet von früh bis spät, was ihn letztlich, wie wir in einer Nebenhandlung erfahren, seine Familie kosten wird. Tom versucht indessen, den Ansprüchen des Vorarbeiters Ogden zu genügen, als er im Rundfunkgebäude auf einen Mann trifft, den er von früher kennt. Aus dem Krieg. Plötzlich strömen alte Erinnerungen auf ihn ein.

Thomas Rath hat im Krieg siebzehn Menschen getötet. Das konstatiert er nüchtern, ohne jeden Pathos. Auch einen guten Freund tötete er versehentlich, weil er eine Handgranate zu früh warf. In einer Rückblende werden wir Zeuge genau dieser Situation, erleben, wie Thomas völlig unter Schock mit seinem toten Kameraden auf dem Arm über das Schlachtfeld läuft. Ein Sanitäter hat ihm bereits gesagt, dass sein Freund tot ist, doch er will es nicht wahrhaben. Diese Szene gehört zu den eindrücklichsten des Buches, wenn es um Thomas Vergangenheit geht. Und auch in der Gegenwart versucht er hartnäckig, diese Erinnerungen wegzudrängen.

Das, hatte er beschlossen, war die letzte Wahrheit des Krieges, und er hatte sie voller Erleichterung begrüßt, begierig begrüßt, die schlichte Tatsache, dass es unbegreiflich war und vergessen werden musste. So was passiert eben, hatte er beschlossen. Es passiert und wird wieder passieren, und jeder, der versucht, einen Sinn darin zu sehen, verliert den Verstand.

Aber nicht nur der Tod seines Freundes macht ihm zu schaffen, auch die Affäre, die er mit einer jungen Italienerin hatte und aus der ein Kind hervorgegangen ist, belastet ihn schwer. Seine Frau Betsy weiß schließlich nichts davon und einige Jahre hatte er auch keinen Gedanken mehr an Maria verschwendet. Maria, mit der er mitten im Chaos des Krieges zwei wundervolle Monate verbrachte. Als um Tom herum langsam die Dinge ins Wanken geraten, muss er sich eingestehen, dass er nur mit Ehrlichkeit und Offenheit sein jetziges Leben wieder in geordnete Bahnen lenken kann.

Sloan Wilson gibt uns mit seinem Roman einen Einblick in eine kleine Familie der Fünfziger Jahre, die sich vermutlich nicht wesentlich von einer deutschen Familie zur gleichen Zeit unterscheidet. Auch in Deutschland waren die Fünfziger geprägt vom Wiederaufbau, vom Wirtschaftswunder, von Konsum und Konformismus. Man wollte die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und vorwärtsblicken. Viele Männer kamen aus dem Krieg verändert nach Hause, manche wurden nie wieder dieselben. Doch bevor es für diese Generation zur schmerzlichen Aufarbeitung dessen kommt, was sie sorgsam in sich verschlossen haben, sollte es noch eine ganze Weile dauern.

Jonathan Franzen schreibt in seinem Nachwort, dass Thomas Rath, für den anfangs der Mann im grauen Flanell noch das Symbol für alles war, was er hasste und was seiner Natur zuwiderlief, gen Ende diesem Mann doch wesentlich nähergerückt ist als er jemals beabsichtigt hat. Begegnete er zu Beginn den Anforderungen der Berufswelt noch mit unverhohlenem Zynismus, hat er sich am Ende gefügt, eingefügt wie ein Puzzleteil am richtigen Fleck. Es gibt ein nahezu bonbonsüßes Happy-End, das fast zu klebrig und zäh ist, um realistisch genannt zu werden. Jedoch beurteilen wir das heute möglicherweise von einem ganz anderen historischen Standpunkt. Wir wissen, was danach kam und wie viel Arbeit noch zu leisten war. Sloan Wilson jedenfalls hat einen Roman geschrieben, der die Mentalität der Fünfziger Jahre perfekt einfängt und sie auch sechzig Jahre später noch immer vor unserem inneren Auge auferstehen lässt. Zu Recht neu übersetzt und wiederentdeckt! Ein kleines literarisches Zeitdokument, das wir heute vermutlich ganz anders lesen (können) als damals.

gregory peck

Aus dem Film “Der Mann im grauen Flanell” (1956)

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