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Wolfgang Sofsky – Einzelgänger

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Wolfgang Sofsky ist ein deutscher Soziologe, Essayist und Autor. 1993 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis für sein Werk ‘Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager.‘ Er studierte Soziologie, Philosophie, Politikwissenschaften und Geschichte. In seinen Schriften beschäftigt er sich vielfach mit der Einschränkung von Freiheit durch Politik, hier auch nachzulesen in einem Interview in der FAZ, in dem er über Veränderungen in der Sicherheitspolitik angesichts der Gefahr von Terroranschlägen spricht. Einzelgänger ist sein Prosadebüt, kürzlich erschienen im Matthes & Seitz Verlag.

“Zur Ehre der Menschheit ist wenig zu sagen”, stand auf dem Zettel.

So beginnt eine Erzählung Sofskys, die uns einen Menschen zeigt, der sich von allem und allen abgewandt hat. In sich zurückgezogen lebt er in einem alten Landhaus und verschwindet eines Tages einfach, vom Erdboden verschluckt. Man könnte fast meinen, dieses kurze Zitat sei die implizite Überschrift in allen Erzählungen, vom Menschen kann man nicht viel erwarten, er ist wie er ist, kein Anlass zum Optimismus, zur Philantropie. Wolfgang Sofskys Einzelgänger ist eine hochliterarische Komposition von Momentaufnahmen. Ein Panoptikum einsamer Gestalten, einsam aus vielerlei Gründen, manchmal selbstgewählt, manchmal gezwungenermaßen. Da sind Trinker, Mörder, ein einsamer Antiquar, ein Leuchtturmwärter, ein Geiger und ein Pianist, auch ein Schweigender, der sich jeder gesprochenen Sprache verweigert.

Mitreden hielten sie für einen Beweis der Zurechnungsfähigkeit. Wer nichts sagte, der dachte wohl auch nichts, der könne offenbar nicht mehr folgen, weil außer den Stimmbändern auch sein Gehirn geschädigt sei. Schließlich unterzog man ihn eines Verhörs. Ausdrücklich sollte er vortragen, weshalb er nichts mehr sagte. Man versuchte es mit Fangfragen, um ihm ein paar Worte in den Mund zu legen, doch er durchschaute die List und verweigerte die Auskunft.

Sofskys Porträtierte sind in sich versunken, auf sich zurückgeworfen, nicht selten von aller Welt verlassen. Sie ergeben sich ihrem Schicksal, beklagen es nicht, vielleicht, weil sie gar nichts anderes erwarten als das. Zwischen sehr realen und fast in die Neuzeit zu verortenden Erzählungen finden sich aber auch solche, die märchenhafte Züge tragen. Da ist der Schlossherr, der sich seinen Bediensteten niemals zeigt, bis die darüber zu rätseln beginnen, ob es ihn überhaupt gibt. Im ganzen Schloss gibt es keine Spiegel, niemand darf sich selbst erkennen, die Selbstaufgabe, Selbstaufopferung für einen Mächtigen, der für alle unsichtbar bleibt, wird zur Lebensaufgabe. Die Erzählungen sind nicht nur sprachlich überzeugend, aus ihnen klingt auch die Lust an philosophischen Gedanken, – wie in der Geschichte des Narren, der sich auf einem Maskenball zum ersten Mal nicht verkleidet, weil doch jeder ihn in seinem Kostüm kennt, die Nichtverkleidung wird sein Beitrag zum Maskenball, sehr zur Entrüstung aller anderen Gäste.

Er soll, so erzählte man später, zuhause die Tür hinter sich verschlossen und lange auf der Holzbank im Innenhof seines Hauses gesessen haben. Ernst habe er vor sich hingeblickt und geweint. Doch weinte er nicht wegen der Schläge; er weinte, weil er immer lachen musste. Alle hatten das Recht, nicht zu lachen, wenn sie nicht wollten, der Fürst, der Richter, der Herold und die Damen, nur er hatte das Recht nicht. Alle durften sie ihr Gesicht zeigen, nur einmal im Jahr mussten sie sich verbergen. Er aber durfte sich niemals zeigen, nicht einmal in der verkehrten Zeit. Allein in seinem Heim durfte er weinen, dort, wo niemand war außer ihm selbst.

Sofskys Erzählungen sind ein literarischer Hochgenuss. Zwar sind sie nicht dazu geeignet, zur Hebung der Stimmung beizutragen, eher versetzen sie in einen Zustand kratzigen Weltschmerzes, werfen sie hinein in einen Strudel aus Fatalismus und Ohnmacht, aber das tun sie so gekonnt, dass ich mich gern in diese Stimmung versetzen lasse. Ich bin seit jeher ein Freund der Melancholie und die beschwört Sofsky in eindrücklicher und herrlicher Sprache herauf. Diese Erzählungen sind aber mitnichten nur Katalysator für wohlig-melancholische Schauer, sie sind ein Quell kluger Gedanken, über die sich auch nach Beendigung der Lektüre noch zu sinnieren lohnt. Ein beeindruckendes Werk, das wieder einmal unter Beweis stellt, dass Wissenschaftler bisweilen auch mühelos das prosaische Handwerk verstehen.

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Fernand Khnopff – “Memories” (1889)

Besonders verstanden fühlte ich mich indessen von der letzten Geschichte, die ich zur Abrundung doch noch erwähnen muss. Es ist die Geschichte eines Antiquars, der zwischen den Büchern, die längst niemand mehr kaufen will, langsam vereinsamt. Draußen laufen die Menschen vorbei, ohnen einen Blick hinein zu werfen. Und die Frustration bemächtigt sich seiner, immer heftiger, immer inniger, bis sie sich gegenüber einem Kunden entlädt, der ihm ein Buch zu verkaufen versucht.

Wofür gab es nicht alles Ratgeber, für richtiges Gehen und Sitzen, für Reisgerichte und saure Weine, für den Gebrauch von Spazierstöcken oder die Entsorgung von Küchenabfällen, Ratgeber für Haus, Garten, Garage und Straße, für Körper und Seele, Sport, Spiel und Stil, Ratgeber für die Geburt und den Tod, von der Wiege bis zur Bahre, lauter Ratgeber, sogar das Sterben will gelernt sein, der letzte Atemzug in Würde, Ratgeber für das Nichts, für alles und nichts. Was lernt der moderne Mensch selber? Nichts erlebt er selber, erst nachlesen, dann handeln, nur keinen Fehler machen, kein Risiko, keine Umwege, sie lesen sonst nichts, nicht einmal eine Tageszeitung, dafür aber Ratgeber, sie fragen auch niemanden, denn sie schämen sich ihrer Ahnungslosigkeit, und sie lassen sich nichts zeigen, sie wollen es schriftlich , Anleitungen, Testberichte, Ratgeber, nach der Lektüre haben sie bereits genug und fangen gar nicht erst an.

Amen.

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