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Jamil Ahmad – Der Weg des Falken

Ahmad

Jamil Ahmad ist ein pakistanischer Autor. Er war Staatsbeamter und vermittelte zwischen Regierungs – und Stammesinteressen. So ist vieles, was uns Ahmad in den hier zu besprechenden Erzählungen vorlegt, aus eigenen Erfahrungen gespeist, gespickt mit literarischer und prosaischer Finesse. 1979  ist er als Minister in der pakistanischen Botschaft in Kabul tätig. Erst dreißig Jahre nach seinem Entstehen wird Der Weg des Falken veröffentlicht. Es wurde für die Shortlist des Man Asian Literary Prize sowie des Commonwealth Prize nominiert. Aus dem Englischen übersetzt wurde er von Giovanni und Ditte Bandini.

Dieses schmale Büchlein ist vermutlich einer dieser literarischen Glücksfälle, eine dieser Erfolgsgeschichten, die in ihrer Schicksalsfügung irgendwie rührend sind. Jamil Ahmad war selbst in seiner vermittelnden Tätigkeit mehrfach in den Grenzregionen zwischen Pakistan, dem Iran und Afghanistan stationiert. Er kennt die Einsamkeit, von der er berichtet, die verschiedenen Stämme und Rituale, das Archaische und Ursprüngliche der Landschaft. Und vermutlich könnten wir heute nichts von dem lesen, was Ahmad schon vor einigen Jahrzehnten niederschrieb, wäre er nicht überredet worden, seine Erzählungen bei einem Kurzgeschichtenwettbewerb einzureichen. Jamil Ahmad ist heute zweiundachtzig, höchstwahrscheinlich wird es bei dieser Veröffentlichung bleiben, was angesichts ihrer sprachlichen Qualität beinahe etwas bedauerlich ist.

Der Weg des Falken besteht aus neun lose miteinander verknüpften Erzählungen, durch die stets ein Junge mit einem silbernen Amulett streift, mal als Hauptfigur, mal nur als Randbesiedlung. Er ist das Kind zweier Liebender, die die herrschenden Stammesregeln verletzt haben und sich seit einigen Jahren deshalb mit dem Kind auf der Flucht befinden. Das Schicksal aber meint es nicht gut mit ihnen und so beginnt die erste Erzählung schon äußerst brutal. Der Geliebte erschießt seine Frau, um ihr den Tod durch den Stamm zu ersparen, er selbst wird von den Angehörigen des Stammes gesteinigt, ihrer beider Kamel wird erschossen, nur ihr kleiner Sohn überlebt, der sich nach diesem grausamen Massaker an das tote Kamel schmiegt.

Dann war er völlig allein. Die Tausende von Vögeln, die ihm eine Weile Gesellschaft geleistet hatten, waren verschwunden. Ganz ohne etwas, das ihn zerstreut hätte, wurde er sich seines Durstes und seines Hungers bewusst. Eine Zeitlang versuchte er, ihm zu widerstehen, aber als die Stiche heftiger wurden, ging er schließlich zum Kamel und öffnete den Proviantbeutel. Er aß ein wenig, trank etwas Wasser und legte sich dann hin, an das tote Kamel geschmiegt, während der Sandsturm herankam.

Von seinen Pflegeeltern wird er den Namen Tor Baz – Schwarzer Falke – bekommen. Und tatsächlich schwebt er wie ein Vogel über allen Erzählungen, begleitet pawindahs, Nomaden, die heimatlos durch die Ebenen ziehen und Güter transportieren, um ihr Überleben zu sichern und deren Lebensgrundlage sich nach einer Einschränkung ihrer Freizügigkeit drastisch verändert. Eine altre Tradition bröckelt, ein Stamm von Belutschen, der sich vor einem Richter gegen diese neue Regelungen zur Wehr setzt, wird bei dem Versuch, die starren Grenzen zu überqueren, zur Hälfte hingerichtet.

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Tor Baz finden wir stets wieder im Gewühl der Städte oder der Einsamkeit der Ebenen. Mal als Fremdenführer, mal im Umkreis von Menschenhändlern, mal in Begleitung eines Mullahs, der sich auf höchst kreative und intelligente Weise ein halbes Vermögen ergaunert. Jamil Ahmad führt mich in eine Welt, die mir vollkommen fremd ist. In eine Welt, von der wir noch heute nicht viel mehr sehen als Leid, Elend und Gewalt. Der Gegensatz zwischen dem einfachen Leben, dessen Mittelpunkt schlicht Stammesregeln, das Überleben oder die Jahreszeiten sind und unserer hochtechnisierten und strikt durchorganisierten Hektik ist so groß, dass einen hier nahezu das Gefühl beschleicht, man betritt ein orientalisches Märchen, das mit unserer Welt wenig gemein hat. Insbesondere die Geschichte von Shah Zarina, die mit einem Bärendompteur verheiratet wird, der von seinem Bär mehr hält als von seiner Ehefrau, wirkt skurill und schmerzlich. Aber durch alle Brutalität und Unerbittlichkeit schimmert doch immer wieder Ahmads Poesie hindurch, seine Fähigkeit, nicht nur die Landschaft, sondern auch die Menschen präzise zu beschreiben.

“Erinnerst du dich, wie ich dich, als du ein Junge von lediglich fünf Sommern warst, einmal zu Painda Khan mitnahm, dem alten Mann der Kharots, der seine hundert Sommer überschritten hatte? Und du aus dem Schoß des Alten saßest und ihn fragtest, wie ein Mensch so alt werden könne?” Naim Khan nickte wortlos.
Die Stimme des Generals wogte weiter. “Weißt du noch, was der alte Mann sagte? Er wandte sich zu dir, kämpfte gegen das Lachen an und sagte in ernsthaftem Ton: ‘Das Geheimnis sind die rohen Zwiebeln. Ich esse rohe Zwiebeln und ich überlebe.’ Und dann hat er mir über deinen Kopf hinweg in die Augen gesehen, und wir haben uns verstanden. Was er dir an jedem Tag verriet, war das Geheimnis des Lebens schlechthin. Man lebt und überlebt nur, wenn man die Fähigkeit hat, bittere und widerwärtige Dinge zu schlucken und zu verdauen.

Trotz seines geringen Umfangs ist Der Weg des Falken kein Buch, das man schnell und hastig verschlingt. Man muss es gemächlich lesen, man muss es auf sich wirken lassen. Denn die zahllosen Namen, von Protagonisten, von Stämmen und Klans, wirbeln einem im Kopf herum und es dauert einige Zeit, bis man imstande ist, sie zu ordnen. Dieses Buch animiert, etwas Anderes in dieser Kultur zu sehen als die fundamentalistische Gewalt, von der viele Medien uns stetig berichten, es entführt uns an ganz entlegene Winkel und zu Menschen, die wir unter normalen Umständen niemals treffen würden und mit denen wir uns schwerlich unterhalten könnten – so groß klafft die Lücke zwischen ihrem Leben und unserem. Jamil Ahmad ist mit diesen kurzen Erzählungen eine hervorragende Verknüpfung von Poesie, Bericht, Roman und Märchen gelungen – einige der Protagonisten hätte ich gern über die Erzählungen hinaus begleitet.

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