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Madison Smartt Bell – Die Farbe der Nacht

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Madison Smartt Bell ist ein amerikanischer Autor. Er studierte Literaturwissenschaften und lehrte an verschiedenen Universitäten Kreatives Schreiben. Im Augenblick ist er Professor für Englische Literatur an einem College in Virginia. Er veröffentlichte schon 13 Romane, unter anderem eine Trilogie über die Haitianische Revolution. (All Souls’ Rising, Master of Crossroads & The Stone That The Builder Refused)

Wie mein Herz frohlockte, als die Türme einstürzten. Was für ein Schub aus reiner Kraft, ein Bocken, Bröckeln, Aufwallen zu einem großartigen Gestirn der Zerstörung, bevor es all seine Materie auf den Boden ergoss. Jene mückenartigen Flecken, die es umwirbelten, erwiesen sich als Sterbliche, die aus den Flammen sprangen. Eingehüllt in die Leichentücher ihrer Schreie segelten sie herab. Hätte ich nur gewusst, dass der Tod so viele zunichtemachen kann! Und alles in einem funkenschnellen Augenblick.

Hätte man ein ehemaliges Mitglied der Manson-Family gebeten, eine Biographie zu schreiben, – wäre sie vermutlich genau so ausgefallen. Protagonistin Mae arbeitet irgendwo in einem Spielcasino in Las Vegas, als am 11. September 2001 die Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers rasen und sie zum Einsturz bringen. Als sie die Bilder im Fernsehen sieht, erkennt sie jemanden wieder. Eine Frau, die voller Verzweiflung den Kopf in den Nacken wirft, eine Frau, die ihre Hände flehend zum Himmel emporreckt. Eine Frau, mit der sie vor vielen Jahren gemeinsam in einer Hippie-Kommune war. Aber nicht in irgendeiner. Sie nennen sich das VOLK, könnten aber genauso gut Manson-Family heißen.

Damit ist das grobe Gerüst des Romans auch soweit standfest. Alles andere ist ein wilder und wirrer Strudel aus Gewalt und Drogen. D., der Anführer der Gruppe, das Medium, das alle kontrolliert, veranstaltet Orgien und verfügt über seine weiblichen Anhänger wie über eine Dienerschaft. O. (der eigentlich Orpheus heißt und immer für Eerie, seine Eurydike, singt), der obligatorische Musiker mit dem Goldkehlchen und der honigfarbenen Gitarre spielt den Soundtrack zu einer völlig vernebelten Realitätswahrnehmung. Und alles tanzt, fließt, ineinander, übereinander, Sex, Wüste, Farben, Blut, Tod. Regelmäßig fahren Teile der Gruppe irgendwohin, um wildfremde Menschen zu töten, wie im Blutrausch. (Wir erinnern uns kurz an Sharon Tate und die anderen Opfer der Manson-Family) Sie schmieren an die Wände „Kraut und Rüben“. Vielleicht auch Helter Skelter.

Ich möchte sagen, dass möglicherweise nichts von dem, was ich nun erzähle, wahr ist. Vielleicht ist es nur eine Version, die ich der faden Wirklichkeit vorziehe, in der meine Sippe noch immer ihr Leben fristet: Mutter und Vater und die beiden Kinder, nicht mehr klein, keine echten Kinder mehr, noch immer am selben Ort, wo sie sich niedergelassen haben, oder vielleicht woanders, an irgendeinem gesichtslosen Ort, unmerklich in der Banalität sterblicher Existenz versinkend, wie Fleisch, das langsam in einem Eintopf zerfällt. Falls dem so ist, habe ich sie mit einer Geschichte aus meinen Gedanken gelöscht, so wie man Sterne mit der flachen Hand verschwinden lassen kann. Falls dem so ist, hat es keine Gräber gegeben oder nur die Gräber von Fremden.

Zwischendurch springen wir in die Gegenwart, in der Mae immer noch im Casino arbeitet, kokst, mit irgendwelchen Männern schläft und ansonsten mit einem Gewehr durch die Wüste Nevadas spaziert, bis sie schließlich nach New York aufbricht. Sie erinnert sich an ihren Bruder Terrell, der sie fünf Jahre lang missbrauchte. Bis sie von zuhause floh, von ihrer Mutter, die sie nur das „Mom-Ding“ nannte und sich dem VOLK anschloss. Der Roman ist wirr, vollkommen überfrachtet, nahezu voyeuristisch in Bezug auf Drogen – und Gewaltexzesse und am Ende bleibt nicht viel als heiße Luft und die Frage: Was hat nun der 11. September damit zu tun? Hätte es dieses Aufhängers wirklich bedurft? Was soll das? Vielleicht stellt es die auf die Spitze getriebene Sinnlosigkeit von Gewalt dar, das Ende einer Kette, die Mae erlebte. Aber alle Figuren blieben für mich fremd, blass und unsympathisch. Ich kann mich nicht in sie hineinversetzen, will es vielleicht auch gar nicht, weil ich zwischen all den Halluzinationen keine Verbindung mehr zur Wirklichkeit entdecke.

Es wird klar und deutlich, woran sich der Autor orientiert und das hätte ich grundsätzlich für keine schlechte Idee gehalten. Mich hat das Thema Manson Family schon länger interessiert, warum nicht den Ablauf von Gewalt zeigen, warum nicht den Werdegang einiger Mitglieder in prosaischer Form beleuchten? Stattdessen macht es partiell den Eindruck, als sei der Autor selbst noch nicht so ganz vom letzten Drogenexzess genesen – und da kann leider auch die teils sehr poetische und bildhafte Sprache nicht mehr viel ausgleichen. Schade!

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